Hormone: Gesundheitsfördernd oder -schädlich?
Wie so oft lohnt sich ein Blick in das Standardwerk der „Physiologie des Menschen“ der Professoren Schmidt und Thews. Leider wird dieses Basiswissen gerne allzu geflissentlich übersehen oder sogar ignoriert, wenn es darum geht, wahlweise Hoffnung auf Heilung zu wecken oder Angst zu schüren.
In „Physiologie des Menschen“ steht geschrieben: „Hormone sind chemische Nachrichtenträger, die in spezialisierten Zellen produziert und von diesen in die Blutbahn sezerniert werden“. Und weiter: „Auf dem Blutwege gelangen die Hormone an die Zielorgane und üben dort eine spezifische Wirkung aus. Nur die Zellen der Zielorgane besitzen Rezeptoren für das entsprechende Hormon. Sie können deshalb die chemisch codierte Nachricht des Hormons lesen“.
Wir halten also fest: Der Körper produziert seine Hormone selbst, sie übermitteln Nachrichten zwischen unterschiedlichen Organen oder Geweben und sind dabei sehr wählerisch. So weit, so normal.
Wieso Hormone Hoffnungen oder Ängste in uns auslösen
Hoffnungen setzen viele Menschen - und auch Unternehmen - meistens in sämtliche Hormone, die zur Gruppe der Geschlechts- oder Wachstumshormone gehören. Diese Hormone sind besonders in der Wachstumsphase junger Menschen aktiv und sorgen für das Wachstum von Knochen, Geschlechtsorganen und allen anderen Geweben und Organen sowie der Muskulatur.
Mit der Lebenszeit nimmt auch die Aktivität dieser Hormone ab, was jeder von uns früher oder später spüren wird. Muskelmasse und auch die Knochendichte nehmen ab. Unsere Haut und Schleimhäute erneuern sich nicht mehr so rasch, sie trocknen schneller aus. Irgendwann lässt auch die Fruchtbarkeit von Frau und Mann nach. Es ist verständlich, dass der Wunsch nahe liegt, in diesen Prozess eingreifen, ihn verzögern oder sogar zum Stillstand bringen zu wollen. So hat sich die Hormontherapie entwickelt, insbesondere für Frauen, die während der Menopause die Umstellungen im Hormonhaushalt besonders spüren.
Lebensmittel mit hormonähnlichen Wirkungen
Nun wird uns auch oft von der wundersamen „Anti-Aging“-Wirkung bestimmter Lebensmittel erzählt, die quasi hormonähnliche Wirkung hätten. Isoflavone aus Soja sollen in den Wechseljahren eine Art natürliche Hormontherapie möglich machen. Vitamin D sei eigentlich ein Hormon und kein Vitamin, das nicht nur Knochen erhält, lassen Experten verlautbaren. Und am besten nimmt jeder zur Sicherheit eine Extra-Dosis davon ein. Und wer erinnert sich noch an Samantha Jones aus der 90er Jahre Serie Sex and the City, die sich ersatzweise Hummus ins Gesicht schmiert, weil ihr am Zoll sämtliche Hormoncremes abgenommen wurde. Denn auch Hülsenfrüchte sollen Anti-Aging sein.
Auf der anderen Seite ziehen warnende Stimmen auf, die sagen: Milch ist ein Wachstumsgetränk für das Kalb. Alles, was beim erwachsenen Menschen dann noch wächst, sei der Krebs. Fleisch sei mit Hormonen belastet, weil Tiere damit gemästet wurden. Und ohnehin sind unsere Lebensmittel belastet mit so genannten endokrinen Disruptoren, die aus Plastik und anderen Industriestoffen stammen, und zunehmend zur „Verweiblichung“ des Tierreiches inklusive des Mannes führen.
Übrigens heißt es auch häufig, Milch macht Pickel - ebenfalls aufgrund der Hormone. Lies hier, ob an diesem Ernährungsmythos etwas dran ist!
Wir sehen, Hormone sind anscheinend Heilsbringer und Übeltäter zugleich – zumindest je nachdem, wer gerade seine Botschaft verbreiten möchte. Wer für Aufklärung sorgen möchte, kommt um eine kleinteilige Recherche nicht herum. Daher habe ich das für Sie erledigt. Der Reihe nach:
1. Wirksamkeit medizinischer Hormontherapien nachgewiesen
Die Wirksamkeit medizinischer Hormontherapien ist für bestimmte Symptomatiken, die vor allem mit dem Alter auftreten, nachgewiesen, da es sich um eine medikamentöse Anwendung handelt. Sie wird seriös nur durch spezialisierte Fachärzte durchgeführt, alles andere sollte man sich lieber sparen.
Auch für junge Menschen, die eine Wachstumsstörung erfahren, ist eine fachärztlich durchgeführte Hormontherapie möglich.
2. Lebensmittel mit hormonähnlicher Wirkung gibt es nicht
Lebensmittel mit vergleichbarer Wirkung wie die der Hormone existieren nicht. So genannte Phytoöstrogene, zum Beispiel aus Soja, die oft mit einem niedrigeren Brustkrebsrisiko von Japanerinnen in Verbindung gebracht werden, weil diese drei- bis sechsmal so viel davon aufnehmen, sind laut Bundesamt für Risikobewertung nicht wirksam nachgewiesen. Auch Präparate, die solche Substanzen isoliert enthalten, genügen keinem therapeutischen Wirksamkeitsnachweis. Auch Hummus aus Kichererbsen oder andere Hülsenfrüchte natürlich nicht.
