Vagusnerv: Übungen, um dein Nervensystem zu regulieren

Der Vagusnerv als Teil des vegetativen Nervensystems

Der Vagusnerv ist Teil des vegetativen (autonomen) Nervensystems (ANS) und verläuft als zehnter und längster Gehirnnerv vom Hirnstamm links und rechts im Kopf über Hals, Brust bis hin zum Magen-Darm-Trakt. Dabei ist er mit verschiedenen Organen verbunden, wie Herz, Lunge, Nieren, Leber, Milz sowie Verdauungsorganen. 

Damit wir verstehen, was der Vagusnerv genau ist, betrachten wir zunächst unser Nervensystem etwas genauer: Das Autonome Nervensystem ist ein Teil des peripheren Nervensystems, der die unbewusste Kontrolle von vielen lebenswichtigen Körperfunktionen übernimmt. Ganz ohne Mitwirkung unseres Bewusstseins reguliert und koordiniert es automatisch verschiedene Körpersysteme und Abläufe, wie Atmung, Stoffwechsel und Herzschlag, um den Körper an die wechselnden Bedürfnisse und Anforderungen anzupassen. 

Unser Gehirn sendet hierfür Signale an den Körper, und andersherum sendet der Körper Signale an unser Gehirn wie etwa hohe Temperaturen. Dadurch erhöht das System z.B. die Durchblutung sowie die Schweißbildung, damit der Körper abkühlen kann. 

Das ANS hat zwei Hauptzweige, die sich gegenseitig ergänzen und regulieren:

1. Das Sympathische Nervensystem (SNS): es aktiviert den Körper bei Bedarf, indem es die Herzfrequenz, den Blutdruck, die Atmung und die Durchblutung erhöht. Und es mobilisiert Energie, um auf eine Bedrohung oder Herausforderung zu reagieren (Flucht- oder Kampfreaktion).

2. Das Parasympathische Nervensystem (PNS): es beruhigt und entspannt unseren Körper, indem es die Herzfrequenz, den Blutdruck, die Atmung und die Durchblutung senkt. Es fördert zudem die Regeneration und Erholung des Körpers.

Zusammen steuern das SNS und das PNS viele wichtige Körperfunktionen, wie zum Beispiel die Verdauung, die Ausscheidung, die Sexualität, die Hormonregulation und die Immunfunktion. Die beiden Systeme sind auch eng mit unserem emotionalen Zustand und Stresslevel verbunden und beeinflussen unser Wohlbefinden und die Gesundheit des Körpers und Geistes.

Für eine optimale Gesundheit und Leistungsfähigkeit unseres Körpers und Geistes ist eine gut funktionierende Balance zwischen SNS und PNS wichtig. Probleme mit dem ANS können zu verschiedenen Störungen und Erkrankungen führen, wie zum Beispiel Stress, Burn-OutAngst, Depressionen, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Verdauungsstörungen und chronischen Schmerzen.

 

Seit mehr als zehn Jahren sind Stressfolgen wie Angst, Depressionen und Erschöpfung in Deutschland mit mehr als 30 Prozent der häufigste Grund für Frühverrentungen.
Dr. med. Ellen Fischer

Der Sympathikus

Der Sympathikus, welcher für das Aufregen verantwortlich ist, steigert unsere Leistungs- sowie Kampf- oder Fluchtbereitschaft. Überleben und Sicherheit haben höchste Priorität, daher werden Gefahrensignale schnellstmöglich verarbeitet, damit wir entsprechend reagieren können. Unser Herz rast, wir bilden mehr Schweiß und unser Blutdruck steigt. In gewissem Maße ist das auch gesund für uns. Denn sind wir nicht gefordert, können wir uns schnell langweilen und unterfordert fühlen.

Doch durch die immer steigenden Anforderungen an uns Menschen nimmt der negative Stress zu und unser Sympathikus ist permanent aktiv. Das kann bei einigen Menschen durch stressige Situationen im Alltag oder durch dauerhafte Konflikte am Arbeitsplatz verursacht werden. Besonders negativ wirken sich private Konflikte, wie Streit mit dem Partner oder Partnerin, auf unseren Organismus aus.

