Self Care (6/9) - Deine Verbundenheit stärken

Wenn ich in meinen Vorträgen und Seminaren die Teilnehmenden frage, was ihrer Meinung nach der wichtigste Faktor für ein glückliches, erfülltes Leben ist, sammle ich viele Antworten: Sinn, Liebe, eine gute Beziehung zu sich selbst, Gelassenheit, Freiheit. Und alle liegen dabei ein Stück weit richtig, denn alles findet sich in dem wichtigsten Element für ein erfülltes Leben wieder. Dieses Element ist durch interessante Forschungsergebnisse belegt: Ein gutes Leben besteht aus guten Beziehungen.

 

Ein gutes Leben besteht aus guten Beziehungen

Seit fast 80 Jahren führt die Universität Harvard mit anfangs 724 Erwachsenen eine der längsten Langzeitstudien über Glück durch. Die Forscher befragten in der sogenannten „Grant Study“ die Teilnehmenden über Jahrzehnte und verfolgten ihre Lebensgeschichten mit ihrer beruflichen Entwicklung und ihrem Gesundheitszustand. Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie ist:

»Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder«, so der Studienleiter und Professor für Psychologie, Robert Waldinger. Menschen, die mit ihrer Familie, mit Freunden, in einer guten Gemeinschaft verbunden leben, sind glücklicher, emotional stabiler, gesünder und leben länger als Menschen in weniger guten Beziehungen oder bei ungewollter Einsamkeit. Dabei zählt nicht so sehr die Zahl der Freunde oder eine feste Beziehung. Es geht um die Qualität der Beziehungen: Liebe, Füreinander-da-Sein und das Gefühl des Aufgehobenseins sind ausschlaggebend.

Es geht um das Gefühl, auch trotz Unstimmigkeiten auf den anderen zählen zu können und sich sicher zu fühlen, so wie es in stabilen Beziehungen, ob nun Freundschaft, Partnerschaft oder andere familiäre Beziehungen. Wenn sich Menschen dagegen lange Zeit und ungewollt einsam fühlen und ohne stabile Beziehungen leben, fühlen sie sich insgesamt unglücklicher, ihre Gesundheit verschlechtert sich im Alter, ihre Gehirnfunktionen nehmen eher ab und sie sterben früher.

Wir können also gar nicht genug für die Gestaltung unserer wichtigen Beziehungen tun.
Ulrike Scheuermann

Die Entwicklung in Beziehungen geht immer weiter

Um diese tiefen, stabilen und erfüllenden Beziehungen zu entwickeln, können wir viel tun. Und das müssen wir auch. Denn Beziehungen sind und bleiben nicht von selbst gleichmäßig gut. Höchstens dann, wenn Stagnation und Erstarrung eintreten. Die anfängliche Verliebtheit und Begeisterung flaut irgendwann ab – sei es nun in einer klassischen Paarbeziehung oder in freundschaftlichen oder kollegialen Beziehungen. Immer sieht man nach einer Weile die Schattenseiten und Unperfektheiten der anderen Person stärker. Selbst dann, wenn anfänglich alles perfekt schien. Und spätestens dann gilt es, an der Entwicklung der Beziehung zu arbeiten. Die nicht so großartigen Seiten am andern entdecken und akzeptieren und auch die eigenen ungeliebten Seiten zeigen, ohne sich zu schämen oder zurückzuziehen, damit der andere einen bloß nicht so sieht, wie man ist.

Diese Entwicklung in Beziehungen hört nie auf. Vielleicht gibt es mal eine Zeit lang ein Plateau, auf dem wir einfach genießen können, wie es ist. Dann wieder kommen neue Herausforderungen und es geht weiter. Der eine braucht mit einem Mal viel Hilfe, weil er krank wird – das vorherige Gleichgewicht von Geben und Nehmen gerät völlig durcheinander. Jemand anders wünscht sich in einer Freundschaft häufigere Treffen, während die andere kaum Zeit findet. Ein Dritter beginnt, am Partner viel auszusetzen und ihn anders haben zu wollen, als er ist und er wehrt sich dagegen.