3. Vitamin D ist kein Hormon
Vitamin D ist per Definition weder ganz Vitamin noch ganz Hormon. Vitamine kann der Körper nicht selbst bilden, Hormone aber schon. Vitamin D kann er aber selbst bilden, allerdings wiederum nur, wenn er ausreichend der Sonne ausgesetzt ist.
Fakt ist: Der Vitamin D-Spiegel im Blut unterliegt aufgrund der Sonnenstunden einer saisonalen Schwankung. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt älteren Menschen über 65 Jahren eine Nahrungsergänzung, wenn der Vitamin D-Spiegel im Blut zu niedrig ist. Denn hier besteht ein starker Zusammenhang, dass bei ausreichender Vitamin D-Versorgung die Sturzrate sinkt und somit das Sterblichkeitsrisiko.
Junge Menschen benötigen keine Nahrungsergänzung, sondern sollten die natürliche Vitamin D-Bildung durch Aufenthalte im Freien nutzen. Bewegung und Belastung ist aber für starke Knochen immer ein Muss! Übrigens: außer den genannten Vorteilen sieht die Fachgesellschaft keinen nachgewiesenen Nutzen von Vitamin D-Nahrungsergänzung gegen Krebserkrankungen, Diabetes oder Bluthochdruck.
4. Milch beeinflusst nicht den menschlichen Hormonspiegel
Milch ist genauso wenig Wachstumsgetränk, wie alle anderen Lebensmittel, sondern weist neben einer konkurrenzlos hohen Nährstoffdichte auch Wachstumsfaktoren auf. Sonst wäre Milch keine Milch, genauso wie Kaffee ohne Koffein kein Kaffee wäre. Die Wachstumsfaktoren werden allerdings bereits durch Pasteurisieren oder Fermentieren in ihrem Gehalt hälftig bis nahezu vollständig dezimiert.
Nach der Passage durch den Magen und Darm ist es bislang nicht gelungen, nennenswerte Mengen von Wachstumsfaktoren, die aus Eiweißbausteinen zusammengesetzt sind, im menschlichen Blut wiederzufinden, die den Hormonspiegel in seiner natürlichen Schwankung stören könnten. Experimente, die ein Wachstum von Krebszellen gezeigt haben, sind bisher nur in Zellkulturstudien durchgeführt worden. Diese Ergebnisse lassen sich nicht auf den Menschen übertragen.
5. Keine Gefahr durch „Hormonfleisch“
Die Mästung von Tieren mit Hormonen ist in Deutschland per Gesetz schon seit Jahrzehnten untersagt, also besteht auch hier keine Gefahr durch „Hormonfleisch“.
6. Hormonähnliche Substanzen in der Umwelt führen zu Verweiblichung
Die Verweiblichung durch hormonähnliche Substanzen in der Umwelt ist tatsächlich feststellbar. Die Entwicklung alternativer Kunststoffe oder der bzw. Möglichkeiten, Plastik zu vermeiden, ist deshalb ein wichtiger Schritt, um die natürliche Vielfalt zu schützen, damit weniger hormonähnliche Substanzen freigesetzt werden.
Wahr ist auch, dass bei Männern die Anzahl und Qualität der Spermien seit Jahrzehnten messbar abnimmt, wie eine Studie aus Israel in 2017 zeigte. Allerdings ist dabei eine Häufung in den westlichen Industrienationen festzustellen, weshalb auch ein Zusammenhang mit anderen Zivilisationserkrankungen wahrscheinlich ist. Übergewicht spielt dabei eine möglicherweise wichtige Rolle, da auch dadurch nachweislich die Spermienzahl und -qualität leidet.
Sorgen machen müssen sich Männer aber noch nicht: Die Untergrenze, ab der eine fehlende Fruchtbarkeit diagnostiziert wird, ist noch lange nicht erreicht.
Hormone: Die Dosis macht das Gift
Wie wir nun gesehen haben, gibt es weder gut noch böse, wenn es um Hormone geht, auch im Kontext Ernährung nicht. Es ist immer eine Frage der Dosis: Eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ist daher nach wie vor der beste Weg, dem Körper zu geben, was er für einen gesunden Hormonstoffwechsel benötigt. Nahrungsergänzungsmittel machen aber nur im Ausnahmefall Sinn.
Eine gute Nachricht noch zum Schluss: Die Krebserkrankungsraten sind in Deutschland laut Krebsregister bei Männern schon seit 2003 und bei Frauen seit 2009 sinkend. Die Sterberaten ebenfalls. Und wie kürzlich eine Veröffentlichung der Universität Mailand gezeigt hat, erkranken auch in Europa immer weniger Menschen an Krebs. Wer also Panik verbreiten will, wegen Hormonen in unserem Essen, sollte sich vorher noch einmal über die Faktenlage informieren, denn weniger gegessen haben wir in den letzten Jahrzehnten wahrlich nicht.
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