Yoga als Lebensstil: Interview mit Marcel Clementi

Du kannst dir das Interview als Video anschauen oder weiter unten die Fragen und Antworten nachlesen. Viel Spaß!

Wie war Marcels inspirierender Weg zum Yoga?

Redaktion: Vom Obstverkäufer zum Yogalehrer und Bestseller-Autor: Marcel, könntest du uns einen kurzen Überblick über deinen inspirierenden persönlichen Lebensweg geben und wie dich dieser Weg schlussendlich zum Yoga geführt hat? 

Marcel Clementi: Es war so: Mein Uropa ist aus Italien gekommen und hat ein Obstgeschäft aufgemacht in Innsbruck, ein kleines Standl. Mein Opa hat ein Geschäft daraus gemacht, mein Papa hat das übernommen oder übernehmen müssen, und ich bin der einzige Sohn und es war naheliegend, dass ich das auch übernehme. 

Ich hab schon früh angefangen, als Jugendlicher dort mitzuhelfen. Dann als ich mit der Realschule angefangen habe, hab ich jeden Samstag dort gearbeitet, nach der Schule mitgeholfen. Als ich mit meinen Ausbildungen fertig war, war der Plan, dieses Geschäft zu übernehmen.

Ich hab mir nicht wirklich die Frage gestellt: Wer will ich sein? Wo will ich hin? Wo liegen meine Stärken? Sondern ich habe einfach diesen einfachen Weg gesucht. 

Ich wollte kurz zum Fernsehen, das hat sich dann aber nicht ergeben. Ich war dann beim Radio für einen Monat und da war aber irgendwie schlechte Stimmung und das war so negativ und das hat mir nicht gefallen. Dann bin ich wieder zurück zu meinen Eltern. Und aus diesem einst Ferialjob sind mehr und mehr Stunden geworden. Aus 40 Stunden sind 50, aus 50 sind 60 Stunden geworden. 

Und irgendwann habe ich meinen Papa vertreten und habe von Montag bis Samstag nur noch gearbeitet, von 5:00 in der Früh bis 20:00 am Abend. Und am Sonntag bin ich nur auf der Couch gelegen und habe versucht, mich zu erholen für die neue Arbeitswoche. 

Mein Papa ist dann von einem Urlaub zurückgekommen mit einem gebrochenen Arm. Das heißt, ich habe diesen Dienst noch länger übernehmen müssen. Und dann ist mir bewusst geworden: Okay, das ist meine Zukunft, das ist das, was ich machen werde. Das ist die Vorausschau für die nächsten Jahre. Und wir leben oft in diesem Mindset »Wenn, dann«:

  • Wenn mein Papa wieder zurück ist, dann haben wir wieder ein normales Leben.
  • Wenn ich mal in Pension bin, dann kann ich das Leben genießen.

Und das wollte ich einfach nicht. Ich bin dann in ein Loch gekommen. Irgendwann hat das Telefon geläutet. Es war der Papa von meinem besten Freund dran und hat mir erzählt, dass er bei einem Motorradunfall verstorben ist. Und da ist die Welt für mich zusammengebrochen.

Ich hab realisiert, dass das Leben nicht für immer ist.
Marcel Clementi

Ich habe realisiert, dass das Leben nicht für immer ist, und habe dann gekündigt.

Auf der Suche nach einem Ausgleich hab ich Yoga ausprobiert, in meinem Fitnessstudio. Die erste Yoga-Stunde war die völlige Katastrophe. Es hat mir überhaupt nicht gefallen. Up Dog, Down Dog, ich wusste nicht, von welchen Hunden die Frau da spricht. Ich hab nichts verstanden, war total frustriert und enttäuscht.

Ich hab dann eine Weltreise gemacht und mich beim Thaiboxen in Thailand am Bein verletzt. Da ist dann Yoga für Thaiboxer angeboten worden. Das hab ich dann ausprobiert, weil ich schon gezahlt gehabt habe. Dort hab dieses wirklich coole Yoga kennengelernt, unterschiedliche Stile, und da hat mich jemand angesprochen und mir gesagt: Hey, Yoga passt zu dir, du wärst ein super Yoga-Lehrer, mit deiner Art, mit deiner Stimme. Und ich dachte: Nee, Yoga passt gar nicht zu mir. Das haben dann aber zwei, drei Leute unabhängig voneinander zu mir gesagt auf dieser Weltreise und irgendwann habe ich gedacht: Okay, dann geh nach Indien und mach diese Ausbildung. 
 

