Was erwarte ich von einer Beziehung? Tipps für realistische Erwartungen
»Das kann ich ja wohl erwarten!« sagt sie und fuchtelt mit den Händen in der Luft herum, seufzt schwer und nippt an ihrem Flat White. Ich sitze im Café und belausche ein Gespräch zwischen zwei Freundinnen. Es geht – natürlich – um die Beziehung zu einem Mann.
»Ja«, denke ich: was können wir eigentlich erwarten? Darüber habe ich schon oft nachgedacht.
- Kann Monique erwarten, dass der Mann, den sie liebt, die Wäsche auch, nach Farbe sortiert, auf den Wäscheständer hängt, wie sie?
- Kann Jens erwarten, in einer Beziehung mit Respekt behandelt zu werden?
- Kann Emma erwarten, dass ihr Mann immer weiß, wenn sie gerade eine Fußmassage braucht?
- Kann Paul erwarten, dass sich sein Freund nicht vor allen auf der Party über ihn lustig macht?
Ich finde das mit den Erwartungen ziemlich knifflig und habe sehr lange darüber nachgedacht.
Sind deine Beziehungs-Erwartungen zu hoch?
Einerseits heißt es ja im Buddhismus, wir sollen nicht an Erwartungen anhaften, wir sollen erwartungsfrei leben, denn wer nichts erwartet, kann nicht enttäuscht werden. Es ist immer wieder die Rede von »bedingungsloser Liebe«, denn die Frage ist natürlich: Liebe ich meine:n Partner:in nur, wenn er/sie bestimmte Dinge tut und andere Dinge nicht? Dann könnte ich ja genauso gut mit einem gut dressierten Äffchen zusammen sein.
Wir leben tatsächlich immer noch oft in dem Glauben, mit einer Beziehung einen Kuhhandel einzugehen. Gibst du mir dies, gebe ich dir das. Sex für Treue oder Aufmerksamkeit für Wertschätzung. Damit sind wir allerdings verzweifelt Brauchende und nicht freie Liebende. Wir brauchen dann unsere:n Partner:in, damit er etwas liefert. Liefert der/die Partner:in nicht, sind wir enttäuscht und tauschen ihn/sie aus.
Früher war das mit dem Handel auch ganz offiziell so: die Frau macht den Haushalt und der Mann bringt dafür das Geld nach Hause – unterschreiben sie bitte hier. Mittlerweile gibt es aber auch viele Männer, die ihre Kinder kennenlernen und Frauen, die im Vorstand eines Dax-Unternehmens sitzen oder Außenministerin sein wollen. Das heißt, wir brauchen jetzt neue Lösungen. Und die finden wir vor allem in unserem eigenen Denken.
Kenne deine Erwartungen an den Partner/die Partnerin
Je mehr wir uns mit uns selbst beschäftigen und wissen, was wir eigentlich wirklich wollen, desto weniger müssen wir uns mit diesen Fragen im Alltag rumquälen. Denn desto seltener werden wir Menschen in unser Leben lassen, die uns anschreien, respektlos behandeln, sich lustig über uns machen oder ignorieren.
Der Psychologe John Bargh von der Yale Universität hat in seinem Buch »Vor dem Denken–wie das Unbewusste uns steuert« darüber geschrieben, dass wir unser Unterbewusstsein trainieren können. Indem wir nämlich immer und immer wieder über ein Thema nachdenken und uns damit beschäftigen, signalisieren wir unserem Unterbewusstsein: »Achtung, das ist wichtig! Darauf musst Du achten!«
Das heißt, wir können uns selbst fragen, was uns in einer Beziehung eigentlich wichtig ist und zum Beispiel eine Liste anlegen:
- Mir ist wichtig, dass mein Partner mich und meine Bedürfnisse respektiert.
- Ich möchte auch weiterhin jeden Donnerstag zum Kerzenziehen gehen.
- Mir ist wichtig, dass wir tiefe und hintergründige Gespräche über das Leben führen.
Je präziser und je öfter wir darüber nachdenken, desto mehr wird unser Bewusstsein dafür sorgen, dass wir auch bekommen, was wir wollen. Wir programmieren es quasi in uns hinein. Wenn jemand beim ersten Date das nächste Mal respektlos der Kellnerin gegenüber ist, sich übers Kerzenziehen lustig macht und nur Small Talk anzubieten hat, wird dieser jemand nicht auf Wiedervorlage gesetzt, sondern direkt aussortiert.
Auf diese Weise kommen wir auch gar nicht auf die Idee, trotzdem auf ein zweites Date mit diesem Menschen gehen zu wollen. Denn wir wissen ja, was uns wichtig ist, wir haben es unserem Unterbewusstsein oft genug gesagt.
Bevor wir also von einem Partner oder einer Partnerin verlangen können, uns treu zu sein, müssen wir erstmal lernen, uns selbst wirklich treu zu bleiben, indem wir genau mit den Menschen Zeit verbringen, mit denen wir auch Zeit verbringen wollen. Und indem wir genauso leben, wie wir wirklich leben wollen. Dafür müssen wir uns und unsere Werte kennen und alles, was uns wirklich wichtig ist.
