Grenzen setzen: Mit diesen Übungen und Formulierungen gelingt’s

Wie du deine eigenen Grenzen erkennst und für sie einstehst

Grenzen setzen: Warum ist es so schwer, Nein zu sagen?

Ein »Nein« fühlt sich oft nicht gut an. Viele von uns schlagen ungern eine Bitte aus, denn wir haben gelernt, hilfsbereit zu sein. Etwas abzulehnen, fühlt sich deshalb schnell egoistisch und unhöflich an. Dahinter steckt aber viel mehr als eine gewisse »Etikette« im persönlichen Umgang miteinander. Die Schwierigkeit, »Nein« zu sagen, resultiert aus emotionalen Mechanismen, die tief in uns verankert sind:

  • Angst vor Ablehnung: Wir befürchten, dass andere uns nicht mehr mögen oder enttäuscht sind, wenn wir eine Bitte ausschlagen.
     
  • Schuldgefühle: Wir denken, wir müssten helfen, auch wenn wir selbst am Limit sind, und fühlen uns egoistisch, wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse voranstellen.
     
  • Selbstwertproblematik: Unser Selbstwert ist oft daran geknüpft, gebraucht zu werden, wir suchen nach Anerkennung anderer.
     
  • Konfliktvermeidung: Wir möchten keinen Streit verursachen und überfordern deshalb lieber uns selbst.

Das Ironische daran? Je mehr wir versuchen, Harmonie zu bewahren, desto größer wird oft die innere Unruhe.

Natürlich wollten wir unser ganzes Leben lang bis zu einem gewissen Grad anderen Menschen gefallen und gaben daher den Bedürfnissen, Wünschen, Erwartungen und Gefühlen und Meinungen anderer Menschen Vorrang.
Natalie Lue in »Du musst nicht allen gefallen«

People Pleasing: Wenn Gefallen wichtiger wird als das eigene Wohlbefinden

Das Phänomen, es allen recht zu machen, hat einen Namen: »People Pleasing«. Wir möchten anderen gefallen und Gefallen tun. People Pleaser stellen die Bedürfnisse anderer systematisch über die eigenen. Oft steckt dahinter die Angst, abgelehnt zu werden, nicht dazuzugehören oder als egoistisch zu gelten.

»Aufgrund unserer Konditionierung konzentrieren wir uns hauptsächlich auf die Außenwelt. In Kindheit und Jugend hat man uns beigebracht zu glauben, was andere Leute über uns denken, sei wichtiger als das, was wir über uns selbst denken. Daher läuft ein großer Teil unseres Verhaltens und Handelns darauf hinaus, uns den Beifall anderer
zu verdienen«, schreibt Joseph Nguyen in seinem Buch Hör auf, dir selbst im Weg zu stehen.

Besonders Frauen sind durch Erziehung, gesellschaftliche Rollenbilder und Erwartungen dazu konditioniert worden, »nett« zu sein – eine Erwartungshaltung, die auch heutzutage noch oft mitschwingt. Man kennt die Doppelmoral: Wenn ein Mann auf sich achtet, weiß er, was er will. Wenn eine Frau auf ihre Bedürfnisse hört, ist sie eingebildet und anstrengend. Wenn sie »Nein« sagt, ist sie zickig. Doch dauerhaft kostet uns das ständige Ja-Sagen Kraft, Selbstachtung und oft auch die Verbindung zu uns selbst.

Diese Konditionierung wirkt oft unbewusst und das macht es schwer, die eigenen Bedürfnisse überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn zu vertreten. Aber keine Sorge: Das ist okay und geht vielen so.

Erkenntnis ist der erste Schritt zur Veränderung. Wenn man gelernt hat, immer hilfsbereit zu sein und auf das Gegenüber zu achten, bedeutet es natürlich Arbeit, zu lernen, eigene Grenzen zu setzen. Aber es ist machbar. Und: Je öfter du »Nein« sagst, umso einfacher wird es dir fallen.

Wie du deine eigenen Grenzen erkennst

Bevor du gesunde Grenzen setzen kannst, musst du sie selbst wahrnehmen und anerkennen. Oft ist das gar nicht so leicht – besonders wenn du jahrelang gegen sie gelebt hast. Woran merke ich eigentlich, dass etwas entgegen meiner eigenen Bedürfnisse geht?

Du kannst lernen, eigene Grenzen zu erkennen. Achte auf folgende Signale:

  • Du fühlst dich nach bestimmten Gesprächen oder Treffen erschöpft oder genervt.
  • Du hast regelmäßig das Gefühl, »funktionieren« zu müssen.
  • Du spürst inneren Widerstand, sagst aber trotzdem »Ja«.
  • Du hast keine Zeit mehr für dich – und weißt nicht, wie das passiert ist.
  • Dein Körper sendet Warnsignale: Schlafprobleme, Verspannungen, Gereiztheit.