Was fasziniert Marcel so am Yoga?

Redaktion: Du bist als Yogalehrer bekannt, der seine Praxis tiefer erlebt und vermittelt. Was fasziniert dich an Yoga im Gegensatz zu anderen Sportarten so sehr und warum?

Marcel Clementi: Da muss ich gleich sagen: Yoga ist keine Sportart, sondern für mich ist es ein Lebensstil. Was mich fasziniert, ist, dass Körper, Geist und Seele zusammenspielen und dass es nicht nur ums Körperliche geht. Die Asanas haben viele körperliche Wirkungen, die Rückenschmerzen lösen, Verspannungen und den Schlaf verbessern. Man ist einfach körperlich entspannter. Natürlich kann man auch Kraft aufbauen, wenn man z.B. Poweryoga macht oder das mit Fitnessübungen kombiniert. 

Aber viel spannender ist für mich noch die ganze Philosophie dahinter, wie: 

  • das Ego loszulassen
  • völlig im Moment zu sein
  • sich selber kennenzulernen und zu reflektieren
  • der Umgang mit sich, der Umgang mit anderen
  • die ganze Konzentration auf die Atmung und Haltungen 
  • die Meditation und das Spirituelle hinter der Yoga-Praxis

Und deswegen bin ich so fasziniert: Man kennt irgendwann den Sonnengruß, man kann vielleicht den Handstand oder nicht, was völlig egal ist. Aber dieses Spirituelle und diese Meditation, das ist etwas, was nie endet. Jeden Tag lernt man mehr über sich selbst und das fasziniert mich so am Yoga, dass es so ganzheitlich ist.

 

Was genau ist Good Vibes Yoga?

Redaktion: Dein Podcast sowie dein Buch heißen »Good Vibes Yoga«. Was genau hat es damit auf sich? Welches Ziel verfolgst du mit deiner Art, Yoga zu lehren? 

Marcel Clementi: Der Podcast heißt »Good Vibes«, weil Yoga für mich bedeutet, diese positive Ausstrahlung, diese positive Energie zu haben, sodass, wenn man den Raum betritt, sich jemand denkt: Wow, der Mensch hat eine tolle Ausstrahlung. Das sind für mich »Good Vibes«. Und das liegt mir am Herzen, mit dem Buch und mit dem Podcast. 

Yoga ist ein super Start, um eine gute Ausstrahlung zu bekommen:

  • die Körperübungen
  • die Meditation
  • kombiniert mit dem richtigen Mindset
  • mit der richtigen Philosophie
  • der Umgangsweise mit dir und mit anderen
  • mit den richtigen Routinen und Gewohnheiten

Das alles trägt dazu bei, dass man eine bessere Ausstrahlung hat, dass man auf seine Energie, auf seine Vibes, auf seine Schwingung achtet. Und je höher deine Frequenz ist, je höher deine Stimmung ist, je besser deine Ausstrahlung ist, desto schöner wird dein Leben sein, weil du dann die richtigen Menschen in dein Leben ziehst und die richtigen Möglichkeiten. Und deswegen »Good Vibes«.

Das ist das, was ich am liebsten praktiziere: Achtsamkeit und das »im Moment Sein«.
Marcel Clementi

Was ist Marcels persönlicher Lieblings-Yoga-Stil?

Redaktion: Yoga ist eine vielfältige Praxis mit vielen unterschiedlichen Stilen. Gibt es einen bestimmten Yoga-Stil, den du besonders gerne praktizierst? 

Marcel Clementi: Früher war das Ashtanga-Yoga, zack, zack, zack, 1,2,3,4 – sehr diszipliniert. Ich habe sehr viel den Handstand geübt. Das war für mich eine körperliche Praxis, anfangs. 

Welcher Yoga-Stil mich jetzt besonders fasziniert, ist ein ganz entspanntes Hatha-Yoga: Die Positionen halten, dehnen, die Beweglichkeit verbessern und meine Schmerzen quasi loswerden, wenn welche da sind, oder Schmerzen so vorzubeugen, dass erst gar keine auftreten. 

Aber am wichtigsten sind mir beim Yoga-Lebensstil die Aspekte Meditation und Achtsamkeit:

  • die Zeit für mich, jeden Tag auf meine Matte zu gehen
  • oder ohne Yoga-Matte mich einfach mal hinzusetzen, einen Kaffee bewusst zu genießen
  • oder die Vögel in der Früh, das Zwitschern im Garten und die frische Luft wahrzunehmen

Das ist das, was ich am liebsten praktiziere: Achtsamkeit und das »im Moment Sein«.

