Vermeidender Bindungsstil: Anzeichen und Umgang mit diesem Bindungstyp

Tipps von Kennenlernphase bis Beziehung mit einem vermeidenden Bindungsstil

Zwischen Angst und Überforderung

Der britische Psychoanalytiker John Bowlby ging davon aus, dass die frühkindlichen Beziehungen zu unseren primären Bezugspersonen einen entscheidenden Einfluss auf unser späteres Bindungsverhalten haben. Aus seinen Beobachtungen entwickelte er die Bindungstheorie

Dementsprechend neigen Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil dazu, emotionale Nähe und Intimität zu vermeiden, da sie gelernt haben, sich auf sich selbst zu verlassen und von anderen emotional unabhängig zu bleiben. Wahrscheinlich wurden in der Kindheit emotionale Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt. Um sich vor Enttäuschungen oder Zurückweisung zu schützen, schaffen sie eine innere Distanz zu anderen – insbesondere in engen Beziehungen.

Im Gegensatz zum sicheren Bindungstyp, der Nähe und Vertrauen zu anderen Menschen gut aushalten kann, fühlt sich der vermeidende Bindungstyp in emotional aufgeladenen Situationen schnell überfordert. Dieser Bindungsstil unterscheidet sich auch von der ängstlichen Bindung, bei der eine starke Abhängigkeit und ein Bedürfnis nach Nähe vorhanden ist, aber gleichzeitig Angst vor Zurückweisung besteht.

Vermeider:innen wirken oft kühl, distanziert oder wenig engagiert – sowohl in Liebesbeziehungen als auch in Freundschaften oder familiären Verbindungen. In Wahrheit verbirgt sich hinter diesem Verhalten aber eine tiefe Angst vor Verletzungen und emotionalem Schmerz.

 

Daran erkennst du den vermeidenden Bindungstyp

Im Kopf eines Vermeiders bzw. einer Vermeiderin schrillen regelmäßig die Alarmglocken. Wird es ihr oder ihm zu eng in einer Beziehung, schreit alles nur »Weg!«, und zack, ist emotionaler Rückzug angesagt. Die folgenden Verhaltensmuster sind typisch für Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil.

Manche scheuen körperliche Nähe nicht, aber sie scheuen immer Verletzlichkeit.
Birgit Fehst in »Harte Wahrheiten aus dem Leben einer Paartherapeutin«

Birgit Fehst über den vermeidenden Bindungstyp

1. Emotionale Distanz

Emotionale Intimität ist extrem unangenehm für sie, in engen Bindungen fühlen sie sich schnell unwohl. Wenn Gespräche tiefer oder persönlicher werden, bleiben sie betont oberflächlich, lenken ab oder ziehen Themen ins Lächerliche. Viele entwickeln über die Jahre auch Strategien, um vermeintlich bedrohliche Nähe und Intimität zu vermeiden. 

Typische Sätze:

  • »Lass uns doch einfach das Leben genießen.«
  • »Ach, reden wir doch einfach über was anderes.«
     

2. Schwierigkeit mit Verpflichtungen

Langfristige Beziehungen oder Verpflichtungen sind eine echte Herausforderung. Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil legen viel Wert auf ihre Unabhängigkeit und wollen sich weder emotional noch praktisch an andere binden. Dies zeigt sich oft in einer gewissen Zurückhaltung, sich auf gemeinsame Pläne oder Zukunftsperspektiven einzulassen. 

Typische Sätze:

  • »Ich will nichts überstürzen. Lass uns einfach sehen, wo das hinführt, ohne uns auf etwas Festes festzulegen.«
  • »Lass uns mit dem Zusammenziehen lieber noch ein paar Jahre warten.«
Manche vermeiden (…) lange Beziehungen auch komplett, haben nur sehr kurze und wechselnde Partnerschaften.
Birgit Fehst in »Harte Wahrheiten aus dem Leben einer Paartherapeutin«

3. Schwaches Kommunikationsverhalten

Über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse sprechen? Für vermeidende Beziehungstypen ein Graus! In Konfliktsituationen ziehen sie sich oft zurück, anstatt die Probleme aktiv anzugehen – denn damit fühlen sie sich unwohl. Oft wirken sie deshalb verschlossen.  

Typische Sätze: 

  • »Ich muss noch schnell was erledigen. Können wir das später klären?«
     
  • »Ich verstehe nicht, warum wir uns immer wieder mit dem gleichen Kram auseinandersetzen müssen. Lass uns einfach chillen.«
     

4. Gefühle vermeiden

Vermeidende Bindungstypen neigen dazu, in ihren Beziehungen einen logischen, rationalen Ansatz zu verfolgen. Sie bleiben lieber sachlich, anstatt sich auf die emotionalen Aspekte einer Beziehung einzulassen. Gefühle sehen sie als ineffizient oder störend, und sie vermeiden es, sich von ihnen leiten zu lassen.

Typische Sätze: 

  • »Das macht alles keinen Sinn, wenn wir emotional werden. Lass uns einfach rational darüber reden.«
     
  • »Ich denke, wir sollten die Sache nüchtern betrachten. Gefühle sind uns jetzt nur im Weg.«

So gehst du mit einem vermeidenden Bindungsstil um

Du hast jemanden kennengelernt, alles lief super, die Chemie hat gestimmt – doch dann war da plötzlich eine Mauer? Oh ja, ich weiß: Der Umgang mit einem Menschen mit vermeidendem Bindungsstil kann eine Herausforderung sein. 

