Sich selbst im Weg stehen: Wie du Selbstsabotage beendest

Es fällt uns mit Blick auf andere oft leichter, Situationen einzuschätzen und den richtigen Weg zu erkennen. Die gute Nachricht ist: Du bist damit nicht allein. Es ist tatsächlich völlig normal, dass sich deine Gefühle und deine Entscheidungen regelmäßig widersprechen oder dich in verschiedene Richtungen ziehen. 

Du hast dich mal wieder nicht getraut, einer nervigen Kollegin die Meinung zu sagen? Oder hast es endlich getan und fühlst dich jetzt nicht etwa besser, sondern wirst von deinem schlechten Gewissen gequält? Willkommen im Club!

Der persische Gelehrte und Dichter Rumi hat schon im 13. Jahrhundert das menschliche Dasein als Gasthaus beschrieben, in dem sich die unterschiedlichsten Charaktere die Klinke in die Hand geben.

In deinem Kopf lebst du nicht etwa allein, eine ganze Wohngemeinschaft ist für die Entscheidungen, die du triffst verantwortlich. Mal ist der Eine, mal der Andere tonangebend. Da kann es schon mal vorkommen, dass sich die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile in die Haare bekommen und sich das für dich nach innerer Sabotage anfühlt.  

Ein erster Schritt herauszufinden, was du brauchst und was dir gut tut, ist, diesen Stimmen zuzuhören und zu verstehen, warum sie sich benehmen, wie sie sich eben benehmen. Vor allem wenn der ein oder andere regelmäßig aus der Reihe tanzt und dir damit das Leben schwer macht.

 

Mit der IFS Methode deine innere Wohngemeinschaft kennenlernen

Vor etwa 40 Jahren entwickelte der amerikanische Psychologe Richard C. Schwartz das sogenannte IFS Modell: Inner Family System. Es besagt – sehr einfach ausgedrückt - dass niemand von uns nur eine einzige Person ist, sondern wir alle unterschiedliche Persönlichkeitsanteile ins uns tragen, die in bestimmten Situationen nach vorne drängen. Du bist also nicht immer schüchtern und keineswegs immer ängstlich. 

Den inneren Monolog, den unsere Mitbewohner führen, bekommst du mal mehr, mal weniger mit:
»Heute esse ich keine Schokolade«, hörst du dich am Morgen voller Selbstdisziplin im Kopf sagen. »Nur noch eine kleine Ausnahme, ich hab es mir verdient«, lockt dich jedoch eine andere Stimme am Abend an den Schrank mit den Süßigkeiten. Und du bist wütend, weil du dich wieder einmal selbst sabotiert hast. Weil du dir selbst im Weg stehst und doch eigentlich gesund leben willst.

Ärgere dich nicht zu sehr, investiere die Energie besser in die Beobachtung dieser Stimmen, denn es ist nicht eine einzige Stimme, es sind verschiedene Anteile deiner Persönlichkeit, die hier deine Aufmerksamkeit brauchen. 

Die Bewohner in deinem Kopf fallen nicht einfach vom Himmel, manche von ihnen sind als Veranlagung bereits vorhanden, andere ziehen, aufgrund von Erlebnissen oder Prägung, erst später ein. 

Vielleicht tauschen sie auch irgendwann die Zimmer, weil einer wichtiger wird als der andere. Manche sind noch sehr jung, vielleicht Kinder, andere bereits sehr reif. 

Um dir ein Bild von deiner individuellen WG zu machen, findest du hier ein paar häufig vorkommende Typen, die in vielen Menschen wohnen - lies dir die Liste durch, vielleicht kommt dir der ein oder andere bekannt vor? Setz dich im Anschluss an einen ruhigen Ort, nimm dir Stift und Papier und versuche deine eigene Wohngemeinschaft zu skizzieren. Wer sitzt in deinem Kopf? 

  • Der/die To-do-Manager:in: Ich erinnere dich zuverlässig an all deine Aufgaben und behalte unsere Pläne im Kopf.
     
  • Der/die Kritiker:in: Ich erkenne jeden unserer Mängel, bevor es jemand anderes tut.
     
  • Der zugewandte Mitmensch: Ich bin nett zu anderen, damit sie nett zu uns sind.
     
  • Die inneren Kinder: Wir sind neugierig und brauchen Sicherheit, wir können aber auch sehr traurig und wütend sein, dann ziehen wir Schattenkinder uns weit zurück und sind kaum sichtbar.
     