Niemand wird krank, weil er ab und zu etwas Bedrohliches erlebt oder Grund zu maßloser Wut hat.
Dr. med. Ellen Fischer

Der Parasympathikus

Für das Abregen, also das Beruhigen unseres Systems, ist der Parasympathikus verantwortlich. Dieser sorgt dafür, dass wir wieder zur Ruhe kommen und alle Körperfunktionen normal funktionieren. Der Vagusnerv ist Teil und sogar Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems und an der Funktion von fast jedem inneren Organ beteiligt.

Der Vagusnerv trägt daher wesentlich zur Selbstregulierung bei, indem er

  • die Herzfrequenz und den Blutdruck senkt,
  • Tränen­ und Speicheldrüsen sowie die Schleimdrüsen der Atemwege aktiviert,
  • die Verdauungsdrüsen sowie die peristaltische Muskulatur des Magen­-Darm-­Trakts stimuliert,
  • unter anderem die Botenstoffe Serotonin und Dopamin produziert, die für das psychische Wohlbefinden wichtig sind. 

Exkurs: Der amerikanische Wissenschaftler Stephen Porges stellte 1994 mit der Polyvagal-Theorie die These auf, dass der Parasympathikus zweigeteilt ist, in einen dorsalen und einen ventralen Vagus. Seine Theorie beruht darauf, dass unser autonomes Nervensystem (ANS) ständig unsere Umgebung daraufhin untersucht, ob sie sicher, gefährlich oder sogar lebensbedrohlich erscheint. Je nach Einschätzung würde das ANS einen der drei Gefühlszustände Sicherheit, Kampf/Flucht oder Schreckstarre aktivieren.

Für die Gesundheit ist es am besten, wenn wir rhythmisch zwischen aktiven und passiven Zuständen hin- und herpendeln.
Dr. med. Ellen Fischer

Vagusnerv-Verspannung: Symptome und Auslöser für eine Dysregulation

Ist der Vagusnerv verspannt, kann das für Betroffene sehr schmerzvoll und unangenehm sein. Daher gilt es herauszufinden, was die Ursache für die Verspannung ist. Das gestaltet sich jedoch nicht so leicht, da die meisten Symptome nicht eindeutig auf den Vagusnerv zurückzuführen sind (z.B. auch Husten, Durchfall, Sodbrennen). So wird die Ursache häufig erst spät erkannt. 

Damit du bessere Chancen hast, den Vagusnerv als Übeltäter zu identifizieren, führen wir dir folgend vier Ursachen und Symptome auf:

1. Unterstimulation
 

  • Symptome: Wenn der Vagusnerv zu wenig stimuliert ist, ist automatisch der Sympathikus aktiver und dein Körper ist im ständigen Aktions- und Alarmzustand. Lebensnotwendige Körperfunktionen wie deine Verdauung oder dein Immunsystem werden heruntergefahren.
     
  • Auslöser: Das kann passieren, wenn es häufiger Konflikte in deinem näheren Umfeld gibt oder du zu viel arbeitest oder gar eine Arbeit ausführst, welche dich nicht erfüllt. Aber auch zu viele Reize oder wenig soziale Nähe können für die Unterstimulation des Vagusnervs sorgen. Unser Nervensystem kann nicht entscheiden, ob ein Säbelzahntiger vor uns steht oder ob es nur ein:e wütende:r Vorgesetze:r oder Freund:in ist. Daher kann es zu Überreaktionen kommen. 
     

2. Überstimulation
 

  • Symptome: Ist der Vagusnerv hingegen überstimuliert, fühlst du dich wahrscheinlich träge, antriebslos oder müde. Seltener sind Symptome wie Übelkeit oder Sodbrennen. In der Folge sinkt dein Blutdruck sowie deine Herzfrequenz rapide ab und kann im schlimmsten Fall sogar zur Ohnmacht führen. Die Überstimulation kann sich jedoch auch in gestörten Bindungsmustern bei sozialen Beziehungen zeigen.
     
  • Auslöser: Grund für eine Überstimulation kann ein mechanischer Druck am Hals sein, z.B. durch ein Schleudertrauma oder eine Atlasfehlstellung, sein. Aber auch traumatische Erfahrungen aus der Kindheit, Krankheit, Stress, mangelnde sichere Bindung zu Bezugspersonen im Kindesalter können eine Überstimulation des Vagusnervs zur Folge haben.
     