Was können wir tun, um nicht von einem Streit in den nächsten Vorwurf zu geraten, um nicht am Andern herumzumäkeln, ärgerlich zu werden oder sich enttäuscht zurückzuziehen?

 

 

Annehmen, was ist

Zum einen können wir immer wieder abwägen, wo wir die andere Person noch mehr annehmen können, wie sie nun mal ist. Wenn du auf eine deiner Beziehungen schaust, in der du vielleicht im Moment unzufrieden bist und mehr erwartest, als möglich ist:

  • Kann sie das wirklich leisten, was du gerne anders hättest?
  • Wo hast du zu hohe Erwartungen an die andere Person?
  • Und noch wichtiger ist die Frage: Will dein Gegenüber das wirklich leisten?

Oft wünschen wir uns in Beziehungen, die andere Person möge sich verändern und sich so entwickeln, wie wir das gerne hätten. Doch jeder Mensch verfolgt seine ganz eigenen Entwicklungsziele. Hand aufs Herz: Wann hast du erlebt, dass jemand anders sich dir zuliebe nachhaltig so entwickelt, wie du dir das wünschst? Das gibt es, aber es ist selten. Was für ein Glück, wenn die Wünsche da gut zusammenpassen.

Ziemlich häufig jedoch ist das nicht der Fall. Und dann? Willst du trotzdem an deinem Wunsch und deiner Erwartung festhalten? Was macht das mit dir und der anderen Person? Du bist irgendwann frustriert, ärgerlich, empört oder sogar verbittert, weil deine Wünsche sich nicht erfüllen.

Und die andere Person? Sie ist auch irgendwann frustriert, ärgerlich, empört oder verbittert. Weil sie merkt, dass du sie nicht so akzeptierst, wie sie nun mal ist. Sie fühlt sich abgelehnt. Was folgt daraus? Immer mehr dieser unguten Dynamik, bis hin zu ständigen Vorwürfen, Rechtfertigungen, Streit, Rückzug, Verhärtung.

Wie wäre es, wenn du die andere Person ehrlich so annimmst, wie sie nun mal ist? Was passiert in der Dynamik? Ich kann dir voraussagen: Meist tritt eine große Entspannung ein, wenn merkbar wird, dass du deine Erwartungen wirklich losgelassen hast. Dann kann eine um ein Vielfaches freiere Entwicklung entstehen.

Nicht selten wird im losgelassenen Zustand genau das möglich, was vorher blockiert war – oder noch viel Besseres als das, was man sich gewünscht hatte. Um andere so anzunehmen, wie sie sind, brauchen wir einen guten, reifen, erwachsenen Umgang mit den eigenen Wünschen.

 

Der Unterschied zwischen kindlichen und erwachsenen Wünschen

Es geht mir nicht darum, dass du deine Wünsche und Bedürfnisse hintenanstellen oder unter den Teppich kehren solltest. Nein: Es ist gut und wichtig, die eigenen Wünsche zu bemerken, zu prüfen und gegenüber der anderen Person zu äußern, wenn sie sinnvoll und realistisch sind. Das sind dann erwachsene Wünsche, die in einer Beziehung ihren Platz haben sollten.

Manchmal gibt es allerdings auch Wünsche, die aus früheren Zeiten stammen – kindliche Wünsche – die heute niemand dauerhaft wird erfüllen können. Das sind bodenlose Wünsche, weil sie aus einem Mangel resultieren, den ein Kind erlebt hat. Diese Zeit können wir nicht nachholen. Sie ist vorbei. Der Mangel ist Realität.

Ein Beispiel ist der Klassiker des abwesenden Vaters. Daraus kann ein großer Mangel an väterlicher Zuneigung, Liebe und Wertschätzung entstehen. Aus dem Mangel resultiert dann ein riesengroßer Wunsch nach dieser Liebe, die man nicht erhalten hat. Und genau diesen Wunsch wird niemand heute erfüllen können. Niemand kann heute das bodenlose Loch auffüllen, was früher nicht erfahren wurde.