  • Der/die Wächter:in: Ich passe auf, dass wir keine Regeln brechen und keinen Ärger bekommen.
     
  • Der/die Rebell:in: Ich bin dafür da, dass wir genügend Freiraum bekommen.
     
  • Der/die Optimierer:in: Ich sorge dafür, dass wir das Beste aus uns herausholen.
     
  • Der/die Beschützer:in: Ich verteidige uns, mit Angriff oder Rückzug.

Diese Namen und Mitbewohner:innen sind nur ein Vorschlag, eine Idee, in welche Richtung es gehen kann. Vielleicht wohnt in deinem Kopf eine völlig andere Truppe? Vielleicht haben sie ganz andere Namen? Griesgram, Zimperliese oder Prinzessin? 

Hör einfach aufmerksam in dich hinein und fühl dich frei, deine inneren Anteile selbst zu beschreiben, vielleicht sogar zu malen. Überlege dann im nächsten Schritt, in welchen Situationen du das Gefühl hast, dir selbst im Weg zu stehen.

 

Viele Menschen leiden unnötig, weil sie glauben, dass sie nur ein bestimmter Typ Mensch sein dürfen oder dass nur bestimmte Teile ihrer Persönlichkeit akzeptabel sind. So versuchen sie, die widersprüchlichen Gedanken, Gefühle und Perspektiven ihrer anderen Teile zu unterdrücken.
Heike Mayer

Ich stehe mir nicht im Weg, ich erkenne die Wünsche meiner Persönlichkeitsanteile

Nach der kleinen Übung zum Kennenlernen deiner inneren Wohngemeinschaft hast du jetzt sicher ein paar Mitbewohner:innen, die du sympathischer findest als andere. Auch das ist völlig in Ordnung. Wir müssen nicht mit jedem Anteil in unserem Kopf gerne ein Bierchen trinken gehen. 

Es gibt Eigenschaften, mit denen du dich leichter identifizieren kannst, die dir vielleicht sogar schmeicheln, und Charakterzüge, die du nicht so gern hast. Wichtig ist zu erkennen, dass sie alle einen Berechtigungsschein für diese Wohnung besitzen. Sie haben eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen oder sind aufgrund eines prägenden Erlebnisses, einer Phase in deinem Leben, dort eingezogen. 

 

Audio-Meditation: Innere Anteile ausfindig machen

Die folgende Audio-Meditation von Heike Mayer, der Autorin des Buches »Ich steh mir selbst nicht mehr im Weg«, hilft dir dabei, deine inneren Anteile ausfindig zu machen.
 

Wenn es dir gelingt, deine Mitbewohner:innen besser zu verstehen, woher sie kommen, was sie für dich wollen, dann ist das ein großer Schritt in Richtung Selbstakzeptanz und Selbstliebe. 

In der Regel will keiner von ihnen dich wirklich sabotieren, sie haben nur alle unterschiedliche Ziele und Wünsche für dich – die gilt es herauszufinden, um im richtigen Moment dem richtigen Persönlichkeitsanteil die Entscheidungsmacht zu geben. Auch hierzu eine kleine Übung:

1. Berufe eine WG - Versammlung ein

Nimm das Blatt mit deinen Bewohner:innen zur Hand und such dir einen ruhigen Ort. Überlege, in welchen Situationen du das Gefühl hast, die Kontrolle zu verlieren oder mit deinen Entscheidungen nicht zufrieden bist. Welche negativen Denkmuster sich in dein Leben eingeschlichen haben. 

Vielleicht ist es der all-abendlich abgebrochene Zucker-Verzicht? Vielleicht der ewige Streit mit dem Partner bzw. der Partnerin? Vielleicht das Schimpfen mit den Kindern?

  • Welche Mitbewohner:innen haben in diesem Moment die Kontrolle?
     
  • Warum trifft er oder sie diese Entscheidung? Was ist sein/ihr Wunsch für dich?
     
  • Welche:r andere Mitbewohner:in könnte ihm/ihr in dieser Situation helfen, damit es dir langfristig besser geht?

Nehmen wir das Beispiel mit der Schokolade: Wer überredet dich am Abend zum Naschen? Ist es vielleicht dein:e Beschützer:in, der/die dich für den Stress des Tages belohnen will? Er/Sie will, dass es dir gut geht - mehr nicht, ein ehrenwerter Wunsch, man kann ihm/ihr nicht böse sein.

