So kannst du deine Ängste bewältigen

Wir alle haben Ängste. Das ist gut und wichtig, denn sie sichern uns das Überleben. Wer vor nichts mehr Angst hat, würde höchstwahrscheinlich irgendwann vom Hausdach springen, einfach, um es mal auszuprobieren. Dabei ist Angst ein Urinstinkt, der unseren Vorfahren das Überleben gesichert hat. Damals handelte es sich um lebensbedrohliche Gefahren, die das menschliche Betriebssystem auf Hochtouren gebracht hat. Die Aussicht auf einen Angriff durch Säbelzahntiger, die Gefahr des Abstürzens aus großer Höhe, Feuer, tiefe Gewässer, Unwetter, all das erforderte eine direkte Reaktion: Angriff oder Flucht. 

Heutzutage müssen wir nur noch selten vor wilden Tieren flüchten, die Urangst aber ist nach wie vor tief in uns verankert. Meist können wir dem ersten Impuls, der das Angstsignal sendet, durch rationale Überlegungen relativieren. Viele Menschen erschrecken sich erst einmal vor Spinnen, die Angst verpufft aber schnell, denn ihnen wird klar: Das Insekt ist zwar vielleicht ekelhaft, aber keinesfalls bedrohlich. 

Trotzdem gibt es in unserer heutigen Gesellschaft immer öfter Angststörungen. „Vor Angst erstarren“ – wir alle kennen dieses Gefühl. Wobei es sich bei diesem Ausspruch weniger um unsere körperlichen Vorgänge handelt als um unseren kognitiven Fähigkeiten. Wer Angst verspürt, bekommt schnell einen roten Kopf, Herzrasen, einen trockenen Mund und schwitzige Hände. Trotzdem kann Angst lähmen, zumindest gedanklich. Eine rationale Betrachtung der Ursache ist dann oft nicht möglich. Die Situationen bleiben unaufgelöst. Das ist unangenehm und die instinktive Reaktion ist: Diese unangenehmen Situationen werde ich in Zukunft meiden. 

 

Was ist Angst? 

Furcht und Angst werden oft als Synonyme benutzt. Wenn man genau sein will, muss man wie folgt unterscheiden: Furcht bezeichnet eher eine emotionale Reaktion auf konkret im Raum stehende Gefahren. Angst im Gegenzug rührt meist von diffusen Bedrohungen her, die noch unklar sind oder erst in der Zukunft erwartet werden. Du kannst also Furcht haben vor dem Nachbarshund, der am Zaun hochspringt – Angst empfindest du aber eher, wenn du zu einer Gruppe fremder Menschen hinzustößt oder vor einer Prüfungssituation. 

Das heißt: Angst ist wesentlich komplexer und irrationaler. Das macht es so schwer, Ängste zu bewältigen. Gerade in unserer heutigen Leistungsgesellschaft rührt Angst meist von Stresssituationen und sozialem Druck her. Sowohl Angst als auch Stress sorgen für einen Tunnelblick, untergraben das Denken, machen uns planlos und hektisch. 

 

Nur wer sich seinen Ängsten stellt, kann sie langfristig besiegen.
Redaktion

Die vier Gesichter der Angst


1. Panikstörungen

Panikattacken, die aus heiterem Himmel kommen und oft mit Herzrasen, Zittern, Schweißattacken und einem Kloß im Hals einhergehen, nennt man Panikstörung. In solchen Situationen schaukelt sich die Angst in kürzester Zeit zu maximaler Intensität hoch. Die körperlichen Symptome, die damit einhergehen, sind zwar übersteigerte, aber normale und unbedenkliche Begleiterscheinungen. Sie werden allerdings nicht als harmlos erkannt sondern als gesundheitsbedrohlich, was Sorge und Angst nur noch weiter verstärkt.

2. Platzangst (Agoraphobie)

Daraus resultierend entsteht meist die allgemein bekannte Platzangst (Agoraphobie). Weil Betroffenen die starken körperlichen Reaktionen unangenehm sind, vermeiden sie Situationen, in denen es schon einmal zu Panikattacken kam - oder solche, in denen eine Flucht oder das Holen von Hilfe schwierig oder peinlich wäre. Dazu gehören belebte Plätze, öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrstühle. Bleiben Agoraphobie und Panikstörung unbehandelt, können sich starke Einschränkungen im Alltag des Betroffenen einstellen.

3. Spezielle Phobie

Die dritte Form der Angst ist die spezielle Phobie. Das kann sich auf konkrete Sachen beziehen wie Feuer oder Vögel, aber auch auf soziale Kontexte. Die belastendste Phobie ist die sogenannte soziale Phobie bzw. Angsterkrankung. Das Gefühl der Angst ist dabei eher diffus und bezieht sich auf alle soziale Situationen (Familie und Freundeskreis ausgenommen).

So kann das Bezahlen an der Kasse genau so zur Herausforderung werden wie die Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht oder das Halten von Präsentationen. Sichtbare Symptome wie Rotwerden, Kloß im Hals und Schweißausbrüche verstärken die Angst und bringen ein Gedankenkarussell ins Rollen, aus dem die Betroffenen schwer ausbrechen können: „Was denken sie jetzt nur von mir? Wieso guckt er mich so komisch an? Die glauben bestimmt, ich bin unfähig!“ Es beginnt eine mentale Achterbahnfahrt, die die Angst immer wieder neu aufbranden lässt.

