Schluss mit Vorurteilen: wie du Schubladen-Denken ein Ende setzt

Wir wachsen auf mit bestimmten Bildern von Menschen, die einer sozialen Gruppe zugehörig sind und  lernen schnell, gewissen Personen gegenüber wachsam zu sein. Wir wissen im Zweifel aber gar nicht, wo diese Vorsicht herkommt. Es sind Vorurteile, die gelernt sind und sich als eine Art persönliche Wahrheit in unser Gedächtnis einbrennen. Wir teilen Menschen daher häufig ganz automatisch in verschiedene Schubladen ein und kategorisieren diese. Und schließlich richten wir unseren Umgang mit bestimmten Personen nach diesen Kategorien.
 

Unter einem Vorurteil versteht man (…) gemeinhin eine Abneigung oder Zuneigung gegenüber einer Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.
Jens Förster

Eine soziale Gruppe bilden zum Beispiel Türken, Sinti, Deutsche, aber auch Frauen, Pubertierende, Veganer, Mathematikerinnen, Übergewichtige etc. Sie werden deshalb als Gruppe wahrgenommen, weil sie ein gemeinsames Merkmal tragen. Ein solches Merkmal kann erworben werden, wie zum Beispiel Porsche-Sammler oder Lehrer, oder angeboren sein wie Geschlecht, Ethnie, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung. 


 

Wie entstehen Vorurteile? 

Ein Vorurteil beinhaltet immer eine Emotion oder einen positiven oder negativen Wert, der sich in Abneigung (»Ich mag keine Türken«) oder Zuneigung (»Ich finde Türken klasse«) ausdrücken kann. Daraus entwickeln sich schließlich Meinungen, wie z.B. »Ich finde, die Türken integrieren sich nicht genug und wollen mit uns Deutschen nichts zu tun haben.« Nicht immer, aber häufig, basieren Urteile über andere auf dürftigem Wissen und Unsicherheiten.

Wir fällen ein Urteil, obwohl wir wenig über die betreffende Person und oft auch wenig über die gesamte Gruppe wissen. Weitere Beispiele für Vorurteile wären: »Beamte sind faul«, »Frauen können kein Unternehmen führen«, »Schwule machen nur Party« oder »Fußballspieler und Models haben nichts in der Birne«. 

Auch, wenn mit Vorurteilen im allgemeinen Sprachgebrauch eher negative Annahmen gemeint sind, gibt es natürlich auch positive Vorurteile: »Homosexuelle sind kreativ und haben Geschmack«, »Dicke sind lustig und gute Kumpel«, »Italiener sind leidenschaftlich«. Grundsätzlich resultieren negative Emotionen wie Ekel, Angst und Neid in einer negativen Meinung und positive Gefühle wie Neugier, Freude und Erregung in einer positiven Meinung. 

Das emotionale Langzeitgedächtnis radiert nicht einfach Gedächtnisspuren aus, die uns dabei geholfen haben, »gut« und »böse« voneinander zu unterscheiden.
Jens Förster

Warum schleichen sich Vorurteile so einfach in unsere Gedanken ein, selbst, wenn wir uns als tolerant und weltoffen bezeichnen würden? Es braucht viel Zeit und Arbeit an sich selbst, um spontane negative Reaktionen durch positive zu ersetzen. Selbst wenn du den festen Willen hast, dauert es, ein bestehendes Vorurteil endgültig zu zertrümmern. 

Das emotionale Gedächtnis vergisst Angstbesetztes, aber auch Ekel und Unwohlsein nicht so schnell, auch wenn es die Vernunft vielleicht möchte. Wenn du schon einmal eine Lebensmittelvergiftung hattest, weißt du, dass sich Ekel vor bestimmten Gerichten nicht so einfach abschütteln lässt. 

 

Frau haelt sich die augen zu

Was sind Stereotype und was haben sie mit Vorurteilen zu tun?

Die Sozialpsychologie spricht von Stereotypen, wenn es um das Denken über bestimmte soziale Gruppen geht. Stereotype sind mit einer Gruppe assoziierte Eigenschaften, die starke Abneigung oder Zuneigung beinhalten können, aber nicht müssen. Das Wissen um bestimmte Stereotype machen wir uns oft unterbewusst zunutze. 

Wer abgespeichert hat »Frauen sind kommunikativer als Männer«, wird für den Job im Callcenter höchstwahrscheinlich eher eine Frau als einen Mann einstellen. Ebenso würdest du ein Schnitzel wahrscheinlich eher im Brauhaus als beim indischen Lieferservice bestellen. 

Der Unterschied zwischen einem Stereotypen und einem Vorurteil liegt darin, dass Stereotype rein gedankliche Konstruktionen sind, während bei Vorurteilen der Affekt und starke Gefühle eine große Rolle spielen. Stereotype sind üblicherweise in einem gesellschaftlichen Kontext entstanden und beinhalten sozial geteiltes Pseudowissen.

Das bedeutet, unter Deutschen sind Stereotype wie »Alte sind weise, aber vergesslich«, »Biker tragen Lederjacken« oder »Amerikaner sind häufig übergewichtig« bekannt – die meisten Deutschen haben also ein solches Pseudowissen im Gedächtnis gespeichert. 

