Aus Fehlern lernen: Wie du die Angst, Fehler zu machen, verlierst

Ich wage jetzt mal eine provokante These: Fehler sind nur ein Gedankenkonstrukt. Sie existieren real nämlich überhaupt nicht. Möglicherweise haben sich an einer Lebensabzweigung die Vorzeichen geändert, aber mehr auch nicht. Jede Entscheidung basiert auf den Überzeugungen, die sich aus deiner Wahrnehmung, deinen Erfahrungen und deinem besten Gewissen zu diesem Zeitpunkt ergaben. Diese Wahrnehmung ist also grundsätzlich für den Moment richtig, denn es ist eine eigene und sie ist zeitgebunden. 

Fehler sind nur eine Erscheinung der Vergangenheit, sie erzeugen unnötigen, emotionalen Stress in der Rückschau. Dementsprechend handeln wir oftmals aus Angst vor einem Gespenst! Die Scham ist da übrigens begeistert, will sie uns doch immer wieder weismachen, dass wir nicht gut genug, fehlerhaft oder schlichtweg nicht liebenswert sind. Also hüte dich auch hier vor falscher Scham! Lass dich nicht von einem Gedankenkonstrukt an die Kandare nehmen, das nur dazu dient, dich wieder runterzuputzen. Ich gebe dir ein Beispiel aus meiner Arbeit als Sportreporterin.

 

Menschen machen Fehler: Aus dem Alltag einer Sportmoderatorin

Eines Tages war ich im Gelsenkirchener Stadion. Das große Revierderby stand an, eines der bedeutendsten Spiele in der Bundesliga. Schalke 04 empfing Borussia Dortmund, und ich hatte von der Redaktion die ehrenvolle Aufgabe übertragen bekommen, vor dem Spiel ein Interview mit den beiden Trainern, Jens Keller und Jürgen Klopp, zu führen. 

Die beiden scherzten und dann sagte Klopp zu mir: »Mein Vater kommt aus der Pfalz, da kommst du doch auch her, oder?« Ich bejahte freudig, ein wenig geschmeichelt, auch ob der Tatsache, dass er das wusste. Wir sprachen dann natürlich noch über das Spiel und am Ende des etwa fünfminütigen Interviews dachte ich wieder an Klopps Vater und ergänzte aus Höflichkeit: »Ach, und grüßen Sie mir bitte Ihren Vater.« Klopp nickte freundlich und ging. Was ich leider nicht ahnte: Sein Vater war bereits tot.

In den Sozialen Netzwerken brach die Hölle los. Wenige Minuten später hatte ich meinen Chef am Telefon. »Hast du gerade wirklich Grüße an den toten Vater von Klopp ausgerichtet?«, fragte er entsetzt. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Die Scham überfiel mich augenblicklich. Sie überflutete mich regelrecht, ich befand mich in einer Art Schockstarre und hatte keine Ahnung, wie ich weiter arbeiten sollte.

Wie in Trance durchstand ich die nächsten Interviews, kämpfte immer wieder mit den Tränen. Wie konnte mir so etwas passieren? Wie UNENDLICH peinlich! Was für ein Fehler, dachte ich.

Der BVB verlor dieses Pflichtspiel mit 1:2 und ich erwartete einen äußerst übel gelaunten Jürgen Klopp danach zum Interview. Trotzdem wollte mich unbedingt noch für meinen Fauxpas entschuldigen, also ergriff ich trotz der miesen Stimmung die Gelegenheit, als die Kameras ausgeschaltet waren. »Herr Klopp«, sagte ich zaghaft. »Ich möchte Sie um Verzeihung bitten. Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich Ihren Vater gegrüßt habe. Ich wusste nicht, dass er bereits gestorben ist. Bitte entschuldigen Sie.« Wieder kamen die Tränen hoch. Ich schämte mich in Grund und Boden.

Und dann geschah das für mich Unfassbare. Dieser Baum von einem Mann, der gerade eines der wichtigsten Spiele des Jahres verloren hatte, dem ich ungefähr so bedeutsam sein konnte wie ein benutztes Wattestäbchen im Badezimmer-Abfalleimer, beugte sich zu mir herunter, legte den Arm um mich, drückte mich kurz und sagte: »Aber das ist doch überhaupt kein Problem, mach dir keine Gedanken! Mein Vater ist für mich immer lebendig.«

Was für mich und viele Hater in den sozialen Netzwerken ein unglaublicher Fehler war, existierte für ihn überhaupt nicht. Denn in seiner Wahrnehmung war sein Vater noch lebendig, und damit war all die Aufregung überflüssig. Was für eine Wendung! Natürlich hielt mich meine Scham noch eine Weile gefangen, aber dann zog auch sie sich langsam zurück. Jürgen Klopps Empathie hatte gesiegt und sie ist mir für immer im Gedächtnis geblieben. 

