Schattenarbeit: Anleitung und Übungen zum Selbermachen

»Ich bin freundlich, ausgeglichen und offen für alles.« Jede:r von uns hat eine ganz genaue Vorstellung davon, wer er/sie eigentlich ist. Genauso scheinen wir auch ganz genau zu wissen, wer wir nicht sind: »Ich bin nicht wütend, frustriert oder verschlossen.« Doch auch oder gerade die Eigenschaften, von denen wir fest überzeugt sind, dass sie nicht zu uns gehören, haben es sich oft in unserem Unterbewusstsein – im Schatten – bequem gemacht. Wenn wir lernen, sie zu erkennen und anzunehmen statt zu verdrängen, können wir uns selbst als Einheit erfahren, unser ganzes Potenzial ausschöpfen und unsere innere Bestimmung finden

 

Was ist Schattenarbeit? 

Die Grundlagen für die Schattenarbeit lieferte der schweizerische Psychiater C.G. Jung. Ihm zufolge sind Schatten unbewusste Teile unserer Persönlichkeit, die verdrängt oder verleugnet werden, weil sie nicht zu der Vorstellung passen, die wir von uns selbst haben. 

Schatten entstehen durch:

  • Verhaltensweisen, zu denen uns gesagt wurde, dass sie nicht richtig seien (oftmals im Kindes- und Jugendalter, aber auch als Erwachsene)
     
  • Eigenschaften, die wir selbst als falsch oder unangebracht empfinden
     
  • unbefriedigte Bedürfnisse
     
  • ungelöste Konflikte 

    Solche verdrängten Schattenanteile sind meist Eigenschaften wie Wut, Hass, Eifersucht, Gier, Neid, Egoismus oder Geiz. Es können jedoch auch Eigenschaften sein, die man zunächst eher als positiv einstufen würde, wie Stärke, Neugier, Begeisterung, Eifer oder Wertschätzung, die wir aber aus einem der oben genannten Faktoren als nicht richtig oder für uns unangebracht empfinden.

    Die Teile von uns, die wir dort in den Schatten verdrängt haben, ruhen jedoch nicht einfach oder verschwinden irgendwann von selbst. Sie arbeiten weiter und führen uns zu unbewussten Handlungen, Empfindungen und Verhaltensweisen. Wir beginnen, diese ungeliebten Seiten auf unser Außen zu projizieren. 

    Das können andere Personen, Dinge, Situationen oder sogar unsere Umgebung sein. Worte, Ereignisse oder das Handeln anderer Menschen triggern uns dann plötzlich, ohne dass wir genau sagen könnten weshalb. Wir lehnen das an ihnen ab, was uns an unsere eigenen Schattenanteile erinnert.

    An einem einfachen Beispiel erklärt: Wenn du dich darüber ärgerst, dass jemand vor dir in einem knallgelben Auto laut dröhnende Musik hört und auch noch mit erhöhter Geschwindigkeit fährt, ist es vielleicht dein unterdrückter Wunsch, auch etwas rebellischer zu sein. Vielleicht wurde dir eingetrichtert, dass man sich immer an Regeln halten muss und bloß nicht zu sehr auffallen darf. 

    Je mehr wir unsere Schattenanteile verdrängen, desto anstrengender wird es für uns. Das kann im Extremfall sogar soweit führen, dass es sich auf die physische und psychische Gesundheit auswirkt. 

    Das Ziel der Schattenarbeit ist es deshalb, die verdrängten Anteile in uns zu erkennen und sie auf positive Weise in unser Leben zu integrieren. 
Der Weg der Schattenarbeit ist der Weg zu innerem Frieden und Heilung.
Valerie Husemann

Schattenarbeit: Übungen und Anleitungen 

Wie du dir bestimmt vorstellen kannst, ist es gar nicht so einfach, sich mit seinen ungeliebten Seiten auseinanderzusetzen. Das braucht jede Menge Kraft und vor allem Mut. Dennoch lohnt es sich, denn viel befreiender als ständig gegen seine »dunklen Seiten« anzukämpfen, ist es, sich diese Eigenschaften zunutze zu machen und dadurch mehr Wertschätzung, Selbstmitgefühl und Vertrauen für sich selbst und auch mehr Nähe in Freundschaften zu entwickeln. 

Auch, wenn du auf der Suche nach deiner inneren Bestimmung bist, ist es hilfreich, deine Schattenanteile zu kennen.

Die Schattenarbeit beinhaltet drei wichtige Schritte: 

1. Erkenne deine Schatten. 
2. Lerne deine Schatten genau kennen. 
3. Schließe deinen Frieden mit ihnen und integriere sie in dein Leben. 

Passend zu jedem dieser Schritte stellen wir dir eine Übung vor, die dir dabei hilft, die Schattenarbeit selbstständig durchzuführen. 

 

horizontale Schattenlinien zeichnen sich auf der Haut einer Frau ab

1. Wie erkenne ich meine Schatten?

Als erstes musst du dafür erkennen, was deine Schattenanteile überhaupt sind. 

  • Wann zeigen sie sich in deinem Alltag?
  • Wie machen sie sich bemerkbar? 

Die einfachste Methode, um einen Schattenanteil zu identifizieren, ist, dich zu fragen, wann du das letzte Mal eine starke Reaktion auf etwas hattest. Vielleicht hast du dich über etwas geärgert, dich schlecht behandelt gefühlt oder gemerkt, dass dich etwas triggert. 

