Tantra-Yoga: Weg zur spirituellen Befreiung

Gleich vorweg möchten wir ein Missverständnis über Tantra-Yoga aufklären: es handelt sich dabei keinesfalls um eine fernöstliche Sexpraxis, die auf dem Kamasutra basiert. Tantra-Yoga ist vielmehr eine sehr komplexe Yogarichtung aus dem Kundalini-Yoga, die umfassende Befreiung durch spirituelle Praktiken erreichen möchte.

 

Die Tantra-Philosophie  

Tantra kann als Ergänzung zum Ayurveda und zum klassischen Yoga gesehen werden. Während es sich beim Ayurveda vorwiegend um eine Gesundheitslehre und beim klassischen Yoga um eine spirituelle Lehre handelt, ist Tantra das Bindeglied dieser beiden Disziplinen. 

Das Wort »Tantra« kommt ursprünglich von den Wörtern »tan« (=Energie) und »tra» (=umwandeln). Laut Definition des bekannten amerikanischen Yoga-Therapeuten und Autors Mukunda Stiles stärken die Praktiken des Tantra-Yoga die Wahrnehmung des Energiekörpers und erheben den prāṇa damit zu spirituellem Bewusstsein. 

Somit ist Tantra-Yoga ein wirkungsvoller, spiritueller Weg, der dir sowohl inneren Frieden im Hier und Jetzt als auch eine vollkommene spirituelle Befreiung schenken möchte, um endlich dem Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen. 

Auch wenn diese Tradition bereits mehrere tausend Jahre alt ist, ist Tantra-Yoga doch gleichzeitig hochmodern. Seit den wissenschaftlichen Theorien von Albert Einstein wird die Philosophie des Tantra-Yoga durch die moderne Quantenphysik immer mehr bestätigt, weil es davon ausgeht, dass es nur »ein« absolutes Bewusstsein gibt. Dieses »eine« verkörpert sich durch unser Universum und durch die unendliche Vielzahl von individuellen Formen. 

 

Wie alle Yoga-Wege ist auch der Tantra-Yoga eine effektive Methode, ein spirituell erfüllenderes Leben zu führen.
Mukunda Stiles

Tantra-Yoga-Einführung: ein ganzheitlicher Lebensweg

Sollte dir dieser Ansatz zu abstrakt sein, kannst du dir die Tantra-Yoga-Praxis auch als eine Kombination vorstellen, die die klassischen Asanas mit speziellen Atemübungen, Meditationen, Mudras, Mantras und Entspannungsübungen verbindet. Diese sollen deinem täglichen Leben zu mehr Klarheit, innerer Stärke und Glück verhelfen. Über allem steht natürlich das Ziel die Kundalini-Energie zu erwecken.

Diese wunderbare Mischung bringt dich auf einer tiefen Ebene mit deinem Körper in Kontakt, der es dir ermöglicht, dich wieder für Gefühle wie Sinnlichkeit und Lebendigkeit zu öffnen und dich und deinen Körper zu akzeptieren und anzunehmen. 

Somit handelt es sich beim Tantra-Yoga eher um eine spirituelle Praxis, die den Körper als eine Art Vehikel betrachtet. Tantra-Yogis und Tantra-Yoginis stehen dem Leben, der sexuellen Lust und dem Genuss sehr positiv und offen gegenüber und nutzen diese um 

  • die Kundalini-Energie zu erwecken
  • ihr geistiges und körperliches Potenzial zu entfalten
  • sämtliche Handlungen im Leben bewusst wahrzunehmen
  • alle Sinne mit in die spirituelle Praxis einzubeziehen
  • sich mit der universellen und sexuellen Kraft zu verbinden

 

Energiekonzepte des Hatha-Yoga

Die Wurzeln des Tantra-Yoga

Bereits im Hinduismus und Buddhismus finden sich erste Ansätze des Tantra. Über eine genaue Entstehung sind sich Indologen bis heute aber nicht einig geworden. Im Gegensatz zu vielen anderen jahrtausendalten spirituellen Strömungen, liegt das Hauptaugenmerk im Tantra mehr auf der unmittelbaren Erfahrung des »einen« Bewusstseins, des Absoluten. 