 

Wie mit Yoga anfangen, wenn Berührungsängste bestehen?

Redaktion: Viele Menschen, die noch keine Berührungspunkte oder sogar Ängste haben, skeptisch sind und zögern, mit Yoga anzufangen, weil sie sich als »nicht flexibel genug« betrachten oder Bedenken wegen anderer körperlicher Einschränkungen haben – was würdest du ihnen raten? 

Marcel Clementi: Ich würde ihnen raten, einfach zu starten. Weil, wenn ich eine neue Sprache lernen will, sagen wir Spanisch, dann kann man ja auch nicht sagen: Ich kann nicht mit Spanisch beginnen, weil ich die Vokabeln nicht kenne. Dafür macht man Yoga: damit man beweglicher wird. 

Das ist einer der vielen Faktoren. Und wenn es für jemanden bei dem Körperlichen bleibt, dass sie sagen: Ich mache Yoga, um beweglicher zu sein, um flexibler zu werden – dann ist das als Hauptgrund voll okay. 

Wie tief man ins Yoga eintauchen will, das kann jeder für sich entscheiden, und das ist mir ganz wichtig. Ich will niemandem »mein« Yoga überstülpen, sondern im Podcast sowie im Buch sind es immer nur meine Ideen und meine Yoga-Praxis, die ich teilen möchte. 

Deswegen sind meine Tipps für Anfänger: 

  • unterschiedliche Stile ausprobieren
  • unterschiedliche Lehrer ausprobieren 
  • Wenn man den richtigen Lehrer gefunden hat und einen Stil, der noch Spaß macht, dann dranbleiben. 

Und wenn ich zum Tennis gehe und das erste Mal einen Tennisschläger in Hand habe, dann kann man nicht gleich ein Match spielen, sondern man lernt erst einmal die Technik.

Männer unterschätzen Yoga oft, haben Angst davor, der einzige Mann zu sein oder nicht beweglich genug zu sein.
Marcel Clementi

Warum kann Yoga auch für Männer spannend sein?

Redaktion: Viele Yoga-Kurse werden noch immer für Frauen besucht. Woran meinst du liegt das und hast du Anregungen, warum Yoga auch für Männer spannend sein kann?

Marcel Clementi: Ich glaube, das liegt daran, dass der Fokus in der westlichen Welt sehr auf die Asanas bezogen ist und man von diesem Asana-Training nicht unbedingt Muskeln kriegt. Wie entstehen Muskeln? Durch Reize in der Muskulatur, durch Kraftübungen. Und das ist am ehesten vielleicht noch beim Vinyasa-Yoga der Fall. Aber ich glaube, dass sich Männer gerne anders auspowern, mit Kraftsport, Kampfsport etc. 

Natürlich kann das für Frauen genauso gelten. Aber dass dieses »entspannte Krafttraining« und dieses Flowen, dieses Vinyasa-Yoga den Frauen so gut gefällt, könnte daran liegen, weil es nicht zu heftig für die Muskulatur ist. Aber gleichzeitig hat man was für den Körper getan und das finden die Frauen so super für ihre Routine, aber für die Männer ist das körperlich vielleicht zu wenig. 

Wobei die Männer, wenn sie es dann ausprobieren, am meisten ins Schwitzen kommen, weil sie diese statische Muskelanspannung gar nicht gewohnt sind. Ich denke, Männer unterschätzen Yoga oft, haben Angst davor, der einzige Mann zu sein oder nicht beweglich genug zu sein.

Aber es finden mehr und mehr Männer zum Yoga. Der Männeranteil auf meinem YouTube-Kanal ist 50/50, also 50 Prozent Männer, 50 Prozent Frauen. Ich habe eigene Yoga-Retreats nur für Männer, was super angenommen wird. Und deswegen mein Tipp: dass man Yoga vielleicht erst einmal zu Hause ausprobiert, hinter verschlossenen Türen sozusagen. Oder eben zu mir auf ein Männer-Retreat kommt. 

Und warum Yoga für Männer so spannend ist? Weil:

  • wir Männer anatomisch schon weniger beweglich sind als Frauen
  • Yoga dabei hilft, Stress abzubauen
  • Yoga helfen kann, Schmerzen loszuwerden
  • man ja auch im Alter beweglich bleiben möchte, um mit den Kindern zu spielen
  • auch die Atemübungen und Meditationen helfen, dass man konzentrierter bleibt

Und daher ist Yoga für jeden geeignet: vom Manager zum Gärtner, zum Kellner, für jeden Job und jeden Menschen.
 

