Schäm dich nicht: 3 Tipps wie du Schuld und Scham auflösen kannst

Es ist eben keine spezifische Handlung, für die wir uns schuldig fühlen, sondern es ist unser gesamtes Selbst, das wir in Frage stellen. Wir legen die Messlatte so hoch, dass wir mit schlafwandlerischer Sicherheit darunter durch passen, und es selbst Ulrike Meyfarth nie drüber geschafft hätte. Wir peitschen uns durchs Leben wie kleine Perfektionsmonster und geißeln uns, wenn es mal wieder nicht gereicht hat. Aber wann genau hätte es denn jemals gereicht? Und selbst wenn es mal reicht, wie lange lässt sich dieser Zustand aufrecht erhalten?

Vor Kurzem habe ich eine erschreckende Zahl gelesen. 91 Prozent aller Frauen, hieß es, hassen ihren Körper – was für eine Zahl. Und da stand nicht mal »91 Prozent sind unzufrieden mit ihrem Körper«, nein, da stand in großen Lettern »91 Prozent hassen ihren Körper«. Warum hassen wir den treuesten Diener unseres Lebens so sehr? 

Die Würde des Menschen ist unantastbar – die unseres Körpers aber offensichtlich noch lange nicht! Kein Wunder, denn wir genügen nie. Ich vermute, wenn wir in den Himmel kommen sollten, dass es bei Petrus zwei Eingänge gibt mit je einem Schild darüber »Menschen, die mit sich rundum zufrieden waren« und »Menschen, die nie gut genug waren«. Ich wette, die Schlange unter letzterem Schild reicht bis kurz auf die Erde zurück. 

Wenn du gesund bist und niemandem unnötiges Leid zufügst, bist du absolut perfekt.
Jessica Libbertz

Wie kommt es zu Schuldgefühlen?

Wie läuft der Prozess der innerlichen Selbstzerstörung tausendfach ab? Meist folgt auf »ich bin nicht gut genug« die Scham darüber, wieder einmal in seiner Unzulänglichkeit bloßgestellt worden zu sein. Darauf folgt: Ich muss mich bestrafen. Und darauf: Ich habe wieder versagt, ergo ich bin nicht gut genug.

Und so geht der Teufelskreis immer weiter, der innere Kritiker wird unerbittlich, bekommt er doch immer wieder neues Futter für sein perfides Spiel. Besonders plakativ wird der Teufelskreis beim berühmten Jojo-Effekt. Ich habe zugenommen und schäme mich dafür, ich muss mich mit Nulldiät bestrafen, ich versage dabei wieder und habe am Ende zehn Kilo mehr als vorher. Irgendwann geben wir auf und schämen uns dafür, dass wir aufgegeben haben. Merkst du etwas?

Wir sind schon wieder mittendrin im perfiden Kreislauf der Scham. Gerade was das gegeißelte Körpergefühl betrifft, lassen sich mit Ratgebern aber bereits ganze Bibliotheken füllen, da will ich dich gar nicht weiter belästigen. Lass mich nur die indischen Weisen zitieren, die sagen: 

Lebendig zu sein in einem MENSCHLICHEN Körper ist das größte Geschenk, das eine Seele jemals erhalten kann.
Indischer Gelehrter

Podcast mit Melanie Wolfers: Wie lebe ich mit Schuld?

Du hättest eben auch als Ameise reinkarniert werden können! Schonmal darüber nachgedacht?

Fakt ist: Du musst überhaupt nichts tun. Du. Bist. Bereits. Perfekt. Punkt. (Bitte atme an dieser Stelle dreimal tief durch, damit die Information tiefer in dein Bewusstsein dringen kann…).

Wenn du gesund bist und niemandem unnötiges Leid zufügst, bist du absolut perfekt. Es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle den Unterschied begreifen zwischen Scham und Schuld. Früher wurde Scham als Gefühl eingeordnet, dass sich nur einstellt, wenn die Bewertung anderer beteiligt ist. Scham brauchte also Publikum. Heute weiß man, dass sich die Differenzierung zwischen Scham und Schuld anders gestaltet.

  • Schuld bezieht sich auf ein konkretes Fehlverhalten.
  • Scham bezieht sich auf das gesamte Selbst.

Wer sich schuldig fühlt, versucht zu handeln, es besser zu machen, es »wieder gut« zu machen. Sie oder er gehen in die Eigenverantwortung, suchen Lösungen, werden konstruktiv, versuchen sich zu »ent«-schuldigen.
Wer sich hingegen schämt, blockiert sich, sinkt in sich zusammen und zweifelt an sich.

  • Schuld: Ich habe etwas Falsches getan.
  • Scham: Ich bin falsch.

Scham geht also viel weiter in der Ablehnung des eigenen Ichs, es ist die totale Ablehnung des Selbst!

 

Wie du dich von falschen Schamgefühlen befreist: 3 Tipps

Klar ist: Wir brauchen definitiv nicht noch mehr Regeln, nicht noch mehr Messlatten, die wir schlafwandlerisch unterschreiten. Aber die kommenden drei Rituale sorgen für mehr Stabilität und weniger Angriffsfläche für die Scham.

1. Gehe in die Dankbarkeit

Schließe die Augen und gehe kurz in die Dankbarkeit. Erinnere dich an mindestens drei Dinge, Personen oder Ereignisse, für die du dankbar bist. Wir wissen, die Dankbarkeit aktiviert den Vagusnerv, dadurch können Sie der hysterischen, akuten Scham eine wirksame Falle stellen. Schreibe deine Gedanken am besten in ein Dankbarkeitstagebuch, so kannst du schwierigen Momenten, immer wieder zurückblicken und dir bewusst machen, wie gut du und dein Leben sind. Du wirst sich automatisch beruhigen.