3. Entzündeter oder eingeklemmter Vagusnerv

Ist der Vagusnerv entzündet, tritt diese Entzündung meist im Rachen auf. Symptome bei einer Entzündung des Vagusnervs sind Schluckbeschwerden, schmerzhaftes Husten oder Heiserkeit.

Den Vagusnerv einzuklemmen, kommt im Gegensatz zu anderen Nervenbahnen eher seltener vor. Durch eine chronische Atlasfehlstellung oder durch ruckartige Drehbewegungen des Kopfes kann es jedoch dazu kommen, dass du dir den Nerv einklemmst und dann ebenfalls Symptome wie Schlafstörungen, Übelkeit, Durchfall oder Sodbrennen erleidest.

4 Vagusnerv-Übungen für die Regulierung des Nervensystems

Dr. med. Ellen Fischer teilt in ihrem neuen Ratgeber »Das Vagus-Training« die nötigen Informationen und Übungsanleitungen, damit du deinen Vagusnerv trainieren und heilen kannst.

Die Vorteile sind laut ihr folgende:

  • besserer Schlaf
  • schnelleres Abschalten nach stressigen Situationen
  • Reduzierung von Belastungssymptome
  • Abbau von Verspannungen
  • Linderung funktioneller Herz-Kreislaufbeschwerden 
  • Positive Beeinflussung von Autoimmunerkrankungen
  • die Verbesserung nonverbaler Kommunikation 
  • Unterstützung erfolgreicher Traumatherapie 

Wir stellen dir im Folgenden ein paar Übungen von Dr. med. Ellen Fischer vor:

 

1.  Dem Nervensystem ein Gefühl von Sicherheit vermitteln

Um deinen Vagusnerv zu heilen bzw. dein Nervensystem zu regulieren, können schon kleine Übungen und Routinen helfen. Hier sind ein paar einfache Übungen, die du direkt in deinem Alltag probieren kannst:

  • Lächeln stärkt nicht nur deine Beziehungen, es reduziert zudem Stress, verbessert deine Stimmung, senkt den Bluthochdruck und stärkt das Immunsystem.
     
  • Berührungen durch dich selbst oder eine andere Person wirken sich positiv auf die Beruhigung deines ANS aus. Lege dir selbst die Hand auf die Brust oder streichel deine Arme. Bitte eine Person um eine Umarmung oder lehne deinen Kopf auf ihre Schulter. Auch beim Streicheln von Tieren wird eine Menge Oxytocin freigesetzt.
     
  • Bewusstes Atmen hilft schon nach wenigen Atemzügen wie ein Wundermittel gegen Stress und Verspannungen. Probiere es och mal mit der 4 zu 6 Atmung.
     
  • Bestimmte Körperhaltungen können helfen, um Starre oder blockierte Emotionen in Bewegung zu bringen (unten findest du eine Übung dazu).
     
  • Bestimmte Sinneswahrnehmungen wie z.B. Vogelgezwitscher, Meeresrauschen, entspannende Musik oder white noise, bestimmte Gerüche oder Geschmäcker, die Geborgenheit für dich ausstrahlen (z.B. aus der Kindheit) können dein Nervensystem beruhigen.

 

2. Vagusnerv-Massage: Verspannung lösen durch Positionierung 

Für die Übung werden folgende Hilfsmittel benötigt:

  • ein Kopfkissen 
  • eine Knierolle
  • eine wärmende Decke
  • zwei kleine Kissen zum Stützen der Arme

Der Vagusnerv liegt tief in unserem Körper verborgen, damit er vor Verletzungen geschützt wird. Daher braucht es etwas Übung, um den Zugang zu finden.

So kannst du die Übung ausführen und deinen Vagusnerv beruhigen:

  • Lege dich auf den Rücken und mache es dir mithilfe des Kopfkissens, der Knierolle und der Decke bequem.
     
  • Nun lege die linke Hand auf den linken Rippenbogen und achte darauf, dass die Kuppe des Zeigefingers in der Mittellinie des Körpers am unteren Ende des Brustbeins liegt. Deine Fingerkuppe des rechten Mittelfingers legst du eine Handbreit darüber auf der Mitte des Brustbeins auf. Bei Bedarf kannst du die zwei kleinen Kissen zum Stützen der Arme darunterlegen. 
     
