»Ja« zum Leben - lebe im Einklang mit deinem wahren Selbst

Versuch einmal, dich an die letzte Situation zu erinnern, in der jemand Wut oder Angst in dir ausgelöst hat - was ist passiert? Hast du dich in dich zurückgezogen? Jemand anderen beschuldigt oder verletzt? Dich als Opfer gefühlt? Viele Menschen reagieren intuitiv so. Doch anstatt ihr Leid damit zu lindern, steigern sie es sogar noch. 
Viel hilfreicher ist es, eine achtsame Präsenz in uns zu wecken, die uns dabei hilft, unser Herz zu befreien. 
Das funktioniert über die ersten beiden Schritte der RAIN-Methode, die du im Artikel Schwierige Emotionen mit der RAIN-Methode loslassen bereits kennengelernt hast: Durch Erkennen (Recognize) und Zulassen (Allow).

 

»Ja« zum Leben

Stell dir einmal vor, ein - auf den ersten Blick - negatives Gefühl wie Angst, mangelnder Respekt oder Scham würde dir in der Gestalt einer Woge begegnen. Anstatt wie üblich die Gefühle zu vermeiden - sei es durch wildes um dich schlagen oder aus der Situation entfliehen - könntest du kurz innehalten und deinem Gefühl erkennend sagen, »Ich sehe dich«. Und dann zulassend: »Lass uns einen Tee trinken«.

So begegnest du deinem Gefühl mit Klarheit, Würde, Freundlichkeit und Leichtigkeit. Denn indem du  »Ja« zum jetzigen Augenblick sagst, sagst du  »Ja« zum Leben insgesamt.

 »Nein« sagen ist eine Angewohnt

Leider haben wir uns angewöhnt, »Nein« zu sagen, wenn uns ein Gefühl wie Angst, Hass, Wut oder Verletzung begegnet:

  • Der Kopf sagt  »Nein«, indem er sofort davon ausgeht, dass etwas nicht stimmt und irgendjemanden (oder etwas) beschuldigt und versucht, das Problem zu beseitigen.
  • Der Körper sagt »Nein«, indem er sich anspannt oder taub wird.
  • Das Herz sagt »Nein«, indem es sich verbarrikadiert oder verschließt.
  • Mit unserem Verhalten sagen wir »Nein«, indem wir um uns schlagen, in Besorgnis geraten oder uns in uns zurückziehen.

    All das ist letztlich der Versuch, das Leben zu kontrollieren. 
    Denn entscheiden wir uns für das Gegenteil - für das »Ja« - ist das zunächst unvertraut und desorientierend, es fühlt sich in gewisser Weise sogar riskant an. Unsere menschliche Grundkonditionierung angesichts einer Bedrohung besteht darin, uns anzuspannen und »Nein« zu sagen. 

    Das kannst du ganz leicht einmal selbst an dir testen: Versetze dich wie anfangs in eine Situation, in der du verletzt oder wütend wurdest und beobachte einmal, auf welche vielfältigen Arten dein Körper und Geist versuchen, sich gegen die auftauchenden Emotionen zu wehren. Häufig spürst du deutlich, dass deine Bemühungen, dich zu schützen, häufig nur noch mehr Leid in dein Leben bringen - beispielsweise, indem du dich selbst abwertest oder in die Arbeit stürzt, um dich abzulenken.

 

Du kannst dir also merken: Egal, welche Form dein »Nein« annimmt, es ist stets eine Art, dich gegen die Wirklichkeit zu wehren und zu versuchen, schmerzhaftes, emotionales Leiden zu vermeiden. 

Die gute Nachricht ist aber, dass wir den Spieß umdrehen können: Indem wir das »Nein« als Marker machen, der uns zeigt, dass wir in Trance sind und unsere Aufmerksamkeit schärfen müssen.
Je schneller wir uns unseres »Neins« bewusst werden, desto besser können wir auf unsere Gefühle und die Situation antworten. 
Sieh also schwierige Situationen, die normalerweise das »Nein« hervorrufen, als Einladung, mit dem tiefen »Ja« zu experimentieren und in die ersten beiden RAIN-Schritte - das Erkennen und Zulassen - einzutauchen.

 

Gefühle wahrnehmen, Gefühle zulassen: Die ersten beiden Schritte der RAIN-Methode

Die Grundlage der Achtsamkeitspraxis setzt sich aus den beiden genannten RAIN-Schritten zusammen: Dem Erkennen und Zulassen - also wahrzunehmen, was jetzt gerade passiert und es urteilsfrei zu erlauben.

Durch diese Achtsamkeitsmeditation trainieren wir, aus unseren abschweifenden Gedanken aufzuwachen und diese umzukehren, indem wir unseren augenblicklichen, körperlichen Erfahrungen unsere volle Aufmerksamkeit schenken. 

Zwangsläufig werden wir dann all dem begegnen, was wir vielleicht schon seit Jahren zu vermeiden versucht haben: Einsamkeit, Ängste, Wut, Verletzungen, Scham. Doch je häufiger wir üben, desto eher erkennen wir, dass wir selbst mitten im Sturm ausgewogen, warmherzig, offen und präsent bleiben können.

