Für sich selbst einstehen, statt sich ständig zu entschuldigen

Sorry, aber … Warum wir uns immer schuldig fühlen und um Entschuldigung bitten

Der Akt des Entschuldigens ist seit jeher fester Bestandteil des zwischenmenschlichen Zusammenlebens und ein wichtiger Teil sozialer Normen. Schon in der griechischen Mythologie spielten Entschuldigungen eine Rolle, doch in ihrer Bedeutung veränderten sie sich über die Zeit – abhängig von kulturellen Ritualen, Sozialisierungen oder gesamtgesellschaftlichen Erwartungen.

Dabei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle:

  • Wer entschuldigt sich bei wem? 
  • Wofür entschuldigt sich jemand und wie drückt sich die Person aus? 
  • In welcher Beziehung stehen die Personen zueinander? 

 

Fehlerkultur: Das bedeutet eine Entschuldigung

Entschuldigungen helfen uns erst einmal dabei, als Gesellschaft zusammenzuleben. Wir können nicht immer allen gerecht werden und oftmals verletzen wir andere Menschen, ohne es zu wollen. Aber Fehler sind menschlich. Sich diese Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen, ist daher notwendig für funktionierende Beziehungen. Wir brauchen Entschuldigungen, um von einer Verletzung durch das Verhalten einer anderen Person zu heilen.

Entschuldigungen bedeuten auch immer, dass eine Person weiß, dass ein Fehler begangen wurde.
Tara-Louise Wittwer in »Sorry, aber …«

Entschuldigungen sind also eine Form der Kommunikation: Sie drücken Bedauern aus oder können als Schadensbegrenzung verstanden werden.

Es gibt aber auch Entschuldigungen, die eigentlich einen Vorwurf oder Kritik beinhalten und gar nicht aufrichtig gemeint sind.

Ein Beispiel: »Entschuldigung, aber … das wird man doch wohl noch sagen dürfen.«

 

Wieso entschuldigen wir uns? 3 Faktoren spielen eine Rolle
 

  1. Einer der wichtigsten Faktoren, die beeinflussen, ob sich Menschen aufrichtig entschuldigen, ist dementsprechend ihr Verantwortungsgefühl für den Schaden oder die Beleidigung, die sie verursacht haben. Personen, die sich für die eigenen Handlungen verantwortlich fühlen, werden sich eher entschuldigen als diejenigen, die ihr Fehlverhalten nicht erkennen.
     
  2. Ein weiterer Faktor, der sich nachweislich auf die Bereitschaft zur Entschuldigung und die Bedeutung für das Gegenüber auswirkt, ist die Schwere des Vergehens. Personen, die einen schweren Schaden verursacht oder gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben, sind eher bereit, sich für ihr Handeln zu entschuldigen, als Personen, die nur einen kleinen Fehltritt begangen haben.
     
  3. Und auch das Geschlecht ist ein wichtiger Faktor, der die Bereitschaft zu einer Entschuldigung beeinflusst.

Tara-Louise Wittwer beschreibt, dass Frauen sich laut Untersuchungen häufiger entschuldigen als Männer – selbst wenn sie nichts falsch gemacht haben. Dazu tragen laut Wittwer diese Faktoren bei:

  • Sozialisierung von Frauen 
  • kulturelle Erwartungen
  • Machtdynamiken

Frauen wurden und werden häufiger als Männer darauf konditioniert, sich selbst kleinzumachen. Das zieht sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter.

Sich dieses Verhalten anzunehmen, wird von einem gängigen Narrativ unterstützt:

  • Mädchen sind »zickig«, Jungs sind »frech«.
     
  • Frauen, die für sich einstehen, werden gerne als »kompliziert« oder »bossy« bezeichnet, während für Männer andere Standards gelten: Sie sind »ehrgeizig« oder »selbstsicher«.
Die Idee, dass vor allem Frauen sich für Dinge, die normal bis notwendig sind, entschuldigen sollen, [...] hat viel mit Sozialisierung und Historie zu tun.
Tara-Louise Wittwer in »Sorry, aber …«

Beispiel:

Ein Beispiel, das schon fast ein Klassiker in den Erzählungen aus heterosexuellen Beziehungen ist, aber sicher oft genug genau so stattfindet: Der Konflikt, wenn der Mann vergisst, den Müll rauszubringen.

  • Frauen entschuldigen sich tendenziell eher für dieses »Vergehen«.
     
  • Männer hingegen empfinden das Vergessen des Müllrausbringens nicht als Fehler, den sie entschuldigen müssen, sondern als Sache, die sie schlicht vergessen haben und dementsprechend nachholen können.

