Ernährungsmythen auf der Spur: Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach klärt auf
Was es mit Ernährungsmythen rund um Weizen, Kaffee, Nahrungsergänzungsmittel, Fischölen, Fleisch und Zucker auf sich hat
Mythos 1: Kaffee ist nur ein Wachmacher
Viele denken bei Kaffee als erstes an das darin enthaltene Koffein, das als Wachmacher gilt. Dies ist jedoch nur ein kleiner Teil der umfangreichen Auswirkungen, die Kaffee auf unseren Körper hat.
Neben der spürbaren Belebung des Körpers und Geistes, hat Kaffee Studien zufolge noch viele weitere gesundheitliche Vorteile. So wurde er in Verbindung gebracht mit
- besserer Konzentration
- verbesserter Denk- und Gedächtnisleistung
- einem angekurbelten Stoffwechsel
- gesteigerter sportlicher Trainingsleistung
- einer präventiven Wirkung zum Schutz gegen ernsthafte Erkrankungen wie Diabetes und Parkinson
Sollte dein Magen besonders empfindlich sein: Magenfreundliche Angebote mit reduziertem Anteil an Kaffeesäure und Bitterstoffen sind überall erhältlich. Falls du deinen Lieblingskaffee nicht nur schwarz trinkst: Die gewählte Menge an Milch beeinflusst nicht nur den Geschmack, sondern bindet auch die Bitterstoffe. Ladenhüter aus der Kaffeekanne solltest du meiden.
Durch die regelmäßige Kaffeezufuhr in Maßen (2-3 Tassen pro Tag) kann der Körper also leistungsstärker und belastbarer werden. Kaffee dient nicht nur als Getränk, sondern als eine Art Lebenselexier mit wissenschaftlich belegten gesundheitlichen Vorteilen.
Mythos 2: Kaffee macht die Knochen brüchig
Der kuriose Ernährungsmythos, dass Kaffee die Knochen entkalkt und brüchig macht, hält sich hartnäckig. Für die meisten Menschen ist diese Annahme wissenschaftlich nicht haltbar. Unsere Knochen sind keineswegs starre Gebilde; sie befinden sich unser Leben lang in einem ständigen Auf- und Abbau.
Die Fähigkeit der Knochen, stark zu bleiben und Kalzium aufzunehmen, hängt von drei Hauptfaktoren ab:
- Kalziumzufuhr.
- Vitamin D, das die Kalziumaufnahme verbessert (80 % des Bedarfs produziert der Körper selbst durch Sonnenlicht).
- Ausreichend Bewegung an der frischen Luft.
Der Mythos beruht auf zwei Hauptirrtümern:
- »Übersäuerung« durch Kaffee: Die Annahme, der Körper müsse Kalzium aus den Knochen mobilisieren, um die Säure des Kaffees zu puffern, ist falsch. Die Nieren scheiden Säuren ausreichend aus, und der tatsächliche Säuregehalt von Kaffee ist vernachlässigbar. Er hat keinen physiologischen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel.
- Skandinavische Studien: Beobachtungen eines Zusammenhangs zwischen hohem Kaffeekonsum und Knochenbrüchen in Skandinavien sind wahrscheinlich auf die geringeren Sonnenstunden und damit weniger Bewegung im Freien zurückzuführen. Es besteht lediglich eine Korrelation, keine Kausalität.
Kaffee ist für gesunde Knochen unbedenklich. Wer seine Knochen stärken möchte, sollte auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung mit ausreichender Kalziumzufuhr und viel Bewegung an der frischen Luft achten.
Mythos 3: Alle Nahrungsergänzungsmittel sind vorteilhaft
Nahrungsergänzungsmittel können eine hilfreiche Ergänzung zu unserer Ernährung sein, wenn sie richtig verwendet werden. Sie können dazu beitragen, bestimmte Nährstofflücken in unserer Ernährung zu schließen, insbesondere bei speziellen Diäten oder bestimmten Gesundheitszuständen. Bei folgenden Vitalstoffen lässt sich häufiger ein Mangel feststellen:
- Omega-3-Fettsäuren: verhindern übermäßige Fetteinlagerung, verbessern Cholesterinhaushalt, hemmen Entzündungsreaktionen des Immunsystems
- Vitamin D: breite Wirkung auf Immunsystem, Nerven und Gehirn, Herz und Kreislauf
- Vitamin B12: wichtig für Energiestoffwechsel der Zellen (Mitochondrien), Synthese von Hormonen und Neurotransmittern
- Besonders bei der vegetarischen und veganen Ernährung sollte darauf geachtet werden, genügend Vitamin B12 aufzunehmen. Für Veganer:innen spielt zusätzlich die Versorgung mit Vitamin B2 eine Rolle.