Die einzige Möglichkeit für den Ausstieg aus diesem Sehnen ist, den Wunsch loszulassen. Du kannst deinen Frieden damit machen, dass auch deine Eltern ihre Begrenzungen hatten und dir deshalb nicht all das geben konnten, was ideale Eltern ihren Kindern geben würden. Ideale Eltern gibt es ohnehin nicht. Unsere Eltern hatten oft weniger gute Möglichkeiten für persönliche Entwicklung als die jüngere Generation.

Und jeder hat persönliche Blockaden und Schwachstellen, die dann oft die Kinder abbekommen. Das ist keine Entschuldigung, nur eine Tatsache. Wir müssen unseren Frieden erst in uns finden und können dann als erwachsene, reife Menschen auf andere zugehen.

Erst, wenn wir Frieden mit unseren Defiziten geschlossen haben, können wir als erwachsene, reife Menschen auf andere zugehen.
Ulrike Scheuermann

Unerfüllbare Wünsche loslassen

Das Loslassen unerfüllbarer Wünsche ist wichtig, um andere Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Schauen wir mal, wie das aussehen kann: Mal angenommen, du hast deinen erwachsenen Wunsch gemeinsam besprochen und verhandelt und es wird klar, dass die andere Person dem Wunsch nicht entsprechen will oder kann. Was tun? Dann ist es Zeit, sich zu entscheiden und die Beziehung neu zu gestalten oder eventuell auch zu lösen. Mit dem, was ich gerade weiter oben geschrieben habe, hast du eben auch eine dritte Option:

Du kannst diesen unerfüllbaren Wunsch transformieren, so dass es nicht nur die beiden Optionen des zähneknirschenden Bleibens oder Gehens gibt. Mit meinen Teilnehmenden arbeite ich in solch einem Fall mit Logosynthese®, einer modernen psychologischen Methode, mit der man Blockaden im Unbewussten lösen kann. Du lernst diese Methode unter anderem in meinem Buch und Hörbuch  „Self Care“ kennen. Du kannst unerfüllbare Wünsche auch anders bearbeiten, mit diesen Hinweisen:

 

Übung: Unerfüllbare Wünsche loslassen

 

  1. Werde dir bewusst über einen Wunsch, den du schon länger gegenüber einer anderen Person hegst und der sich bisher nicht erfüllt hat.
  2. Prüfe diesen Wunsch: Ist es ein kindlicher oder ein erwachsener, realistischer und sinnvoller Wunsch?
  3. Wenn es ein kindlicher Wunsch ist, kann es sinnvoll sein, ihn mit einer geeigneten Methode wie Logosynthese® (s.o.) zu bearbeiten und mithilfe dessen zu neutralisieren.
  4. Wenn es ein erwachsener Wunsch ist: Besprich und verhandele den Wunsch mit der anderen Person.
  5. Wenn klar wird, dass die andere Person dem Wunsch nicht entsprechen kann oder will, erkenne dies bewusst an und entscheide dich, ebenso bewusst und klar:
  6. Entweder du lässt den Wunsch nun endgültig los: Würdige, dass du den Wunsch mal hattest, trauere eventuell um das, was nicht möglich sein wird, und verabschiede den Wunsch dann. Du kannst ihn zum Beispiel aufschreiben und dann wegwerfen oder verbrennen.
  7. Oder du hältst weiter an dem Wunsch fest, realisierst aber endgültig, dass er sich nicht erfüllen wird. Dann könnte es Zeit sein zu gehen oder du kannst eine andere Form  finden, wie du den Wunsch leben kannst. Man muss zum Beispiel nicht alles mit einer Person leben, das wäre ohnehin eine Überforderung. Vielleicht kannst du deinen Wunsch nach Städtereisen mit einer Freundin anstelle deines Partners leben? Den unerfüllten Wunsch nach Zusammenwohnen, indem du eine Wohngemeinschaft mit Freundinnen gründest.

 

Und es gibt noch viel mehr, was wir für die Entwicklung guter Beziehungen tun können. Darum geht es im nächsten Artikel zum Thema „Verbundenheit und Beziehungen“.

 

Mehr für dich