War es also vielleicht doch kein Fehler, sondern einfach nur Unwissenheit? Was bedeutet es eigentlich, einen Fehler zu machen?

 

Was ist ein Fehler überhaupt?

Laut dem DWDS und dem deutschen Institut für Normung bedeutet das Wort »Fehler« per Definition: 

  • ein Irrtum 
  • ein Mangel
  • eine Unvollkommenheit 
  • eine menschliche Schwäche
  • eine Nichterfüllung einer Anforderung
  • eine Abweichung von der Erfordernis und Erwartung oder vom Richtigen

Treffen diese per Definition festgelegten Voraussetzungen eines »Fehlers« wirklich zu, wenn es darum geht, dass sich jemand aus Unwissenheit oder fehlenden Erfahrungswerten falsch entscheidet?

Wenn sich im Fußball beispielsweise ein Spieler für ein Abspiel entscheidet, das zufällig beim Gegner landet, ist dies ein Fehler oder tut er dies in der Absicht, irgendjemandem zu schaden? Ich würde sagen nein! Da man nicht mehr erwarten kann, als dass jemand sein Bestes gibt, ist die Voraussetzung der Definition hier nicht erfüllt. Es mag spitzfindig klingen, doch ich will nur deinen Blick auf dein eigenes Denken schärfen. 

Wie ist es bei dir? In welchen Bereichen hast du Angst davor, Fehler zu machen oder wo passieren dir immer wieder die gleichen vermeintlichen Fehler?

 

Wo ist der Fehler? Wenn du immer die gleichen Fehler machst

An diesem Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung mit einem vermeintlich »schlimmen Fehler« sollst du erkennen, dass Fehler nur in unserem Gehirn existieren, aber nicht in der Realität. Wir kreieren selbst die Wahrnehmung, was wir überhaupt als solchen »einordnen«. 

Was allerdings existiert, sind Hinweise darauf, in welche Richtung wir möglicherweise unsere Lebensführung dirigieren sollten. 

  • Solltest du zum Beispiel deine Männerwahl immer wieder als »fehlerhaft« einordnen, könntest du langfristig überlegen, deine Beziehungsmuster zu ändern. 
     
  • Wenn du immer wieder im Job Probleme mit deiner Chefin oder mit deinem Chef hast, könntest du überlegen, ob du in der richtigen Umgebung arbeitest oder dich vielleicht selbstständig machen solltest, um beruflich Erfüllung zu finden.
     
  • Greifst du immer wieder zu Fertiggerichten und Süßigkeiten, obwohl du dich endlich gesünder ernähren wolltest? Dann solltest du deine Essgewohnheiten ändern und entweder weniger Ungesundes im Haus haben oder sie außerhalb deiner direkten Reichweite lagern.

Wenn du dich überfordert fühlst und Angst hast, Fehler zu machen, so musst du verstehen, dass Angst ein sehr altes Konzept ist, das direkten Einfluss auf dein Gehirn nimmt. Und sie vernebelt dir eher die Sinne, als dass sie dir hilft.

Im Stress ist unser Reptiliengehirn im Alarmmodus und wir können nur noch im Angriffs- oder Fluchtmodus reagieren. Das Konzept mag noch sinnhaft gewesen sein, als an jeder Ecke ein Säbelzahntiger lauerte, der es auf dein Leben abgesehen hatte, aber in deiner Berliner Altbauwohnung am Prenzlauer Berg sind diese Exemplare ja recht selten geworden.

Wer mit vollem Herzen, bestem Wissen und Gewissen, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, mit Selbstliebe und Empathie Entscheidungen trifft, kann keinen Fehler machen.
Jessica Libbertz

Mit Fehlern umgehen: 4 Tipps für eine positive Fehlerkultur

Es gibt natürlich Fälle, in denen das Universum dir »mit der Bratpfanne auf den Kopf haut«, da gilt es dann, Kurskorrekturen vorzunehmen. Meistens gibt sie das Leben aber ohnehin vor. Doch das hat überhaupt nichts mit Fehlern zu tun, sondern mit neuen Pfaden, die du betrittst. Diese Veränderungen bedeuten Fortschritt in deinem Leben, bedeuten Wachstum und Fülle. 