Jetzt ist Verständnis, Geduld und klare Kommunikation gefragt. Für dich als Partner:in ist zunächst wichtig zu erkennen, dass das Verhalten nicht unbedingt aus Mangel an Liebe oder Zuneigung resultiert, sondern einfach ein erlernter Schutzmechanismus ist. 

Hier sind einige Strategien, wie du auf gesunde Weise mit dem vermeidenden Bindungstyp umgehen kann:

 

1. Zeige Verständnis und Empathie 

Das vermeidende Bindungsverhalten beruht auf tief verwurzelten Ängsten vor Verletzlichkeit und Nähe – halte dir das stets vor Augen! Anstatt das Verhalten deines Gegenübers also persönlich zu nehmen oder als Ablehnung zu interpretieren, versuche, empathisch zu reagieren

Vermeide Vorwürfe oder Kritik, da dies das Bedürfnis nach Distanz nur verstärken könnte. Versuche stattdessen, die Person so zu akzeptieren, wie sie ist, und erkenne, dass der Rückzug oft eine Schutzreaktion ist.
 

2. Habe Geduld und nimm ein langsames Tempo

Vermeider:innen brauchen Zeit, um Vertrauen aufzubauen und sich emotional zu öffnen. Gib der Beziehung Zeit, sich zu entwickeln, ohne Druck auszuüben oder zu viel Nähe auf einmal zu verlangen. 

Sei geduldig, wenn dein Gegenüber sich zurückzieht, und gib der Person den Raum, den sie braucht, um sich sicher zu fühlen. Zu viel Eile kann als Bedrohung empfunden werden und zu weiterem Rückzug führen.
 

3. Setze Grenzen

Ja, es ist wichtig, auf die vermeidende Person zu achten. Gleichzeitig darfst du dich selbst nicht vernachlässigen! Setze klare, aber einfühlsame Grenzen und kommuniziere, was du in der Beziehung brauchst, um dich wohlzufühlen. 

Es ist absolut legitim, emotionale Unterstützung und Intimität einzufordern, aber es sollte respektvoll und in einem verständnisvollen Rahmen geschehen.
 

4. Fördere Kommunikation

Vermeidende Bindungstypen haben oft Schwierigkeiten, über ihre Emotionen zu sprechen, besonders wenn es um Nähe oder Konflikte geht. Versuch also, ein Umfeld zu schaffen, in dem offene Kommunikation möglich ist, ohne dass sie als bedrängend empfunden wird. Setze auf respektvolle und nicht-konfrontative Gespräche, bei denen dein Gegenüber sich sicher fühlt. 

Ganz wichtig: Wenn die Schwierigkeiten in der Beziehung zu belastend werden oder wenn es wiederholt zu Missverständnissen und Konflikten kommt, kann der Besuch einer Paartherapie oder eines Beziehungscoachings hilfreich für euch sein. 

Oft sind es leider eher die Partner:innen der vermeidenden Beziehungstypen, die Hilfe in meiner Praxis suchen. Dabei können gerade Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil nur davon profitieren, sich professionelle Hilfe zu suchen.

 

Was tun, wenn du selbst einen vermeidenden Bindungsstil hast?

Erkennst du dich selbst als vermeidenden Bindungstypen wieder? Dann ist ein erster Schritt, dir deiner Verhaltensmuster bewusst zu werden. 

So kannst du damit umgehen: 

  • Reflektiere, wie deine Angst vor Nähe und Verletzlichkeit deine Beziehungen beeinflusst.
     
  • Vielleicht möchtest du auch tiefer in deine Kindheitserfahrungen schauen, um zu verstehen, wie sich dieser Bindungsstil entwickelt hat.
     
  • Nun kannst du damit beginnen, schrittweise offener für emotionale Intimität zu werden. Setze dir kleine Ziele, um Vertrauen aufzubauen, etwa das Teilen persönlicher Gedanken oder das Eingehen auf die emotionalen Bedürfnisse anderer.
     
  • Gehe hier ganz bewusst und in deinem eigenen Tempo vor. Auf lange Sicht wird es dir helfen, deine Beziehungen zu stärken und mehr Nähe zuzulassen.

 

Fazit: Kann man vermeidende Bindungstypen heilen? 

Die Neigung, emotionale Intimität zu vermeiden, kann oft als Desinteresse oder Ablehnung missverstanden werden. Stattdessen steckt hinter dem vermeidenden Bindungstyp meist eine tiefe Angst vor Nähe und Verletzlichkeit. 

Aber ich sage euch: Auch Vermeider:innen können erfüllende und liebevolle Beziehungen führen – wenn beide Partner:innen bereit sind, an sich selbst und ihrer gemeinsamen Verbindung zu arbeiten. 

Wer eine Beziehung mit einem vermeidenden Beziehungstypen leben will, braucht:

  • eine gute Kommunikation
  • viel Geduld
  • Verständnis und Einfühlungsvermögen
  • ein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen 

Für Menschen, die selbst einen vermeidenden Bindungsstil haben, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und Mustern der erste Schritt zur Veränderung. Mit Selbstreflexion und gegebenenfalls professioneller Unterstützung können auch die Vermeider:innen lernen, Nähe zuzulassen und tiefere emotionale Bindungen aufzubauen.

Quellen: 

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