Grenzen zeigen sich nicht nur im Kopf, sondern oft zuerst im Körpergefühl. Achte auf dein Bauchgefühl, deine Energie und deine Bedürfnisse. Du kannst z. B. ein Journal führen, in dem du die oben stehenden Punkte reflektierst. So lernst du dich selbst wieder besser kennen und erkennst langfristig Muster, in welchen Situationen du gegen deine eigenen Bedürfnisse handelst.

Beobachte, was du von einer Sache denkst oder wie du dich dabei fühlst: 

  • Hat man dich um etwas gebeten, oder erwartest du es von dir selbst und hast deshalb beschlossen, es zu tun? 
     
  • Fühlt es sich an wie ein Wunsch oder wie eine Verpflichtung? 
     
  • Machst du dir Sorgen, wie du auf andere wirkst? 

 

So testest du, wo deine persönlichen Grenzen liegen

Die folgende Übung kann dir helfen zu erkennen, ob du etwas aus Pflichtbewusstsein tust (und hinterfragen solltest, ob hier eine Grenze gesetzt werden muss) oder ob du es gerne tust:

  1. Denk an etwas, das du gerne getan hast. Was hast du dabei empfunden? Selbst, wenn du ein wenig nervös warst, was hast du gedacht?
     
  2. Orientiere dich an dem Beispiel, um zu erkennen, wie es sich anfühlt, etwas zu wollen. Verpflichtungen, Regeln oder emotionale Erpressung fühlen sich anders an. Wenn du dich fügst, anstatt gerne zuzustimmen, ruft das andere Gefühle hervor.
Je mehr Zeit, Energie, Mühe und Emotionen du damit verbringst, unauthentisch Ja zu sagen, desto weniger Ressourcen hast du.
Natalie Lue in »Du musst nicht allen gefallen«

Warum gesunde Grenzen so wichtig sind

Es mag drastisch klingen, aber es liegt ganz allein an dir, wie und wo du deine eigenen persönlichen Grenzen setzt und ob andere deine Grenzen überschreiten. Nur du kannst dich darum kümmern, sie zu setzen und einzuhalten. Darauf zu vertrauen, dass andere sich um dein Wohl kümmern und dir deine Bedürfnisse von den Augen ablesen, ist eher unwahrscheinlich.

Langfristig ist dies auch kein Ansatz, der dich gefühlsmäßig stärken wird. Er bewirkt sogar eher das Gegenteil: Er besagt, dass du deine Macht aus der Hand gibst und deine innere Stimme ignorierst.

Die Relevanz von Grenzen zieht sich durch alle Lebensbereiche. Umso wichtiger ist es, für alle Bereiche die eigenen Grenzen auszuloten und zu justieren.

 

Grenzen setzen in Beziehungen:

Ohne Grenzen verschwimmen Identitäten. Es entsteht eine emotionale Abhängigkeit, es kommt zu Missverständnissen und Überforderung.

Daran kannst du erkennen, dass deine Grenzen erreicht sind: 

  • du tust regelmäßig Dinge, die sich für dich nicht stimmig anfühlen.
  • du bist nach einem Treffen erschöpfter als vorher.
  • du stellst deine eigenen Bedürfnisse immer hintenan.
  • du hast das Gefühl, eher fremdgesteuert zu sein und dich selbst zu verlieren.
     

Mit klaren Grenzen entsteht echter Respekt und tiefere Verbindung, sowohl in Liebesbeziehungen als auch in Freundschaften. Sei ehrlich zu deinem Gegenüber, etwa indem du sagst »Ich merke, dass ich heute Zeit für mich brauche, um wieder aufzutanken« oder »Ich schaffe es heute nicht, dir zu helfen, weil ich meine Energie gerade für mich selbst brauche.«
 

Grenzen setzen im Job:

Wer ständig über die eigenen Ressourcen geht, brennt aus. Gesunde Grenzen helfen dir, deine Energie, mental und physisch, zu schützen. Sie erlauben dir, effizienter zu arbeiten und dich beruflich weiterzuentwickeln, ohne dich selbst dabei zu verlieren.

Du merkst, dass deine beruflichen Grenzen erreicht sind, wenn: 

  • du regelmäßig Überstunden machst, ohne Erholung zu finden.
  • du Aufgaben übernimmst, die nicht zu deinem Verantwortungsbereich gehören, nur um Konflikte zu vermeiden.
  • deine Konzentration, Motivation oder Gesundheit leiden.
  • du schon Sonntagabend von der neuen Woche gestresst bist.