2. Gönne dir einen kurzen Moment der Selbstliebe 

Mit dem Satz: »Ich liebe mich bedingungslos.« Wichtig ist auch hier das »bedingungslos«, damit die Scham kein Hintertürchen findet.

Wichtig ist das Wort bedingungslos, denn die bedingungslose Liebe, die wir als Kind gern gehabt hätte aber vielleicht auch nicht bekommen haben, ist die, nach der wir uns sehnen. Und die kannst du dir selbst geben! Kann ja sein, dass in dir deiner aktuellen Lebensphase gerade niemand sagt, dass er oder sie dich liebt. Das ist vollkommen unwichtig, denn diese endlose und bedingungslose Selbstliebe trägst du ohnehin in dir. Ganz unabhängig von Partner:innen oder der Familie.

Ich sage mir den Satz »Ich liebe mich bedingungslos« am liebsten kurz vorm Einschlafen, und gebe mir selbst ein wenig Raum. Du wirst sehen, es wirkt Wunder!

 

3. Die Perspektive ändern mit der Stuhl-Übung 

Selbstvertrauen ist der größte Feind der Scham, deshalb müssen wir versuchen, es zu stärken - und zwar konsequent. Wenn du Vertrauen in dich selbst aufbauen willst, so braucht es dazu Verlässlichkeit und Zeit. 

Wenn ich eine stabile Beziehung aufbauen will, zu mir selbst oder zu anderen, so sind dies die Grundvoraussetzungen. Wenn ich mich oder mein Gegenüber nicht respektiere, ständig zu spät komme, mich nicht wie angekündigt melde, so wird sich wenig entwickeln können, das an Vertrauen auch nur heranreicht.

Du wirst sagen: Aber ich bin doch schon so oft enttäuscht worden! Das mag sein, aber wir entscheiden uns im JETZT für das Vertrauen zu uns selbst, und ich habe mich lange gefragt, welche der vielen Übungen und Rituale ich dir empfehlen möchte. Wie oft habe ich mir vorgenommen, viel häufiger Sport zu machen, weniger zu essen oder andere sinnfreie Selbstkasteiungen. 

Wir nehmen uns so viel vor, dass wir den Berg unmöglich bewältigen können. Deshalb sollten wir uns selbst nur Dinge versprechen, die wir auch wirklich einhalten wollen, um unsere Integrität nicht zu beschädigen. 

Und es ist machbar! Ohne Scham! Jeden Morgen, direkt nach dem Aufstehen, stell ich auf einen Stuhl, atme tief durch und wähle einen Satz für dich, der dir gut tut. Für mich war es: »Tag, ich erwähle Dich, mit allem was Du mir bietest.« Diese Übung, die von dem bekannten Coach Jens Corssen seit über zehn Jahren selbst praktiziert wird, trägt in gleich mehreren Komponenten zu unserem Selbstvertrauen bei.

Zum einen hilft uns schon der morgendliche Perspektivenwechsel, um sozusagen auf die Meta-Ebene zu gehen. Man verlässt kurz das Gewohnte, nimmt eine neue innere Haltung an, wird sich seiner selbst bewusst und wacht gewissermaßen ein zweites Mal am Tage auf.

Zum anderen ist die Botschaft an den Tag gerichtet: »Schicksal, ich bin vorbereitet, was auch immer Du mitbringst für mich, ich bin dabei.« Ein positives Signal, das dich durch den Tag tragen sollte. Sollte dann wirklich etwas Unvorhergesehenes passieren - ob positiv oder negativ - du bist bereits darauf eingestellt. 

Das ist ein wichtiges Prinzip aus der Hirnforschung, denn so bereiten wir unser Gehirn auf den Tag und seine Herausforderungen vor. Erinnere dich daran, dass du die Situation schon heute Morgen als Möglichkeit erwählt hast. Damit bist du schon mal raus aus der Opferrolle. Jetzt fragen dich: Was kann ich tun, um die Situation zu verbessern?

Die Übung stärkt zudem die Willenskraft, denn du wirst sie mindestens 21 Tage lang täglich praktizieren. Und wenn du all das zusammen nimmst: Perspektivenwechsel, Vorbereitung auf alle möglichen Hindernisse und Herausforderungen, dazu das gute Gefühl, bereits etwas »geschafft zu haben«, die Abkehr von der Opferrolle - das alles bringt schon mal einen prima Start in den Tag.

Fazit: Schambefreit leben: fokussiere dich auf deine Erfolge

Wir leben in einer Gesellschaft, die täglich neurotisch Fahrt aufnimmt, aber wir verlieren so gern das Rennen gegen uns selbst. Deshalb ist die erste und wichtigste Medizin für ein schambefreites Leben die Entschleunigung. 

Wirf doch mal einen Blick zurück, was du schon alles geschafft hast! Schau auf deine Lebensleistung und ich bin zu 100 Prozent sicher, dass diese RIESENgroß ausfällt. 

  • Du musstest durch die Kindheit durch das deutsche Schulsystem, 
  • vermutlich hast du eine Ausbildung, 
  • vielleicht Kinder und damit anderen sowieso schon mehr Zeit gewidmet als dir selbst, 
  • Du hast sicherlich gute Freunde, 
  • eine oder mehrere interessante Beschäftigungen 
  • und ein gemütliches Zuhause. 

Du hast also schon eine Menge auf dem Kerbholz! Das bedeutet: Es ist Zeit zu ernten. Das Säen muss jetzt ruhen, du wirst erst einmal ernten. Ich wünsche dir alles Gute.

Deine Jessica Libbertz

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