In einer Studie der Psychologin Karina Schumann wurden Männer und Frauen sechs Tage lang in ähnlichen Situationen auf ihr Verhalten hin getestet: Zum Beispiel wurden die Proband:innen gefragt, ob sie das versehentliche Wecken einer Person um drei Uhr nachts als entschuldbare Tat empfinden. Das Ergebnis: Frauen haben sich dafür entschuldigt, Männer nicht.

Ich bitte um Ent-Schuldigung: Was bringt es, sich zu entschuldigen?

Gesprächspsychologisch betrachtet signalisiert eine Entschuldigung dem Gegenüber gleich mehrere Dinge. Zum einen zeigt sie, dass die Person, die sich entschuldigt, die Verantwortung für das eigene Verhalten übernimmt und den Wunsch hat, den entstandenen Schaden oder das Missverständnis zu beheben. Sie »ent-schuldigt« sich –in diesem Sinne fühlt die Person sich schuldig und gesteht sich diese Schuld auch ein. Mit einer Entschuldigung möchte sich die Person dieser Schuld entledigen und bittet um Vergebung beim Gegenüber.

Dies kann das Vertrauen zwischen den Gesprächspartner:innen stärken, sofern die Entschuldigung natürlich ernst gemeint ist.

Eine Studie des Sozialpsychologen Roy Lewicki aus dem Jahr 2016 hat ergeben, dass Entschuldigung am ehesten angenommen werden, wenn sie alle sechs der folgenden Punkte enthalten:

  1. Ausdruck von Bedauern
  2. Erklärung, was falsch gemacht wurde
  3. Aufsichnehmen der Verantwortung
  4. Bekunden von Reue (= Schuldbekenntnis)
  5. Angebot der Wiedergutmachung
  6. Bitte um Verzeihung

Gleichzeitig kann ständiges Entschuldigen aber auch soziale Dynamiken beeinflussen und unterbewusst ein bestimmtes Machtverhältnis festigen. Wer sich häufig entschuldigt, könnte unbewusst die untergeordnete Rolle in der Beziehung zwischen zwei Personen einnehmen.

 

Ständig um Entschuldigung bitten: Ursachen für vorschnelles Entschuldigen

Eine häufige Ursache für ständiges – und oft unnötiges – Entschuldigen ist das Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz.

Viele Menschen entschuldigen sich, um Konflikte zu vermeiden und Harmonie in ihren Beziehungen zu wahren. Dieses Phänomen nennt man »People-Pleasing«, also das Anpassen des eigenen Verhaltens, um es anderen recht zu machen.

Die klinische Psychologin Debbie Sorensen macht auf die Gefahren des sogenannten »People-Pleaser-Burnouts« aufmerksam: Menschen, die generell besonders lieb, aufmerksam und rücksichtsvoll sind, laufen auch eher Gefahr, es allen recht machen zu wollen und immer mehr zu geben als nötig. Und das nicht nur aus Angst, nicht zu genügen, sondern weil sie andere Menschen nicht enttäuschen oder übergehen wollen.

Dieser Wunsch nach Anerkennung und der Versuch des Nichtaneckens ist anstrengend, ermüdend und am Ende vor allem unmöglich. 

People Pleasing ist keine anerkannte Krankheit, kann allerdings in einem Burnout enden, was nach Klassifizierung übrigens auch keine Krankheit ist, sondern ein Syndrom.
Tara-Louise Wittwer in »Sorry, aber …«

Damit Hand in Hand geht ein niedriges Selbstwertgefühl. Unsichere Menschen glauben oft, dass sie andere stören oder belästigen. Eine Entschuldigung kann in solchen Fällen als eine Art Versicherung dienen, dass sie akzeptiert werden. Sätze wie: »Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten« oder »Entschuldigung für die Störung« sind allgegenwärtig.

Und dann gibt es Entschuldigungen, die einfach ein Ausdruck von Mitgefühl sind. Die betreffende Situation muss in dem Moment also gar nichts mit uns selbst und unserem Verhalten zu tun haben, oftmals kann man die Situation nicht einmal beeinflussen. Etwa, wenn das Gegenüber eine schwierige Zeit hat, die man lediglich anerkennt. Mit einem solchen »Tut mir leid« möchten wir schlicht unsere Anteilnahme ausdrücken.

 

Die 3 Arten von Entschuldigungen

Der Kontext einer Entschuldigung ist also wichtig.

Diese 3 Arten von Entschuldigen gibt es:

  1. Man entschuldigt sich für sein eigenes (Fehl-)Verhalten.
  2. Man möchte eine Unterhaltung oder eine Tatsache abschwächen.
  3. Man zeigt anderen Respekt.