Wie kann man Yoga in den stressigen Alltag integrieren?

Redaktion: Im Alltag vieler Menschen herrscht oft Stress und ein hoher Zeitdruck. Was würdest du Personen empfehlen, die Yoga in ihren Alltag integrieren möchten, aber das Gefühl haben, nicht genügend Zeit dafür zu finden? Hast du z.B. eine Empfehlung für eine leicht umsetzbare tägliche Routine, auch abseits vom Yoga?

Marcel Clementi: Wir haben alle wenig Zeit und viel zu tun, aber diese Zeit muss man sich einfach nehmen. Die findet man nicht. Und deswegen ist meine Herzensempfehlung, dass man einfach zehn Minuten früher aufsteht und sich Zeit nimmt und dann in sich rein spürt: Okay, was brauche ich heute? Brauche ich eine entspannte Dehnung oder brauche ich etwas Kraftvolles? 

  • Nimm dir 15 Minuten am Morgen Zeit für dich.
  • Mache eine Meditation.
  • Mache ein paar Liegestützen über Kniebeugen.
  • Mache Atemübungen.

Wenn ich mir diese 15 Minuten am Morgen Zeit für mich nehme, dann starte ich ganz anders in den Tag, in dem ich diese Ruhe und Entspannung mit in den Tag nehme. Und das strahlt sich dann in alle Lebensbereiche aus. 

Um Yoga zu machen, muss man nicht immer Sonnengrüße machen oder eine Yoga-Matte dabei haben. Sondern ich kann mich auch einfach in der Mittagspause, so wie ich jetzt, in einen Bürostuhl setzen, die Augen schließen und mal fünf tiefe Atemzüge nehmen. Und wenn du Zeit hast für fünf tiefe Atemzüge, dann nimm zehn. Das ist so ein Spruch im Yoga.

 

Visionen und Projekte von Marcel

Redaktion: Welches Ziel oder welche Vision verfolgst du mit deiner Arbeit als Yogalehrer, Autor, Podcaster und YouTuber weiterhin? Gibt es Projekte oder neue Ideen, an denen du aktuell arbeitest oder die du in Zukunft anstrebst?

Marcel Clementi: Die Beziehung zwischen mir und Zielen ist ein bisschen schwierig, weil ich merke, je mehr Ziele ich erreiche, desto mehr wird mir bewusst, dass es im Leben nicht darum geht, externe Ziele zu erreichen. 

Mein Fokus in den nächsten Monaten liegt sehr auf privaten Zielen, auf meinen Beziehungen, auf meiner Familie. Und da muss ich schauen, wo es mich hinträgt. Beruflich bin ich unendlich dankbar für all die Projekte, die ich habe. Für meine Community bin ich unendlich dankbar. Ohne die wäre das alles gar nicht möglich. 

Der YouTube-Kanal wird weiterhin jeden Sonntag mit Yoga bespielt. Ich würde gerne zukünftig mehr ganzheitliche Themen einbringen, also noch mehr Spiritualität. Das ist eine Seite, die ich öffentlich noch nicht so gezeigt habe. Ich merke, dass mir diese Spiritualität sehr viel bringt. Und das ist etwas, was ich gerne mal auf YouTube einfließen lassen würde. 

Im Podcast freue ich mich darauf, die richtigen Gäste einzuladen, auf spannende Gespräche, auf tolle Themen aus meinem persönlichen Leben und aus allem, was ich in den nächsten Wochen und Monaten so erleben darf. Und ja, wie gesagt, der Fokus liegt auf privaten Projekten. Mein größter Traum ist es, Papa zu sein. Mal schauen, wann es so weit sein wird :-) 

Bis dahin will ich einfach: 

  • das Leben genießen
  • weniger Zielen hinterherjagen, sondern mehr im Moment sein 
  • Momente wirklich bewusst genießen 
  • Spaß haben an meiner Arbeit
  • aufstehen und mich freuen

Und das habe ich und das ist für mich das größte Geschenk, weil das nicht immer so war. Also man kann sagen: Mein Weg ist das Ziel. Und mal schauen – vielleicht gibt es irgendwann ein zweites Buch …

Bis dahin, viele liebe Grüße
Euer Marcel

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