Konkret lassen sich die Anfänge des Tantra Yoga auf das 2. Jahrhundert datieren. Die volle Ausprägung geht aber erst auf das 8. Jahrhundert zurück.  

Einig sind sich Indologen heute darüber, dass es sich beim Tantrismus um eine der schillerndsten Blüten der indischen Kultur handelt. Der Tantrismus stellte die ganze Welt der Religion auf den Kopf, weil er sich für ein klares »Ja« zum Leben aussprach. 

Während frühere Yoga-Strömungen zur Askese aufriefen, postulierte der Tantrismus den Genuss. Er wertete die erotische Sinnlichkeit und damit einhergehend die weibliche Ur-Kraft (shakti) wieder auf. 

Der menschliche Körper war im Tantrismus nicht mehr länger die Quelle des Schmerzes und des Übels. Vielmehr sah man darin den Tempel Gottes. Dieses Bild war eine vollkommen neue Sichtweise und machte den Körper zum Werkzeug der Befreiung. 

 

Die 3 Formen: rotes, weißes und schwarzes Tantra

Tantra-Yoga basiert auf dem Prinzip von Shiva und Shakti. Dadurch beschreibt sie die vorherrschende Kraft der Polarität im ganzen Universum. Shiva symbolisiert das männliche Prinzip, ist passiv und steht für Bewusstsein. Shakti hingegen repräsentiert die weibliche Kraft und symbolisiert so das Prinzip der Energie und Aktivität. Sie wird mit der Kundalini-Energie gleichgesetzt, die durch unterschiedlichste Übungen aktiviert werden kann. 

Rotes Tantra

Das Ziel besteht darin, die Kraft so umfassend zu erwecken, dass sie durch die Chakren aufsteigt, um im Kronen-Chakra mit dem »Einen« Bewusstsein zu verschmelzen. Diese Verschmelzung steht im roten Tantra im Vordergrund. Beim roten Tantra wird die Aktivierung der Chakren und die Steigerung des Bewusstseins durch sexuelle Tantra-Übungen herbeigeführt. Die Übungen werden sehr achtsam ausgeübt und der Kontakt zwischen zwei Menschen wird sehr respektvoll vollzogen. 

Weißes Tantra

Im Weißen Tantra-Yoga spielt sexueller Kontakt keine Rolle. Hier werden gemeinsame Yoga-Übungen mit einem Partner durchgeführt, wobei der Augenkontakt gehalten wird, die Arme ineinander verschränkt sein können oder die Finger ineinander verhakt werden. Die Vorgänge sind stark ritualisiert und ausbalanciert und dienen der Reinigung des Unterbewusstseins, der Lösung innerer Blockaden sowie der Stärkung der Selbstwahrnehmung. 

Schwarzes Tantra

Während es beim roten und weißen Tantra darum geht, dass beide Beteiligten von der Yoga-Praxis profitieren, wie es in gesunden Beziehungen der Fall sein sollte, wird beim schwarzen Tantra der andere benutzt, um für sich selbst ein Ziel zu erreichen. Es geht also darum, einen anderen Menschen zu kontrollieren, zu manipulieren und ihn oder sie für deine persönlichen Zwecke zu nutzen. Deshalb wird Schwarzes Tantra auch gerne der schwarzen Magie zugeschrieben.

 

3 Tantra-Yoga-Übungen für Einsteiger

Die wichtigste Erfahrung im klassischen Yoga ist das Verlangsamen des ununterbrochen Gedanken produzierenden Geistes, bis er allmählich ganz zum Stillstand kommt. Der Schlüssel dazu ist die Übung des prāṇāyāma. 

