Wie deine subjektive Wahrnehmung dein Leben beeinflusst
Definition: Was ist subjektive Wahrnehmung?
Die menschliche Wahrnehmung wird immer durch die eigenen Sinnesorgane beschränkt. Wenn du nun Informationen über die Umwelt gewinnen möchtest und gleichzeitig von der Vielzahl der Informationen nicht überfordert zu werden, greift dein Gehirn zum Mittel der Selektion bzw. Filterung der Informationen. Das bedeutet, dass deine subjektive Wahrnehmung nichts anderes als ein Selektions- und Organisationsprozess ist.
Obwohl bei allen Menschen die Reizaufnahme annähernd gleich von statten geht, ist die Wahrnehmung doch subjektiven Interpretationen ausgesetzt. Diese entscheiden, was sie wahrnehmen, wie sie Informationen und Situationen interpretieren, welche Bedeutung sie ihnen beimessen und welche Reaktion sie darauf zeigen.
Zudem spielt bei der subjektiven Wahrnehmung auch der Kontext eine große Rolle, da sich das menschliche Gehirn stets der Umgebung und ihren Herausforderungen anzupassen versucht. Die Verarbeitung und Bewertung von Reizen somit ganz subjektiv, da jeder Mensch seine eigenen und ganz individuellen Prägungen, Erfahrungen, Gene und Art und Weise zur Beurteilung der Umwelt hat.
So haben Studien gezeigt, dass man einen eintreffenden Reiz, z.B. einen Ton, ein Bild oder eine Berührung, jeweils anders verarbeitet, selbst wenn der Reiz genau derselbe ist. Wie sehr ein Stimulus die zuständigen Hirnregionen aktiviert hängt nämlich vom momentanen Zustand der Netzwerke ab, zu denen diese Regionen gehören. (Stangl, 2022).
Wie du also deine Lebensumstände, deine Mitmenschen und deine Umwelt wahrnimmst, hat einen entscheidenden Einfluss auf dein Selbstbild, dein Wohlbefinden, dein Kommunikationsverhalten und deine zwischenmenschlichen Beziehungen (Stangl, 2022).
Beispiele für eine subjektive Wahrnehmung
»Zwergpudel sind hinterlistige Biester«, da bist du dir sicher. Als du ein Kind warst, hat der Hund deines Nachbarn nach dir geschnappt und die ganze Nachbarschaft terrorisiert. Deswegen nimmst du dich noch heute vor Hunden in Acht. Deine Meinung über Zwergpudel oder vielleicht sogar allgemein Hunde wird sich nicht mehr verändern - nur wegen einem Ereignis als du klein warst.
Ein weiteres Beispiel für eine abweichende subjektive Wahrnehmung ist die Schwierigkeit, einen Unfall- oder sonstigen Tathergang zu rekonstruieren. Die verschiedenen Beteiligten beschreiben unterschiedliche Situationen.
Auch bei Paaren ist die subjektive Wahrnehmung oft ganz unterschiedlich. Wenn sie beispielsweise von Verabredungen, Urlauben oder Gesprächen mit Bekannten berichten, entsteht bei objektiver Betrachtung der Anschein, dass die beiden an ganz unterschiedlichen Orten waren und mit anderen Menschen zu tun hatten.
Doch was nimmst du dir durch deine voreingenommene, subjektive Wahrnehmung weg?
Richtige Wahrnehmung – das Erkennen
Patañjali beschreibt, dass »richtige Wahrnehmung auf direkter Beobachtung beruht, auf Schlussfolgerung und der Bezugnahme auf zuverlässige Quellen.« Das klingt eigentlich sehr gut und stimmt weitgehend mit dem rationalen Verstand und dem Wissenschaftsverständnis der westlichen Welt überein. Sicher liegt ein großer Teil des Funktionierens unserer Gesellschaften darin begründet, was wir als »richtige Wahrnehmung« beschreiben würden.
Und dennoch gibt es dabei einen entscheidenden Knackpunkt. Der besteht darin, dass wir häufig definieren, dass wir das, was auf unserer direkten, aber subjektiven Wahrnehmung (z.B. in einem Experiment), auf Schlussfolgerung (also Theoriebildung) und Bezugnahme auf zuverlässige Quellen (also Grundlagenforschung, u.ä.) beruht, oft genug als die eine Wahrheit definieren.
Denken wir doch nur mal daran, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass ein großer Teil der Menschheit davon überzeugt war, dass der Mensch und das Universum Ausdruck des Schöpfungsprozesses eines Gottes sei. Als Darwin dann mit seiner Evolutionstheorie daher kam, stieß er auf die massivsten Widerstände, denn nun standen sich plötzlich zwei Theorien gegenüber, von denen jede für sich beanspruchte, als einzige wahr und glaubhaft zu sein. Darwin gründete sein richtiges Erkennen auf direkte Beobachtung und Schlussfolgerung. Die Vertreter einer jeden dieser beiden Theorien identifizieren sich bis zum heutigen Tag intensiv und leidenschaftlich mit dem, was in ihren Augen die »richtige Wahrnehmung« ist.
Gibt es die »eine Wahrheit und Wirklichkeit«?