  • Ohne aktiv mit dem Körper zu drücken: stell dir vor, dass deine Hände in die Tiefe deines Körpers sinken. So kommst du in Kontakt mit dem Vagusnerv. Als Folge sollte sich dein Atemrhythmus verändern, dein Darm zu glucksen beginnen oder es unter deinen Händen beginnen, warm zu werden. Das wird als »vegetative Umstimmung« bezeichnet. 
     
  • Jetzt kannst du den linken Zeigefinger und den rechten Mittelfinger etwas näher zusammenbringen und dabei die linke Hand mit dem darunterliegenden Gewebe einen Millimeter nach oben und die rechte Hand einen Millimeter nach unten bewegen.
     
  • Bleibe abschließend für 5 bis 10 Minuten in dieser Position und atme ruhig und regelmäßig ein und aus. Konzentriere dich dabei auf deine Ausatmung.

 

3. Vagusnerv stimulieren durch schaukelnde Bewegung

Durch sogenanntes »wrapping and rocking«, also durch Einhüllen und sanftes Schaukeln, kann sich der Vagusnerv ebenfalls entspannen. Als Baby funktioniert das ganz klassisch in der Wiege. Im Erwachsenenalter kann dafür eine Hängematte oder ein Schaukelstuhl dienen. Durch die regelmäßige Stimulation des Gleichgewichtssinns wird die Beruhigung des Nervs gefördert und die Koordinationsfähigkeit verbessert. Hier findest du passende Übungen beim Yoga.

 

4. Vagusnerv aktivieren durch die Mimik-Übung

Durch das Trainieren der anderen elf Hirnnerven sowie der Sinnesorgane kann ebenfalls die Aktivität des Vagusnervs gefördert werden. Darunter zählen alle nicht verbalen Kommunikationswerkzeuge, die Körpersprache, wie eine lebendige Mimik, der Blickkontakt und eine angenehme und ausdrucksstarke Stimme.

Hier eine Übung für deine Mimik:

  • Schau in den Spiegel und beginne mit der unteren Gesichtshälfte, indem du den Mund erst möglichst breit auseinander und dann so stark wie möglich zusammenziehst. Wiederhole das fünfmal. Was kannst du sonst noch mit dem Mund machen? Schmolle, fletsche die Zähne oder öffne ihn ganz weit. 
     
  • Nun geht es weiter zur oberen Gesichtshälfte und zur Übung mit den Augen: Hebe deine Augenbrauen so weit nach oben wie möglich und reiße dabei die Augen auf. Dann zieh die Augenbrauen ganz nach unten und kneife die Augen fest zusammen. Wiederhole auch das fünfmal. Jetzt kannst du auch mit den Augen verschiedene Übungen ausführen.
     
  • Du kannst jetzt jede Grimasse schneiden, die dir einfällt. Hauptsache, du hast Spaß dabei. 

 

Mit dem Vagusnerv-Training dein Wohlbefinden steigern

Der Vagusnerv ist Teil unseres parasympathischen Systems und hilft uns dabei, nach stressigen Phasen wieder zur Ruhe zu kommen. Ist der Nerv gereizt oder gar eingeklemmt, wird deine Verdauung und dein Immunsystem heruntergefahren.

So können viele negative Symptome wie Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden und körperliche Verspannungen entstehen. Die Symptome sind dabei so unspezifisch, dass sie dem Nerv nicht immer gleich zugeordnet werden können.

Mit verschiedenen Übungen kannst du dir jedoch selbst helfen, deinen Vagusnerv zu beruhigen, zu aktivieren bzw. zu stimulieren und zu heilen. Wenn Selbsthilfe nicht ausreicht, such dir Hilfe, z.B. bei Heilpraktikern in deiner Nähe.

Das reguliert dein Nervensystem und bringt es wieder ins Gleichgewicht. Außerdem kannst du mit dem Vagusnerv-Training dein Wohlbefinden steigern und chronischem Stress vorbeugen. Wir wünschen dir viel Spaß bei den Übungen.

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