1. Aus Fehlern lernt man: Hab Vertrauen in deine Entscheidungen

Wichtig ist: Die Klassifizierung als »Fehler« und die meist negative Einordnung halten positive Entwicklungen nur auf. Diese Einordnung hält dich zurück, befeuert deine Scham und hilft dir nur wenig weiter. Ich persönlich ziehe es vor, wenn ich in die Situation von Selbstbeurteilung oder -verurteilung gerate, mir das bewusst zu machen und mich bedingungslos anzunehmen. Ich sage mir dafür regelmäßig das Mantra: »Ich liebe mich bedingungslos.« Und dann kannst du darauf vertrauen, dass du das Richtige tust.

Die deutsche Neurose, immer das Schlechte zu sehen, immer das halbvolle Glas zu betrachten, findet in der Fehlerkultur beim Fußball zugegebenermaßen ihren absoluten Höhepunkt. Nachweisbare »Fehler« allüberall, ein wahres Fest für die Scham und ihre kleine Schwester, die Angst.

Doch auch da widerspreche ich: Ein Spieler muss in einem Spiel rund zehntausend Entscheidungen treffen, und er tut dies immer im Glauben, das Richtige zu tun. Deshalb ist es auch hier nicht korrekt, von Fehlern zu sprechen. Der Kollege Zufall spielt ebenso eine Rolle wie der Gegner. Da nicht alle Komponenten immer berechenbar sind, verlässt sich der Profi auf seine Intuition, und in neun von zehn Fällen liegt er richtig. Beim nächsten Mal weiß er dann vielleicht Bescheid und kann seine Strategie anpassen, weil er weiß, wie es nicht funktioniert.

 

2. Fehler machen ist menschlich: Sei nicht so streng mit dir

Jeder Mensch macht mal einen Fehler, denn Fehler machen ist menschlich. Die Frage ist nur, wie du damit umgehst? Wenn bei dir die kleinsten scheinbaren Verfehlungen schon zu Verstimmungen und Selbstzweifeln deiner ganzen Person werden, solltest du versuchen, die Vogelperspektive einzunehmen.

War deine Panne wirklich so schlimm oder kannst du für einen Moment die Ernsthaftigkeit vergessen und einen Fehler, bei dem niemand zu Schaden gekommen ist, einfach mit Humor nehmen? Lache einfach mal herzlich über dich selbst und gestehe dir kleine Schwächen bzw. Pannen im Alltag zu.


3. Manche Fehler muss man selber machen: Vergleiche dich nicht mit anderen

Sicher hast du dir in der einen oder anderen Situation schon mal gedacht: Dieser Fehler passiert mir garantiert nicht. Und prompt einen Monat später passiert genau dir genau das gleiche. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass du gewisse Erfahrungen einfach selbst machen musst, um sie für dich zu verinnerlichen. 

Es bringt außerdem nichts, dich mit anderen zu vergleichen und dir selbst Druck zu machen. Versuche stattdessen, immer deine ganz individuelle Persönlichkeit und Situation zu betrachten, in der du aus bestem Willen und Wissen handelst.

 

4. Fehler akzeptieren: sei authentisch und zeig dich so wie du bist

Wie bereits erwähnt, bringt es dir und anderen überhaupt nichts, dich für deine Person zu schämen und zu verstecken, nur weil du einmal einen Fehler gemacht hast und nicht schlecht vor anderen da stehen möchtest. Ganz im Gegenteil – wer auch seine vermeintlich »schlechten« Seiten präsentiert, kann sich anderen als einzigartige Person zeigen und wird häufig eher akzeptiert als jemand, der scheinbar ein perfektes Leben ohne Fehltritte und Irrwege führt.

Das ist der Schlüssel zur Authentizität: zeig dich ganz so, wie du bist und achte nicht darauf, was andere an diesem Sein stören könnte. 

Und noch ein kleiner Tipp zum Schluss: Die »Arbeit an sich selbst« kannst du übrigens an dieser Stelle auch sofort einstellen. Du bist perfekt, so wie du bist. Die unablässige Sucht, sich irgendwie zu verbessern, ist der direkte Weg zurück in die Scham. Du bist ein perfektes Wesen, in einem wunderbaren Körper. Du hast den höchsten Standard längst erreicht, mehr geht einfach nicht! Genieß es. Fehlerlos, schamlos und unbeschwert.
 

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