Dieses eine Beispiel zeigt schon, dass »die richtige Wahrnehmung«, das als richtig erkannte, auch immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit oder eine bestimmte Sichtweise auf die Wirklichkeit beschreiben kann. Deswegen sind wir gut beraten, all dem zu misstrauen, was wir als Wahrheit verteidigen und uns bewusst zu werden, dass all diese Wahrheiten eigentlich nur Arbeitshypothesen darstellen, die uns jetzt – gemäß unserem momentanen Kenntnisstand - helfen, die von uns erfahrene Wirklichkeit zu erfassen und darzustellen.
Auch sollten wir uns daran erinnern, wie schnell sich in den letzten Jahrhunderten viele der grundlegenden Dogmen, auf denen das Verständnis von der Welt basierte grundlegend verändert haben – und sich immer noch weiter verändern. Deswegen plädiert Patañjali dafür, dass wir diese Form der »richtigen Wahrnehmung« abschalten lernen, indem wir die Mittel des Yoga nutzen und vor allem meditieren. Denn nur dann, im Zustand der Meditation, wenn unser Alltagsbewusstsein ausgeschaltet ist, eröffnet sich uns die Möglichkeit, das, was wir betrachten, in seinem So-Sein zu erkennen und zu erfahren.
Werde dir bewusst, welche Erkenntnisse und Glaubenssätze für dich unumstößliche Wahrheiten sind. Hinterfrage sie und stelle dir vor, welche Gegenpositionen denkbar wären. Versuche nur mal versuchsweise, dich mit einer solchen Gegenposition vertraut zu machen, indem du sie »spielerisch« einnimmst und durchdenkst.
Falsche Wahrnehmung – die Verblendung
„Falsche Wahrnehmung liegt dann vor, wenn das eigentliche Wesen des Wahrgenommen nicht richtig erfasst wird“, erläutert Patañjali im Yoga-Sutra. Und Desikachar, der eine wunderbare Interpretation dieses Grundlagentextes verfasst hat, ergänzt treffend: „Falsche Wahrnehmung ist die Aktivität in unserem Geist, die unser Leben am meisten bestimmt.“ Wir nehmen immer dann zum Beispiel etwas nicht richtig – also falsch – wahr, wenn wir im Vorfeld uns dazu schon eine Meinung gebildet haben. Diese Meinung wird nämlich unsere subjektive Wahrnehmung beeinflussen und damit auch die Erfahrung, die wir gerade machen.
Nehmen wir an, dass ich irgendwann einmal in meiner Kindheit eine schlechte Erfahrung mit einem Hund gemacht habe, der mich gebissen hat, weil ich unachtsam mit ihm umgegangen bin. Wenn ich das nächste Mal einen Hund sehe, werde ich Angst haben, wieder gebissen zu werden und meine Mutter wird mich vielleicht von diesem Hund wegziehen, weil auch sie Angst hat.
Mit diesen kleinen – ganz normalen Geschehnissen – beginnt sich in mir die Wahrnehmung zu festigen, dass Hunde gefährlich sind und beißen. In der Folge werde ich – vielleicht lebenslang – einen großen Bogen um jeden Hund machen. Und mancher Hund, der meine Angst spürt, wird mir die Zähne zeigen und meine subjektive Wahrnehmung untermauern. Bald bin ich nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, dass es liebe, verspielte, schüchterne, zärtliche – und eben auch bissige Hunde gibt, sondern ich werde in meiner Wahrnehmung durch Vorurteile und falsche Interpretationen eingeschränkt sein.
Dabei ist der Hund nicht die Ursache der Angst, sondern die Weise, wie der Hund wahrgenommen bzw. interpretiert wird, ist die Ursache für die Angst.
Mach dir deine subjektive und objektive Wahrnehmung bewusst
Solche Vorurteile und Meinungen hegen wir gegen viele Menschen – Menschen unseres Umfelds, aber auch Politiker und andere Prominente. Egal, ob solch ein Vorurteil oder eine solche Meinung uns zu einem freundlichen oder einem unfreundlichen Urteil verhilft, es legt uns auf jeden Fall fest und verhindert, dass wir neue, unerwartete und überraschende Erfahrungen machen können. Besonders deutlich werden die Auswirkungen einer falschen Wahrnehmung, wenn wir uns verlieben.
Es ist allerseits bekannt, dass wir dann den Angebeteten durch eine rosarote Brille sehen und ihn mit allen Charakterzügen und Eigenschaften mehr oder weniger heftig idealisieren. Sobald sich unsere Hormonlage wieder etwas normalisiert hat, sehen wir ihn plötzlich mit anderen Augen und sind oft genug dann so enttäuscht, dass wir uns wieder »entlieben«.
Falsche, beschränkte und urteilende Wahrnehmung führt uns in unserem Leben oft genug in die Irre. Deswegen ist es ein erklärtes Ziel der Yogapraxis, zu erkennen, wo und wie sie in unserem Leben wirkt und uns zu überlegen, wie wir sie »entmachten« können, damit sich unsere Wahrnehmung klärt und wir in die Lage kommen, immer wieder neu hinzuschauen und die Erwartungen und Meinungen außen vor zu lassen.
Werde dir bewusst, welche Meinungen du über die Menschen deiner nächsten Umgebung hegst. Bist du in der Lage, ihnen zuzugestehen, dass sie auch ganz anders sein könnten? Liste dir auf, in welchen Situationen du dich durch Deine Meinungen, Vorurteile und Erwartungen eingeschränkt fühlst und überlege, was du dagegen unternehmen kannst.
Quelle: Stangl, W. (2022, 8. August). subjektive Wahrnehmung . Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.