 

2. Trenne zwischen Wünschen deiner Mitbewohner:innen und deinen

Der Wunsch eines Persönlichkeitsanteils ist meist kurzfristig gedacht. Dein:e Beschützer:in will, dass es dir jetzt gut geht. Du aber weißt, das Stück Schokolade macht mich vielleicht jetzt glücklich, in fünf Minuten ärgert sich der/die Optimierer:in und der/die Wächter:in über unsere Schwäche. 

Frage dich also: Was willst du langfristig? 
Du bist der Herr im Haus, du darfst das entscheiden. Willst du lieber den Abend zuckerfrei verbringen? Deine Entscheidung. Willst du an diesem Abend aber doch die Schokolade essen? Ebenfalls deine Entscheidung. Beides ist richtig, nichts ist falsch.

 

»Einfach du selbst« - die Box für deine Selbstfindung

Auf der Reise zu deiner Persönlichkeitsentwicklung begleitet dich unsere Box »Einfach du selbst«. Mit praktischen Hilfsmitteln, wie dem Buch »Ich steh mir selbst nicht mehr im Weg« von Heike Mayer, Achtsamkeitskarten uvm. kannst du dich selbst besser kennen und verstehen lernen und dein wahres Ich finden.

3. Erteile den Auftrag und stelle Hilfe bereit

Wenn du rausgefunden hast, was du willst, dann lass den/die dafür verantwortlichen Mitbewohner:in entscheiden. Gib das Kommando bewusst an den/die Beschützer:in oder den/die Wächter:in oder wen auch immer du in diesem Moment befähigen willst. Stell ihm/ihr im besten Fall andere Bewohner:innen zur Seite, die ihm/ihr helfen. 

Vor allem aber: Akzeptiere deine Entscheidung als einen positiven Teil von dir selbst. Anstatt dich für die gegessene Schokolade zu schämen, mach dir bewusst, dass dies ein Moment war, der dir gut getan und Freude bereitet hat. Anstatt dem Verzicht nachzutrauern, sei stolz, dass du ein größeres Ziel - gesundes Leben - an diesem Tag erreicht hast. Was auch immer du entschieden hast, es war keine Sabotage, ganz im Gegenteil, es war eine helfende Unterstützung deiner inneren Familie.

 

So lenkst du deine Persönlichkeitsanteile bewusster

Das Gefühl der Selbstsabotage verspüren wir dann, wenn es Bereiche in unserem Leben gibt, die wir nur schwer ändern können. Irgendetwas scheint dich daran zu hindern, deine Ziele umzusetzen. Nun, da du in Ansätzen weißt, was und wer in deinem Kopf so los ist, kannst du dir diese Wünsche nach Veränderung etwas genauer ansehen:

  • Was willst du verändern und warum? Denke langfristig: »Ich will kündigen und aus meinem Job raus«, ist ein kurz gedachtes Ziel. Warum willst du kündigen? Was macht dich unglücklich? Was erwartest  du dir von der Zeit nach der Kündigung, wie soll es weitergehen?
     
  • Warum hast du es bisher nicht geschafft? Wer in deiner WG stellt sich gegen diesen Wunsch und warum? Was sind die Ziele der ablehnenden Persönlichkeitsanteile? Vielleicht musst du ihnen deinen Wunsch nochmal erklären? Höre aber in jedem Fall aufmerksam auf ihre Einwände.
     
  • Triff deine Entscheidung bewusst und nachhaltig mit allem Für und Wider. Gib das Kommando an die dafür geeigneten Mitbewohner:innen, behalte dabei die Zweifler im Blick. Es nutzt nichts, sie zu verdrängen, sie werden ihren Weg in deine Gedanken finden. Mach dir stattdessen bewusst, dass auch sie es nur gut mit dir meinen und stell dich auf den Protest ein. Im Zweifel berufe erneut eine WG-Konferenz ein.

    Du hast gelernt, dass Selbstsabotage im Grunde nichts anderes ist, als der Wunsch verschiedener Persönlichkeitsanteile in deinem Kopf. Sie wollen dir damit nichts Böses, sie haben ihre Aufgabe in deinem Leben. 

Bleibe im Austausch mit deinen inneren Anteilen, vielleicht baust du das als Ritual in deinen Alltag ein. Eine kleine Meditation um den inneren Kritiker zu stoppen, ein stilles Gespräch mit dir selbst? 

Du wirst sehen, die Freundschaft und der achtsame Umgang mit deinen Mitbewohnern lohnt sich. Sie sind ein liebenswerter Teil von dir, sie machen dich authentisch und einzigartig. Als Freunde an deiner Seite helfen sie dir, das Leben zu führen, das du dir wünschst.
 

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