Ein vermuteter oder tatsächlicher Mangel kann durch die Wahl geeigneter Nahrungsmittel oder auch durch Nahrungsergänzungsmittel behoben werden. Dennoch können sie ganze Lebensmittel nicht ersetzen, die eine komplexe Mischung von Nährstoffen, Ballaststoffen und anderen gesundheitsförderlichen Substanzen enthalten.
- Zusätzlich können Nahrungsergänzungsmittel bei übermäßigem Verzehr gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Einige Supplemente können beispielsweise mit bestimmten Medikamenten interagieren und daher unerwünschte Nebenwirkungen verursachen.
- Bei natürlich belassenen Lebensmitteln besteht keine Gefahr einer Überdosierung. Daher ist es immer wichtig, sich medizinisch beraten zu lassen, bevor man mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln beginnt.
Mythos 4: Fischöle helfen gegen Alzheimer
Obwohl Omega-3-Fettsäuren, die in Fischölen enthalten sind, in mehreren Aspekten der Gehirngesundheit eine Rolle spielen, sind die Beweise für ihren Schutz vor Alzheimer gemischt. Es gibt einige Studien, die eine verminderte Alzheimer-Erkrankung bei Menschen mit höherer Fischaufnahme gezeigt haben, aber andere Studien haben keinen solchen Zusammenhang festgestellt.
Große Übersichtsstudien der Cochrane-Stiftung, die sich auf evidenzbasierte Medizin spezialisiert hat, zeigen denn auch keine Risikominderung für Alzheimer durch Omega-3-Fettsäuren, egal ob aus Fischöl oder anderen Ölen.
Einen Vorteil aber haben mehrfach ungesättigte Fettsäuren ganz allgemein hingegen schon: in ausreichender Menge können sie das Risiko für Herzkreislauferkrankungen senken.
Da wir in der Regel etwas zu wenig von diesen Fettsäuren aufnehmen, kann es schon helfen, zum Kochen und für Salate einfach ein raffiniertes beziehungsweise natives Rapsöl zu verwenden oder auch einfach mal einen Esslöffel pur einzunehmen.
Es ist auch wichtig zu bedenken, dass die Vorbeugung von Alzheimer wahrscheinlich komplexer ist als die Einnahme eines einzelnen Nahrungsergänzungsmittels. Wissenschaftler glauben jetzt, dass folgende Faktoren am wirksamsten zur Vorbeugung oder Verzögerung von Alzheimer beitragen können:
- gesunde Lebensweise
- ausgewogenen Ernährung
- regelmäßige körperlicher Aktivität
- ausreichend Schlaf und
- soziale Interaktion
Mythos 5: Fleisch ist krebserregend
Obwohl bestimmte Arten von Fleisch, insbesondere verarbeitetes Fleisch und rotes Fleisch, in Verbindung mit einem erhöhten Krebsrisiko gebracht wurden, sind die Dinge nicht so einfach. Ein übermäßiger Verzehr von verarbeitetem oder rotem Fleisch kann das Risiko für bestimmte Arten von Krebs erhöhen.
Allerdings hängt das Krebsrisiko von zahlreichen Faktoren ab:
- Genetik
- Umwelt
- Lebensweise
- Gewicht
Es ist auch erwähnenswert, dass Fleisch eine bedeutende Quelle von wichtigen Nährstoffen, einschließlich
- Protein
- Eisen
- Zink und
- Vitamin B12
Eine ausgewogene und gesunde Ernährung, die Fleisch in Maßen enthält, zusammen mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und gesunden Fetten, kann zur Erhaltung der Gesundheit beitragen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt zwar, nicht mehr als 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche zu essen, plädiert aber dafür, sich eher auf die Hälfte zu beschränken. Damit fährt jeder, der gelegentlich gerne mal ein gutes Stück Fleisch oder seine Lieblingswurst isst, mit Sicherheit sehr gut.
Mythos 6: Zucker macht süchtig
Mal Gift, mal Droge, aber auf jeden Fall der Dickmacher Nummer 1 und Verursacher von Diabetes bis Demenz. Aber was ist wirklich dran am Zucker-Bashing? Die moderne Ernährungslandschaft hat Zucker den Ruf verliehen, das »weiße Gift« zu sein. Doch ist Zucker wirklich der alleinige Übeltäter? Tatsächlich hat sich die Verwendung von Zucker in unserer Ernährung seit dem Zweiten Weltkrieg verändert, wobei Zucker in viele Lebensmittel Einzug hält.