Wer Übergewichtige eklig findet, würde den Stereotypen in ein negatives Vorurteil gegenüber Amerikanern verwandeln. Man kann der gesellschaftlichen Annahme über bestimmte Gruppen aber auch nicht zustimmen, diese weitläufige Wahrnehmung aber dennoch kennen. Letztlich lassen sich im Alltag Vorurteile und Stereotype oft nicht klar voneinander trennen. 

 

Darum denkt jede:r von uns in Schubladen

Dass wir alle in Schubladen denken, ist ganz normal. Es hilft uns, die vielen Eindrücke, die tagtäglich auf uns einprasseln, zu verarbeiten. Würden wir über alles länger nachdenken, wären wir handlungsunfähig oder würden uns im Zweifel sogar in Lebensgefahr begeben – das Einsortieren in Schubladen im Autopiloten hilft, einen Husky von einem Wolf zu unterscheiden und die Begegnung mit dem Tier als »ungefährlich« oder »gefährlich« einzustufen. Diese Einteilung in Schubladen läuft automatisch ab und betrifft alles, was wir optisch wahrnehmen. 

Wir erkennen, das hat die Forschung ergeben, innerhalb von Millisekunden, noch bevor wir einen Menschen überhaupt bewusst wahrnehmen, ob es sich bei ihm um einen Mann oder eine Frau handelt, ob er jung oder alt ist, hell- oder dunkelhäutig, ob er ärmlich oder teuer gekleidet ist. Damit haben wir in Millisekunden einen groben Eindruck von dieser Person. 

Dieser Eindruck gibt uns eine grobe Interaktionsrichtung vor – mit einer gut gekleideten, älteren Dame wird man daher sicherlich kein Gespräch über Fußballergebnisse beginnen, sondern ihr eher ein Kompliment für ihre schöne Garderobe machen. Dieser nachgelagerte Prozess des Schubladendenkens ist individuell gelernt und kulturell geprägt, während der Mechanismus der Einteilung ein rein biologischer Prozess ist. 

Problematisch werden diese Schubladen also erst, wenn man sich keine Mühe macht, ihren Inhalt zu hinterfragen und die Welt nur noch schwarz-weiß sieht. Warum glauben wir, dass diese Dame sicherlich keinen Fußball schaut? Vielleicht hängt ihre Wohnung voll mit ungerahmten Postern des DFB Teams statt mit alter Kunst im Goldrahmen. Die Frage ist: Haben diese Annahmen Auswirkungen darauf, wie ich ihr oder auch anderen älteren, scheinbar reichen Menschen begegne? 
 

In der Schublade »blonde junge Frau« liegt eher »dumm«, »sexy« und »hohe Stimme« als zum Beispiel »CEO«, »Mathematik« und »Auto fahren«.
Jens Förster

Unser Gedächtnis speichert alle Informationen, die unser Wahrnehmungsapparat aufnimmt. Es ist wie eine Kommode mit vielen Schubladen, in denen alle Assoziationen liegen, die wir beobachtet oder gelernt haben oder die uns erzählt wurden. 

 

Begegnungen ohne Vorurteile: So setzt du Schubladen-Denken ein Ende

Jede:r von uns verfällt gerne mal in die Denkfalle des Schubladen-Denkens. Das liegt in unserer Natur und hilft uns, durch den Alltag zu navigieren. Gleichzeitig sorgt das emotionale Langzeitgedächtnis dafür, dass wir Stereotype ebenso wie Vorurteile nicht von jetzt auf gleich abschütteln können. Das erfordert bewusste Arbeit an sich selbst und angelernten Denkmustern und Empfindungen. Unmöglich ist es aber natürlich nicht. 

Um Schubladen-Denken erst einmal aufzuzeigen, hilft ein kleines Gedankenspiel. Überlege dir, du triffst einen klugen Alien. Versuche, ihm unsere Welt zu erklären. 

  • Warum stehen Autos wie selbstverständlich auf der Straße, unsere Kleiderschränke aber in der Wohnung?
  • Warum trinken wir als Erwachsene keine Muttermilch mehr, sondern Kuhmilch? 

Genauso kannst du versuchen, bestimmte Vorurteile oder Gedankengänge zu erklären, mit denen du dich erwischt. Du wirst merken, es ist gar nicht so einfach – weil ein »das ist eben so«  es in diesem Fall nicht tut. 

Auch hilft es, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen, den man so vorschnell in die Schublade gesteckt hat. Anstatt eine unfreundliche Begegnung mit einem gehetzten Geschäftsmann im Anzug unter »typisch egoistischer Karrieremensch« abzuhaken, könntest du dich an milderen Gedanken versuchen, Mitgefühl zeigen anstatt gleich zu urteilen. Vielleicht hat er schon morgens eine schlechte Nachricht erhalten, vielleicht ist sein Kind krank oder er ist auf dem Weg zu einer Beerdigung. 

Wenn du dein Schubladen-Denken erkennst, kannst du dich davon distanzieren, indem du deiner Reaktion das emotionale Moment nimmst und den Raum für Möglichkeiten öffnest. Schließlich können wir über unsere Mitmenschen nicht Bescheid wissen, solange wir uns nicht die Mühe machen, sie kennenzulernen. Das geht natürlich nicht mit jedem Menschen, der uns begegnet. Gerade dann sollten wir aber versuchen, nicht zu urteilen und im besten Fall nicht gleich eine passende Schublade zu suchen. Nur so kann echte Verbundenheit entstehen.

 
 

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