Lesetipp: Die 5 Phasen der Trauer.

Erfreulicherweise wissen wir heute, dass sich unser Gehirn bis an unser Lebensende verändern lässt. Das bedeutet, dass sich selbst die tiefsten und schädlichsten unserer Gewohnheiten und Muster dekonditionieren lassen. Der Schlüssel hierzu führt über wiederholte Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster.

 

Achtsamkeitsmeditation trainiert uns, aus abschweifenden Gedanken aufzuwachen und diese umzukehren, indem wir unseren augenblicklichen, körperlichen Erfahrungen unsere volle Aufmerksamkeit schenken.
Redaktion

Viele wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass wir durch Achtsamkeit die Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns direkt und positiv beeinflussen können. 

Befinden wir uns dagegen in Trance, verfallen wir in Hektik, Besorgnis oder (Selbst-)Abwertung, sobald uns Stress begegnet, und vertiefen dadurch die auf Angst basierenden Furchen in unserem Geist noch.

Lernen wir stattdessen, angesichts von Stress achtsam innezuhalten und unsere Erfahrungen wahrzunehmen und zuzulassen, wird etwas Neues möglich: Wir können von einem Ort tieferer Intelligenz, Kreativität und Fürsorge auf unsere Umstände eingehen, anstatt auf flüchtige Wünsche oder Ängste zu reagieren. Langfristig stellt dies eine neue Struktur unserer Nervenbahnen im Hirn her, die mit wahrem Wohlbefinden und Frieden einhergeht. 

Und auch hier gilt: Je häufiger du »Ja« sagst, desto stärker wird es sich in all seiner Offenheit und Präsenz in deinen lebenden Zellen verkörpern und deine Lebenserfahrung insgesamt mitgestalten.

 

Die Basis der Achtsamkeit: Erkennen und Zulassen

Aber wie genau sehen die ersten beiden RAIN-Schritte in der Praxis aus? Hierzu haben wir eine kleine Übersicht für dich:

Erkennen

  • beginnt in dem Augenblick, in dem wir unsere Aufmerksamkeit auf die Gedanken, Emotionen und Empfindungen lenken, die wir gerade erfahren
  • die Kernfrage lautet: Was passiert gerade in meinem Inneren?
  • versuche, die Perspektive eines neutralen Zeugen einzunehmen
  • du brauchst nach nichts zu suchen - es genügt, still zu werden und wahrzunehmen, was gerade geschieht

 

Manchmal wirst du einen ganzen Erfahrungsstrudel wahrnehmen: Verwirrung, Wut, Angst, Trauer, rasende Gedanken. Das ist in Ordnung - schau einfach, ob sich in diesem Strudel irgendetwas besonders hervortut. In anderen Momenten fühlst du dich anfangs vielleicht einfach nur taub und leer. Auch das sind in Wahrheit emotionale Zustände. Benenne sie einfach, als genau das: Als taub oder leer.

Zulassen:

  • lass alle Gedanken, Emotionen und Empfindungen, die du zuvor entdeckt hast, einfach »da sein«
  • die Kernfrage lautet: Kann ich es genau so lassen, wie es ist?
  • vermutlich wirst du Widerstand spüren - schließlich möchtest du einen Teil dieser Gefühle oder Gedanken loswerden. Auch das kann das Zulassen miteinschließen: Du kannst das, was du gerade spürst, nicht wirklich leiden.

Erlaube deinen präsenten Gedanken und Empfindungen, sich weiter zu entfalten. Versuche nicht, sie in irgendeiner Weise zu kontrollieren, zu analysieren oder zu lösen - auch wenn du den Drang dazu verspürst.

Das Zulassen geht schrittweise vor. Es verringert zwar nicht das Unbehagen, aber es verändert unsere Beziehung zum Schmerz so radikal, dass sich das Leid reduziert. Es macht uns soweit, dass wir körperlichen und emotionalen Schmerz nicht mehr bekämpfen, sondern in weiträumiger Präsenz aufnehmen.

Um dir das zu verdeutlichen, kannst du an das Bild einer mit Farbe gefüllten Tasse denken: Es ist ein enormer Unterschied, ob du diese in einem Waschbecken mit Wasser entleerst oder in einem See.

 

Zusammenfassung: Sag »Ja« zum Leben & Glück

Unsere tief verankerte Gewohnheit, »Nein« zu sagen, mit Wut, Angst oder Sorge zu reagieren, unser Suchtverhalten, unsere Abwehrhaltungen, unsere Selbstvorwürfe - all das hält uns davon ab,  in Übereinstimmung mit unserem wahren Selbst zu leben. Wenn wir diese Gewohnheit aber durch eine achtsame, zulassende Präsenz durchbrechen, finden wir Zugang zu unserem vollen Potenzial. Das ist die im »Ja« angelegte Macht und Freiheit.
Es kann uns helfen, einen langwierigen Konflikt zu beenden, einen Weg der Versöhnung zu finden oder eine schwierige Wahrheit auszusprechen, deren Verschweigen uns davon abgehalten hat, authentisch zu sein.

Wie auch immer das Muster des »Nein« in deinem individuellen Fall aussehen mag: Durchbrich es und sage »Ja« zum Leben!

 

 

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