Mache klar, wenn etwas nicht in deinen Aufgabenbereich fällt und stehe für deinen Feierabend ein. Grenzen setzen heißt, nicht alle unliebsamen Aufgaben einfach zu übernehmen. Denn Neinsagen hat nichts mit fehlender Motivation zu tun, sondern mit dem gesunden Haushalten deiner eigenen Ressourcen. Denn nur wenn du auf dich achtest, kannst du auch im Job gute Arbeit leisten.

Grenzen setzen für dein inneres Gleichgewicht:

Grenzen schaffen Klarheit. Sie geben dir die Kontrolle über dein Leben zurück, denn du entscheidest, worin du deine Zeit und Energie investierst, nicht andere. Grenzen sind ein Akt der Selbstachtung – und ein Zeichen an dich selbst: Ich bin wichtig. Ich bin kein:e Zuschauer:in in meinem eigenen Leben, sondern ich bin die Hauptperson.

Weil es jeden Bereich deines Lebens betrifft, ist es wichtig, gesunde Grenzen zu setzen. Nur so kannst du deine eigene Integrität bewahren und deine Selbstachtung stärken.

Die folgenden Affirmationen können dir dabei helfen, dir die Relevanz von gesunden Grenzen vor Augen zu führen und es dir leichter zu machen, diese Grenzen zu setzen:

  • »Ein Nein zu anderen ist ein Ja zu mir.«
  • »Ist es kein klares Ja, ist es ein Nein.«
  • »Ich bin nicht verantwortlich für die Gefühle von anderen.«
  • »Ich darf Nein sagen – ohne mich zu rechtfertigen.«
  • »Meine Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die der anderen.«
     

Grenzen setzen – so gelingt es in 5 Schritten

1. Klarheit schaffen

Was willst du – und was nicht? Welche Situationen oder Menschen kosten dich regelmäßig Energie? Wo spürst du inneren Widerstand? Erstelle eine Art »Grenzen-Inventur«. Das kann dir als Bestandsaufnahme deiner täglichen Energieräuber dienen. Du kannst dir notieren, wie du dich jeweils fühlst, was du eigentlich bräuchtest und welche Grenze dir helfen könnte. So erkennst du mit der Zeit Muster und wirst dir deiner Belastungsgrenzen bewusster.
 

2. Übe dich im Nein-Sagen

Beginne mit kleinen Schritten. Sage freundlich, aber bestimmt Nein, ohne dich zu rechtfertigen:

  • »Danke, aber das passt gerade nicht für mich.«
  • »Ich brauche heute Zeit für mich.«
  • »Ich kann das gerade nicht übernehmen.«
     

3. Erlaube dir, unbequem zu sein

Du bist nicht dafür da, anderen zu gefallen. Menschen, die dich wirklich respektieren, akzeptieren auch dein Nein.
 

4. Grenzen kommunizieren – klar und respektvoll

Grenzen setzen heißt nicht, Mauern zu bauen. Es bedeutet, klar und ehrlich mitzuteilen, was du brauchst und dafür einzustehen.
 

5. Dranbleiben & reflektieren

Das neue Verhalten kann sich anfangs hart anfühlen. Das ist normal. Denk dran: Du sagst nicht Nein, weil du nicht helfen willst. Sondern weil du mit deinen Ressourcen haushaltest und auf dich selbst achtest. Versuche, das Gefühl von Egoismus abzuschütteln. Ein Nein ist keine Beleidigung.

 

Im Podcast: Melanie Wolfers über Grenzen

In dieser Podcast-Episode spricht Philosophin und Mutmacherin Melanie Wolfers darüber warum es so schwerfällt, »Nein« zu sagen und welche Ängste und gesellschaftlichen Prägungen dahinterstecken. Sie zeigt auf, wie wir lernen können, mit Mut, Klarheit und Selbstachtung gesunde Grenzen zu setzen.

 

 

Fazit: Grenzen sind ein »Ja« zu dir selbst

Grenzen zu setzen, ist nicht egoistisch, sondern ein Akt der Selbstfürsorge. Je besser du auf dich hörst und anhand deiner eigenen Bedürfnisse und Kapazitäten handelst, desto authentischer und präsenter führst du dein Leben. Und umso besser kannst du auch für andere da sein. Selbst, wenn sich ein »Nein« erst einmal nach dem Gegenteil anfühlt.

Du bist nicht hier, um dich zwischen Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung selbst zu verlieren – sondern um du selbst zu sein. Dafür musst du wissen, was dir gut tut. Und wo Grenzen überschritten werden. Der Weg zu mehr Authentizität beginnt oft mit einem einfachen Wort: »Nein«.