Dies hat zu einer Steigerung der Gesamtaufnahme von Lebensmitteln geführt, was zu weitverbreitetem Übergewicht beiträgt. Daher liegt das Problem nicht nur am Zucker, sondern daran, dass wir insgesamt zu viel, zu süß und zu fett essen.
Der Mythos, dass Zucker süchtig macht, ist ebenfalls komplex. Zucker stimuliert zwar unser Belohnungszentrum im Gehirn, aber nicht annähernd so stark wie bei anderen Suchtmitteln. Suchtähnliches Verhalten kann zu bestimmten Lebensmitteln oder Verhaltensweisen, auch unkontrolliertem Essen, entwickelt werden, aber das ist nicht dasselbe wie eine klinische Sucht.
Kurz gesagt: Die Probleme fangen nicht mit Zucker an sich an, sondern durch zu viel Essensenergie und zu wenig Energieverbrauch.
Mythos 7: Milch macht Pickel
Oft wird angenommen, dass das Milchfett eine Überfettung der Haut verursacht, was zu verstopften Poren und Pickeln führt. Eine andere häufig genannte Erklärung sind die Wachstumsfaktoren in der Kuhmilch, die angeblich die Talgproduktion anregen. Doch diese Erklärungen sind unwahrscheinlich. Das mit der Nahrung aufgenommene Fett wird im Körper in seine Einzelteile zerlegt und nicht einfach in die Haut transportiert. Zudem werden die meisten Wachstumsfaktoren im Darm gespalten, sodass nur ein geringer Teil intakt in den Blutkreislauf gelangt.
Aber was sagen Studien? Eine große Meta-Analyse aus dem Jahr 2018 untersuchte zahlreiche Studien zum Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Akne. Das überraschende Ergebnis: Ausgerechnet Personen, die Magermilch tranken, hatten durchschnittlich 24 Prozent häufiger mit Akne zu kämpfen. Bei Konsumenten von fettarmer Milch und Vollmilch gab es hingegen kaum einen Unterschied zu denjenigen, die ganz auf Kuhmilch verzichteten.
Daraus lässt sich nur schließen, dass sich die Ursachen für unreine Haut nicht eindeutig bestimmen lassen, da mehrere Faktoren wie
- Hautpflege,
- Hormone oder
- Bakterien
eine Rolle spielen.
Generell gilt: Wenn du Hautprobleme hast, solltest du versuchen, auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu achten.
Mythos 8: Kohlenhydrate machen dick
Kohlenhydrate werden in unserem Körper in Glukose umgewandelt und als schneller Energielieferant genutzt oder kurzzeitig in der Leber gespeichert.
Wenn du auf Kohlenhydrate verzichtest, greift dein Körper auf gespeichertes Glykogen in der Leber zurück. Ist dieser Speicher leer, wandelt er Fette und Proteine in sogenannte Ketone um, um Energie zu gewinnen. Dadurch bleibt der Insulinspiegel niedrig, was den Abbau von Fettreserven fördert. Dies führt zwar zu einem kurzfristigen Gewichtsverlust, aber auch zu anderen Problemen.
Ein Mangel an Kohlenhydraten kann den Körper in einen Stresszustand versetzen, der den Hormonhaushalt beeinflussen kann. Zudem birgt der Verzicht auf stärkehaltige Lebensmittel folgende Gefahren:
- Der Cholesterinspiegel kann steigen, was bei Risikopersonen zu verstopften Arterien führen kann (wenn statt Kohlenhydraten vermehrt Fette konsumiert werden).
- Die Umwandlung von Proteinen zur Energiegewinnung belastet die Nieren.
- Ein Mangel an Ballaststoffen, die in vielen stärkereichen Lebensmitteln enthalten sind, kann Verstopfung und ein erhöhtes Darmkrebsrisiko verursachen.
Kohlenhydrate sind keine bösen Dickmacher. Stattdessen sind sie ein gesunder Brennstoff für unseren Körper. Eine dauerhafte Low-Carb-Diät kann sogar gesundheitsschädlich sein und führt oft zum Jo-Jo-Effekt. Wenn du gesund abnehmen möchtest, ist es besser, auf eine ausgewogene Ernährung und Sport zu setzen.
