Digital Mindfulness: Achtsam trotz Digitalisierung

Schöne neue Welt: Human Enhancement

Schon heute können Prothesen per Gedankenkraft gesteuert werden. Wissenschaftler erforschen derzeit erfolgreich, wie die Rückkopplung im Gehirn funktionieren könnte, sodass wir auch die Berührungen einer Prothese spüren können, als wäre sie zum Beispiel unser eigener Arm. Dass virtuelle Realitäten direkt in unserem Gehirn erzeugt werden, ohne den mühsamen Umweg über 3D-Brille und menschliches Auge ist derzeit noch Zukunftsmusik, aber wohl nur eine Frage der Zeit. 

Außerdem gibt es heute Entwicklungen, die wir uns vor wenigen Jahren so nie hätten vorstellen können: Soziale Medien sind essentieller Bestandteil im Leben vieler. Das liegt daran, dass sie an einem Grundbedürfnis ansetzen: Wir wollen Zugehörigkeit empfinden, gemocht werden. Dieses Grundbedürfnis wird angesprochen, wenn wir bei sozialen Medien ein Like bekommen. Mit der Zeit gewöhnen wir uns an diese Likes und wollen mehr.

Was die oben beschriebenen Entwicklungen mit unserer Welt machen, ist Gegenstand zahlreicher Zukunftsanalysen. Was die Digitalisierung bereits heute mit unserem Gehirn macht, ist eindrucksvoll belegt: 

 

Unser Gehirn im Wandel: Folgen der Digitalisierung

Unser Gehirn ist ja bekanntlich formbar, wie zum Beispiel auch unsere Muskulatur. Hirnregionen und Muskeln, die wir viel verwenden entwickeln sich. Was ungenutzt bleibt, verkümmert. Neuroplastizität nennt das die Wissenschaft. Wenn wir uns zusehends geschmeidig durch digitale Welten bewegen, zahlen wir dafür einen hohen Preis, solange wir die Mechanismen nicht kennen und bewusster steuern: 

1. Mangelnde Konzentrationsfähigkeit

Wir sind heute einer ständigen Überreizung durch zum größten Teil unwichtige Informationen ausgesetzt, die wir kaum mehr verarbeiten können. Das ständige Hin- und Her bei dem, was wir gerade tun lässt unsere Aufmerksamkeitsspanne immer weiter sinken. Eine „hausgemachte“ Aufmerksamkeitsstörung ist die Folge. Die wiederum reduziert unsere Effektivität und Arbeitsleistung. 

2. Abnehmende Willenskraft

Adam Alter zeigt auf, dass Smartphones, Apps und soziale Medien bewusst so designt werden, dass es uns schwer fällt aufzuhören. Diese Algorithmen werden ständig optimiert. Laut Studien sind Verhaltenssüchte bei rund 40% der amerikanischen Bevölkerung bereits klinisch relevant. Darunter leidet unsere Lebenszeit und -qualität, und der wiederkehrende Kontrollverlust unterminiert unsere Fähigkeit zur Selbststeuerung. 

 

3. Schlafmangel 

Blaues Licht von Bildschirmen – so zeigen zahlreiche Studien – bringen unser Gehirn und Nervensystem durcheinander und beeinflussen sogar den Hormonhaushalt. Dadurch sinkt unsere Schlafqualität, und wir bekommen Schwierigkeiten beim Einschlafen, Durchschlafen oder wachen zu früh auf. 

4. Mangel an Empathie

In einer interessanten Studie wurden fremde Personen eingeladen, sich jeweils zu zweit zu unterhalten. In manchen Fällen lag ein Smartphone, wohl gemerkt ausgeschaltet,  auf dem Tisch. In genau diesen Fällen fanden die Gesprächspartner die Unterhaltung nachher weniger empathisch und vertrauensvoll als in den Fällen ohne Smartphone, dass heißt: Ein Smartphone auf dem Tisch reduziert die Gesprächsqualität, selbst wenn es ausgeschaltet ist.

 

Digital Mindfulness in der Praxis

Auch wenn unser Gehirn formbar ist, kommen wir also an gewissen menschlichen Grundkonstanten bis auf weiteres nicht vorbei. Sie zu kennen, kann uns dabei helfen, die Führung in unserem digitalen Leben wieder in die Hand zu nehmen. Dazu braucht es:

  • Wissen, um die wesentlichen Wirkungszusammenhänge: Wenn wir verstehen, wie die suchtauslösenden Mechanismen digitaler Angebote funktionieren, hilft das unserem Gehirn, den Haken unter dem Wurm zu erkennen – und nicht sofort anzubeißen. Eine gute Übung dazu: Vor dem Einschalten des PCs eine Minute davor sitzen und sich der wirkenden Mechanismen bewusst werden.  
     
  • Aufmerksamkeitstraining: Die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit so zu fokussieren, wie wir das wollen (statt einfach automatisch dem gerade stärksten Außenreiz zu folgen) ist der stärkste Hebel für Effizienz und mentale Gesundheit. Das können – und müssen – wir gezielt trainieren. Eine einfache Atemmeditation als regelmäßige Praxis ist hier gut geeignet. 
     
  • Selbstkenntnis: Bewusstsein zu unseren eigenen Mustern, Triggerpunkten und Ressourcen in der digitalen Welt - und außerhalb davon - macht uns handlungsfähiger und widerstandsfähiger. Abends eine kurze (schriftliche) Reflexion in einem Journal dazu bringt Klarheit. 
     
  • Individuelle Strategien und konkrete Verhaltensänderungen: Die Forschung ist deutlich: Wissen reicht nicht. Machen Sie sich einen konkreten Plan, wann Sie Offline- und „Muße“-Zeiten haben und halten Sie diese in einem persönlichem Trainingsplan fest. 

 

Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung: Je mehr Unsicherheit und Beschleunigung im Außen, desto mehr Sicherheit und Ruhe bedarf es im Innern, denn unser Gehirn tickt (noch) sehr analog. 
 

Mehr für dich