Es können starke Emotionen wie Wut, Hass oder Neid gewesen sein oder ein negativer Gedanke und eine Beurteilung der Situation, die du erlebt hast. Kannst du dir mit Hilfe dessen, was du jetzt schon weißt, vorstellen, welcher Schattenanteil dich in diesem Moment gesteuert hat?

Falls nicht, kann dir vielleicht unser Selbsttest dabei helfen, deinen Denkfallen auf die Schliche zu kommen.


Übung: Journaling zur Identifikation deiner Schattenanteile

Eine hilfreiche Unterstützung beim Erforschen deiner Schattenanteile ist außerdem das Journaling. Nimm dir etwas zu schreiben und beantworte folgende Fragen für deine Schattenarbeit. Achte dabei genau darauf, welche Gedanken dir durch den Kopf gehen und ob du wirklich ehrlich mit dir selbst bist. 

  • Was triggert dich in deinem Leben und in deinen Beziehungen am meisten?
  • Wann und wie beurteile oder verurteile ich mich und andere?
  • Was kann ich an anderen nicht leiden? 
  • Was bewundere ich sehr an anderen?
  • Womit habe ich die meisten Schwierigkeiten?

Grundsätzlich ist es für die Schattenarbeit sehr wichtig, sich selbst und sein Denken und Handeln zu reflektieren. Wenn du erst einmal siehst, dass du in einer bestimmten Weise auf etwas reagierst, ohne dass du diese Reaktion wirklich bewusst steuern konntest, bist du schon ganz nah an deinem inneren Lichtschalter. 

Schattenarbeit birgt auch die Chance, uns wieder mit unserer Intuition zu verbinden, unserer inneren Stimme, unserer inneren Weisheit.
Valerie Husemann

2. Deine Schatten kennenlernen 

Wenn du deinen Schatten identifiziert hast, ist der nächste Schritt, ihn dir genauer anzuschauen und ihn kennenzulernen. Wann zeigt er sich in deinem Leben? Wieso taucht er auf? 


Übung: Ein Gespräch mit deinem Schatten 

Eine wirksame Methode ist es, das Gespräch mit deinem Schatten zu suchen. So gehst du dabei vor:

  • Suche dir einen ruhigen Ort, mache es dir bequem und schließe deine Augen. Nimm zunächst ein paar tiefe Atemzüge, entspanne deinen Körper und komm zur Ruhe.
     
  • Tritt zunächst mit deinem Schatten in Kontakt. Begrüße ihn wie einen richtigen Gesprächspartner.
     
  • Überlege dir nun, welche Fragen du an deinen Schatten hast. Diese können zum Beispiel sein: »Wieso bist du entstanden?«, »Was ist deine Aufgabe?«, »Was kann ich für dich tun?«
     
  • Lausche nun seinen Antworten. Schreibe alles auf, was dir in den Sinn kommt. Bilder von Erlebnissen, Gedanken, Gefühle – lass all das zu.
     

3. Wie kann ich mit meinen Schatten arbeiten?

Die Basis, von der du für eine erfolgreiche Schattenarbeit ausgehen musst, lautet: Alles ist bereits in dir angelegt. Alle Emotionen, alle Anteile, egal ob positiv oder negativ, befinden sich in dir. Manche sind mehr ausgeprägt, manche weniger und manche liegen eben im Schatten und wollen beleuchtet werden. 

Mit diesem Wissen fällt es dir nun vielleicht leichter, deine Schattenanteile anzunehmen und sie in dein Leben zu integrieren. Wenn dir das gelingt, wirst du sehen, wie viel positive Energie das in dir freisetzt. 


Übung: Liebevolles Annehmen
 

  • Suche dir wieder einen ruhigen Ort, mache es dir bequem und schließe deine Augen. Nimm ein paar tiefe Atemzüge und entspanne deinen Körper.
     
  • Stell dir nun deinen Schatten, über den du inzwischen viel weißt, bildlich vor oder versuche ihn zu malen.
     
  • Wie sieht er aus? Was sind seine Eigenschaften? 
     
  • Wenn du ein klares Bild vor dir hast, stell dir vor, wie du freundlich und voller Offenheit auf deinen Schatten zugehst. Wenn du möchtest, kannst du ihm auch eine liebevolle Umarmung schenken. Bedanke dich bei ihm, dass er da ist und dir dabei hilft, dich besser kennenzulernen.
     
  • Spüre nach, wie es sich anfühlt, eine ganz neue Beziehung zu deinem inneren Schatten aufzubauen.

 

Schattenarbeit Übungen führt dich zu innerer Stärke

Diese drei Übungen können erste Schritte für dich sein, dich tiefer mit dir selbst und deinen Schattenanteilen zu beschäftigen. Wichtig ist, dass du dabei stets liebevoll mit dir selbst umgehst und nicht zu kritisch bist oder dich verurteilst, wenn es dir nicht gleich so gelingt, wie du es möchtest. Denn Schattenarbeit ist nicht immer einfach oder angenehm. Aber es lohnt sich für dich und deine persönliche Entwicklung, immer wieder hinzuschauen. Du lernst dich selbst besser kennen und schaffst eine Balance in deinem Leben, die dich zu mehr Selbstbewusstsein und Stärke führt. 

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