1. Energiesuche mit der yoni-mudrā

Du kannst jede Tantra-Sitzung mit der yoni-mudrā beginnen und beenden. So geht’s:

  • Lege deine Handflächen, mit den Fingern nach unten, flach auf deinen Unterleib. Deine Daumen bilden eine horizontale Linie, und die Finger zeigen zueinander, sodass sich die Zeigefinger berühren. So entsteht im Raum zwischen den Händen ein nach unten zeigendes Dreieck. 
     
  • Konzentriere dich darauf, deine Energien aus den Gliedmaßen zurück »nach Hause« zu dieser heiligen Form der yoni zu bringen. Diese Form ist der Archetyp der weiblichen Energie des Empfangens.
     
  • Beobachte eine Zeit lang deine Energie-Wahrnehmung und verbinde dich mit deiner Energie, bis sie sich gleichmäßig und stabil anfühlt. 
     
  • Lasse dann deine Hände tiefer zu den vier Beckenknochen gleiten. Übe dabei leichten Druck aus, um die erneuerte Energie zu empfangen und sie in deinen Beckenknochen und in Ihrer Beckenhöhle zu speichern. 
     
  • Wenn du die Hände tiefer gleiten lässt, brauchst du vielleicht ein paar Kissen oder Yogablöcke, um deine Ellbogen bequem abzustützen. Alternativ kannst du auch deine Knie beugen.
     

2. Partnerübung: Stille Begegnung 
 

  • Du und dein Partner oder deine Partnerin knien auf einer Yogamatte. Lass dich so nieder, dass dein Gesäß auf deinen Fersen ruht.
     
  • Ihr sitzt euch gegenüber und die Knie berühren sich. Nachdem ihr in diesem Sitz angekommen seid, berühren sich eure Stirnen. Eure Hände sind vor dem Herzen in der Gebetshaltung Anjali Mudra.
     
  • Wenn ihr bereit seid, schließt eure Augen und atmet sanft ein und aus. Lasst den Atem fließen und versucht, mit eurer ganzen Aufmerksamkeit bei eurem Atem. 
     
  • Kommt vollkommen an in diesem Moment der Gegenwart. Versucht, euch von vorbeiziehenden Gedanken zu lösen und euch ganz eurer tiefen Verbindung hinzugeben. 
     

3. Partnerübung: Das Boot 
 

  • Dein Partner oder deine Partnerin sitzt euch auf der Yogamatte gegenüber.
     
  • Verneigt euch voreinander, indem ihr die Handflächen vor euren Herzraum, im Herzchakra, zusammenbringt. 
     
  • Hebt dann eure Beine in die Luft und berührt euch sanft mit den Fußsohlen. Fasst euch gegenseitig an die Arme oder Hände und haltet euch achtsam fest. 
     
  • Der Rücken sollte so gerade wie möglich sein, der Kopf ist aufgerichtet. 
     
  • Schaut euch tief in die Augen und konzentriert euch auf euren Energiefluss. 
     

Fazit: Tantra-Yoga ist viel mehr als eine sexuelle Praktik

Tantra Yoga ist ein ganzheitlicher Yogastil, der umfassend »Ja« zum Leben sagt. Diese Yoga-Form ist Teil des Kundalini-Yoga und nutzt den Körper und alle Sinne, um über bestimmte Übungen die eigene Energie zum Fließen zu bringen. Tantra Yoga ist eine sehr spirituelle Praxis, die Yogahaltungen mit Atemübungen, Mantras und Mudras verbindet und häufig mit einem Partner oder mit einer Partnerin ausgeführt wird. 

Weil Tantra-Yoga die Sexualität als eine besonders starke spirituelle Kraft sieht und diese achtsam und respektvoll nutzt, liegt der Fokus auf dem Fühlen des eigenen oder eines fremden Körpers sowie einer tiefen mentalen Verbindung zweier Individuen, aber auch die Annahme des eigenen Körpers. Besonders Gefühle wie Sinnlichkeit und Freiheit spielen beim Tantra eine ausschlaggebende Rolle. 

Probiere unsere Übungen einfach mal aus und versuche mit etwas Geduld und Achtsamkeit deine persönliche spirituelle Befreiung zu erlangen.
 

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