Mythos 9: Gluten und Weizen sind ungesund
Glutenfreie Ernährung ist ein großer Trend, von Prominenten beworben, die glauben, dadurch glücklicher und gesünder zu leben. Aber sind Gluten und Weizen so ungesund, wie oft behauptet wird?
Was sind Weizen und Gluten überhaupt?
- Weizen ist ein Grundnahrungsmittel, das seit Tausenden von Jahren angebaut wird und fast alles liefert, was der Körper zum Leben braucht: Kohlenhydrate, pflanzliches Eiweiß, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und Ballaststoffe.
- Gluten, oft als „Kleberprotein“ bezeichnet, ist ein Eiweiß, das in Weizen enthalten ist und dafür sorgt, dass Brotteig aufgeht und eine luftige Krume bildet. Moderne Weizensorten wurden gezüchtet, um einen höheren Glutengehalt zu haben, was ihre Backeigenschaften verbessert.
Es gibt einige Gründe, warum Menschen auf glutenhaltige Getreide verzichten müssen, aber für die meisten Menschen ist Gluten nicht ungesund.
- Zöliakie: Dies ist eine spezielle Nahrungsmittelunverträglichkeit mit genetischen und immunologischen Ursachen. Betroffene müssen lebenslang strikt auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten, da schon Spuren zu schwerwiegenden, teils irreversiblen Reaktionen der Darmschleimhaut führen.
- Gluten-Sensitivität (oder Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenprotein-Unverträglichkeit): Diese Formen sind ungefährlich, aber unangenehm. Sie führen nicht zu kritischen Veränderungen der Darmschleimhaut oder immunologischen Reaktionen. Symptome können Abgeschlagenheit, Hautirritationen, Schmerzen oder Verdauungsstörungen sein.
Die Annahme, dass Weizen generell dick oder krank macht, ist nicht belegt. Statistiken zeigen zwar oft eine Korrelation zwischen steigendem Weizenkonsum und zunehmendem Übergewicht oder Krankheitsraten, aber dies bedeutet keine Kausalität. Es liegt oft an anderen Faktoren wie der allgemeinen Bevölkerungsalterung.
Die Italiener, die viel Weizenbrot und -produkte konsumieren, gehören zu den Nationen mit der höchsten Lebenserwartung und sind im europäischen Vergleich schlanker. Solange keine diagnostizierte Zöliakie oder Weizeneiweißallergie vorliegt, gibt es also keinen Grund, vollständig auf Weizen zu verzichten.
Mythos 10: Kohlensäure ist ungesund
Kohlensäure in Getränken wird oft als schädlich angesehen, weil das Wort »Säure« enthalten ist, aber im Körper hat sie kaum Auswirkungen auf den Säure-Basen-Haushalt. Nur ein winziger Teil des Sprudels bleibt überhaupt im Körper, denn die Kohlensäure zerfällt schnell und ist so gut wie pH-neutral.
Es gibt jedoch eine Ausnahme, bei der du vorsichtig sein solltest:
- Wenn du einen empfindlichen Magen hast, kann Kohlensäure Sodbrennen oder Magenschmerzen verursachen.
- Bei einer Magenschleimhautentzündung (Gastritis) ist es ebenfalls ratsam, vorübergehend auf kohlensäurehaltige Getränke zu verzichten.
- In seltenen Fällen kann kohlensäurehaltiges Wasser bei empfindlichen Personen den Magen gegen das Zwerchfell drücken und Schmerzen in der linken Brustseite hervorrufen (Roemheld-Komplex), die leicht mit einem Herzinfarkt verwechselt werden können.
In den meisten Fällen ist Sprudelwasser jedoch völlig harmlos. Gönne dir den erfrischenden Genuss ruhig ohne Bedenken. Nur bei einem empfindlichen Magen ist stilles Wasser möglicherweise die bessere Wahl.
Fazit: Hinterfragen und Ernährungsmythen aufdecken
Das Thema Ernährung ist komplex und manchmal verwirrend. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es nicht die eine »richtige« Ernährungsweise gibt, und dass es immer sinnvolö ist, Ratschläge und Trends kritisch zu hinterfragen. Die wissenschaftlich fundierten Erklärungen von mir sollen dir dabei helfen, einige der häufigsten Ernährungsmythen zu entmystifizieren. Denn klar ist: Die Dosis macht das Gift und eine ausgewogene und gesunde Ernährung in Kombination mit einem aktiven Lebensstil ist der Schlüssel zu einem gesunden Körper und einem besseren Wohlbefinden.