4. Generalisierte Angststörung

Das vierte Gesicht ist die sogenannte generalisierte Angststörung. Hier lässt sich die Angst nicht an bestimmten Situationen festmachen, sondern das Gefühl verteilt sich diffus auf alle Lebensbereiche. Betroffene machen sich rund um die Uhr Sorgen, alles was potenziell problematisch sein kann, wird dramatisiert: die Gesundheit von Familienmitgliedern, die finanzielle Absicherung, die Zukunft des Jobs. Schließlich sorgen sie sich darüber, sich so viele Sorgen zu machen. Ein Teufelskreis – diese Form der Angststörung entwickelt sich meist schleichend und kann in einer Depression enden.

 

Wie kannst du die Angst besiegen?

Das Paradoxe an der Angst ist, dass im Vergleich zu unseren Vorfahren sich unser Gehirn so weit entwickelt hat, dass zum Ablauf „reale Gefahr – direkte Reaktion“ eine weitere Komponente hinzukommt: Die in Hirnrinde und Frontalhirn beheimateten Funktionen wie Sprache, Fantasie, Denken und Wissensansammlung sorgen dafür, dass auch schon reine Gedanken Angst bei uns auslösen können. Die körperlichen Reaktionen darauf sind die gleichen wie beim Urmenschen: Unser Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an und wir beginnen zu zittern, uns bricht der Schweiß aus. 

Diese „Lücke“ zwischen Auslöser und Reaktion ist aber auch der Schlüssel zur Angstbewältigung. Zunächst mag es Betroffenen schwer fallen, die impulsive Reaktion auszubremsen. Viele der Verhaltensweisen sind so eingeschliffen, dass sie automatisiert passieren und erst einmal gar nicht genau zu greifen sind. Man kann sich aber schrittweise bewusst machen, wie die Vorgänge ablaufen – und dann die Gedanken-Gefühlslawine stoppen. 

 

Tritt einen Schritt zurück

Wenn du dich das nächste Mal in einer Situation wiederfindest, in der die Angst in dir hochsteigt, frage dich: Was genau ist diese Situation? Warum empfinde ich sie als bedrohlich? Dieses Aufzeigen der Kausalkette bremst die Emotionsflut bereits. 
Was etwa kann passieren, wenn die wichtige Job-Präsentation in die Hose geht? Verglichen mit den Gefahren, denen unsere Vorfahren ausgesetzt waren, ist eine holprig vorgestellte Präsentation nicht lebensbedrohlich. Zudem kannst du, wenn du ganz ehrlich zu dir bist, weder vorhersehen, wie gut oder schlecht du die Präsentation tatsächlich halten wirst, noch, wie die Reaktionen der Kollegen auf deinen Vortrag sind. Also, tief durchatmen! 

Die irrationale Angst ist definiert, in der Lücke zum (höchstwahrscheinlichen) Fluchtgedanken hast du die Bremse getreten. Wie geht es jetzt weiter? „Refraiming“ nennt man diesen Wechsel des Interpretationsrahmens. Versuche, deine Bedenken positiv zu formulieren: Die Präsentation ist eine Möglichkeit, den Kollegen und dem Chef zu zeigen, was du kannst und welche tollen Ideen du für die Zukunft des Unternehmens hast. Womöglich sind viele der Kollegen ebenfalls nervös vor Präsentationen, haben aber genau wie du jetzt gelernt, es zu überwinden. Zudem: Fehler sind menschlich. Auch Vorgesetzte wissen nicht alles und machen nicht immer alles richtig. 

 

Stelle dich deiner Angst

In der Psychologie spricht man von „Lebensregulierungsstrukturen“, die einem bei der Angstbewältigung zusätzlich helfen können: Das sind Gewohnheiten und Rituale, Kompetenzen und Wissen. Wenn Stress der Auslöser von Angst ist, können regelmäßige Rituale helfen, dich zu erden. Das können bereits regelmäßige Schlafens- und Essenszeiten und feste Gewohnheiten wie Sport und Meditation sein. 

Auch Wissen ist Macht – wer unwissend ist, ist oft auch unsicher. Das kann wiederum Angst triggern, wenn alle äußeren und inneren Reize ständig ungefiltert in unser Bewusstsein einschwemmen. Wissensstrukturen können helfen, diese Reize zu kanalisieren und der immer wiederkehrenden Gefühlsflut so einen Damm entgegen zu setzen. Wer etwa Flugangst hat, dem kann es helfen, viel über Flugzeuge, die Bau- und Funktionsweise und die Geschichte der Luftfahrt zu lesen. Wer weiß, wie Flugzeuge funktionieren und warum sie allgemein das sicherste Verkehrsmittel sind, wird es meist schaffen, die Flugangst irgendwann abzulegen.  

Der beste Alltagshelfer gegen Angst ist also, sich ihr zu stellen: Ob durch Wissensaneignung, Rituale oder das gezielte Hineingehen in Situationen, die wir sonst gerne meiden würden. Nur wer sich seinen Ängsten stellt, kann sie langfristig besiegen. Wer sich vor einer Präsentation krank meldet, hat nur eine kurzfristige Befriedigung durch das Verschwinden der Angst – vor dem nächsten Termin wird die Panik aber umso größer sein.

Wichtig ist: Du bist nicht hilflos. Es gibt kleine Ersthelfer, die dir das Leben mit der Angst erleichtern können. Grundsätzlich solltest du starke Angstzustände aber immer psychologisch begleiten lassen. 

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