Erst, wenn das erledigt ist, können wir den nächsten Schritt gehen.
Realistische Erwartungen definieren mit 3 Kategorien
Sortiere dich und schreibe doch mal 10 Erwartungen auf, die du an eine Beziehung oder an deine:n Partner:in hast.
Ich habe mir folgendes System ausgedacht:
Kategorie 1: absolut unverhandelbare Erwartungen
Darunter fallen eben Erwartungen wie: ich erwarte, dass mein:e Partner:in mich nicht schlägt, mich respektiert und mir nicht sagt, was ich zu tun habe.
Kategorie 2: verhandelbare Erwartungen
Dazu gehören Erwartungen , wie der Haushalt. Dass man das in einer Partnerschaft irgendwie fair aufteilt, steht hoffentlich außer Frage – aber WIE das gehen kann, dass muss jedes Paar selbst und individuell aushandeln. Darüber müssen wir sprechen. Was ist mir wichtig? Ich gehe zum Beispiel wirklich gerne Lebensmittel einkaufen und plane Mahlzeiten. Dafür hängt mein Partner die Wäsche auf und die Kinder sortieren sie mittlerweile selbst in ihre Schränke ein, weil ich das abgrundtief hasse.
Aber wir müssen darüber reden! Wir können nicht erwarten, dass unser:e Partner:in uns aus lauter Liebe von den Augen abliest, welche Aufgabe im Haushalt wir nicht machen wollen.
Kategorie 3: Kann weg – Erwartungen loslassen
Es ist manchmal, als würden wir erwarten, dass ein grüner Elefant jonglierend Aperol Spritz serviert, und dann sind wir total enttäuscht, wenn er nicht kommt. Wir haben oft ein festes Bild im Kopf davon, wie wir meinen, dass eine Beziehung zu funktionieren oder wie sich unsere Partnerin oder unser Partner zu verhalten hat. »Wenn wir wirklich zusammen gehören würden, wüsstest du, wie es mir geht!«
Und dieses unrealistische Bild schießt uns immer wieder ins Knie. Es boykottiert uns, sorgt für Leid, Enttäuschung und Trennung. Wir wollen Leidenschaft, Freundschaft, Kribbeln, tolle Dates, Abenteuer, Geborgenheit und eine Massage, wir wollen Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Verlässlichkeit.
Machen wir uns nichts vor: kein Mensch kann uns all das liefern. Das ist ein Job in dem niemand gut sein kann. Und muss er oder sie auch gar nicht: denn es ist nicht die Aufgabe einer anderen Person uns all das zu liefern.
Lass diese Erwartungen los. Wie das zum Beispiel gehen kann, dieses Loslassen steht im Buch »Liebe neu denken – dem Geheimnis glücklicher Beziehungen auf der Spur«.
Denn wir können selbst bestimmen, was wir erwarten, was wir denken und bis zu einem gewissen Grad sogar, was wir fühlen wollen in unserem Leben. Wir können uns selbst all das geben, was wir vielleicht jetzt noch von unserem Partner »verlangen« oder erwarten – es liegt in unserer Hand.
Flow-Zustand für mehr Achtsamkeit in der Partnerschaft
Wir können unser Leben so gestalten, dass wir uns selbst Abenteuer erschaffen und in den Flow kommen. Der Flow ist der Zustand, in dem wir ganz im Hier und Jetzt sind – unser Gehirn beschäftigt sich dann nur mit unserer aktuellen Tätigkeit. Wir gehen auf im Moment, sind glücklich und konzentriert, wenn wir zum Beispiel meditieren, malen, Sport machen, schnitzen, bauen, stricken oder basteln.
Passives Fernsehen oder Doomscrolling durch Social Media erzeugen keinen Flow. Je mehr Flow übrigens, desto weniger Sorgen und Ängste können wir uns machen. Der Arbeitsspeicher unseres Gehirns kann nämlich nicht beides: im Flow sein UND sich Sorgen machen – es geht nur eins von beidem.
Und so hängt alles zusammen: die Erwartungen in einer Beziehung, Self-Care, Flow und unsere Gedanken. Wir können jeden Tag selbst so viele kleine Stellschrauben in unserem Leben drehen und es dadurch so viel lebendiger, aufregender und schöner gestalten. Ohne, dass wir dafür eine andere Person BRAUCHEN.
Und was dann? Dann können wir eine andere Person einfach lieben. Und das mit den Erwartungen wird irgendwann plötzlich gar nicht mehr so wichtig.
In meinem neuen Buch »Liebe neu denken – dem Geheimnis glücklicher Beziehungen auf der Spur« geht es darum, wie wir uns selbst – mit Freude – die Beziehung erschaffen können, die wir selbst wirklich wollen.