Kontext bedeutet aber nicht nur, in welcher Situation man sich zwischenmenschlich befindet, sondern auch, in welchen äußeren Umständen man sich bewegt. Tatsächlich wird sich im Arbeitskontext viel häufiger entschuldigt – auch dann, wenn man eigentlich nichts für ein Geschehnis kann. Gerade in diesem Kontext bedeutet eine Entschuldigung also nicht automatisch, dass ich irgendeine Schuld habe.

 

Wieso entschuldigen wir uns für Umstände, die keine Entschuldigung erfordern?

Fakt ist: Oft entschuldigen wir uns für Dinge, die eigentlich keine Entschuldigung erfordern. Das kann daran liegen, dass wir uns für unsere eigene Existenz oder unseren Platz in der Welt rechtfertigen wollen.

Zum Beispiel entschuldigen wir uns, wenn wir jemanden versehentlich berühren oder unterbrechen, obwohl solche Handlungen oft keine ernsthaften Vergehen sind. Gleichzeitig sollte es natürlich keine Entschuldigung erfordern, dass wir buchstäblich Raum einnehmen.

Ein weiterer wichtiger Faktor kann die Erziehung sein, in der das Verhalten einer Entschuldigung so tief im Einmaleins des Miteinanders verankert ist wie das »Bitte« und »Danke«. Viele werden als Kinder zusätzlich dazu erzogen, sich schon für kleinste Vergehen zu entschuldigen (und umgekehrt auch, Entschuldigungen schnell anzunehmen), und dieses Verhalten wird dann im Erwachsenenalter fortgesetzt.

Außerdem kann es eine Gewohnheit sein, die wir uns über die Jahre angeeignet haben, oft ohne es bewusst zu merken. Eine Art Füllwort also.

 

Kleines Experiment: Wie oft entschuldigst du dich? 

Durchsuche doch deine Nachrichten an Freund:innen und Familie mal nach den Worten »sorry« oder »tut mir leid« – wie viele Nachrichten werden dir angezeigt? Und in wie vielen Fällen war die Entschuldigung wirklich notwendig und wann vielleicht nur eine Floskel oder Gewohnheit?

 

Sorry, aber … ich stehe für mich ein

Ist es also immer der richtige Weg, sich zu entschuldigen? Definitiv nicht. Gerade die unterschwelligen Bedeutungen einer Entschuldigung für zwischenmenschliche Beziehungen sind etwas, das wir regelmäßig reflektieren sollten.

Ist eine Entschuldigung gerade wirklich notwendig oder stelle ich mich selbst dabei zurück? Es gibt für fast jeden Impuls einer Entschuldigung andere Ausdrucksweisen, um dem Gegenüber Wertschätzung zu zeigen, ohne sein Licht dabei unter den Scheffel zu stellen.

 

Alternative Formulierungen für eine Entschuldigung
 

  • Statt »Sorry für die späte Antwort« lieber »Danke für deine Geduld«.
     
  • Statt »Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten« lieber »Vielen Dank für Ihr Verständnis«
     
  • Statt  »Sorry, dass ich dich störe« lieber »Hast du kurz Zeit für mich?«
     
  • Statt »Tut mir leid, das habe ich nicht gesehen« lieber »Danke, dass du mich darauf aufmerksam machst«.
     
  • Statt »Sorry, ich kann heute leider nicht« lieber »Ich schaffe es heute nicht, danke, dass du das verstehst«.
     
  • Statt »Entschuldige die vielen Fragen« lieber »Danke, dass du dir die Zeit für meine Fragen nimmst«.
     
  • Statt »Tut mir leid, dass ich das so sagen muss« lieber »Ich möchte ganz offen mit dir sein«.

 

Fazit: Ständiges Entschuldigen statt für sich einstehen

Entschuldigungen sind wichtig für das Zusammenleben und die Fehlerkultur, doch übermäßiges Entschuldigen kann das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigen und soziale Machtverhältnisse beeinflussen.

  • Das ständige Entschuldigen kann tief verwurzelte soziale und psychische Ursachen haben und von Erziehung und Beziehungsdynamiken beeinflusst sein.
     
  • Besonders Frauen entschuldigen sich aufgrund gesellschaftlicher Konditionierung häufiger als Männer.
     
  • Daher ist es wichtig, sich dieser Gewohnheiten bewusst zu werden, zu reflektieren, ob eine Entschuldigung notwendig oder einfach eine Floskel ist. Finde alternative Formulierungen, um dich nicht kleinzumachen und deine Selbstachtung zu stärken.
     
  • Statt sich ständig zu entschuldigen, ist es wichtig, für sich selbst einzustehen und Verantwortung zu übernehmen, ohne das eigene Verhalten ständig zu rechtfertigen.
     
  • Durch bewusste Kommunikation und das Einstehen für uns selbst können wir ein gesundes Gleichgewicht zwischen Höflichkeit und Selbstbehauptung erlernen.

 

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