Präsenz und ihre positiven Effekte

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Achtsamkeit uns maßgeblich darin unterstützt, wertfreier und offener zu werden. Wir werden gelassener und erleben uns selbst als fokussierter und klarer. Wir lernen, Prioritäten neu zu setzen, und haben dadurch viel mehr Zeit für das Wesentliche. Dadurch werden wir auch kreativer und einfühlsamer.

Wenn wir mit uns selbst und unserem Potenzial besser in Kontakt kommen und dadurch weniger unnötiges Leid für uns und unsere Umgebung produzieren, werden wir auch gleichzeitig entspannter mit den Herausforderungen des Lebens umgehen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Forschungsarbeiten, die den positiven Effekt von Achtsamkeit auf die Arbeit und natürlich auch auf das Privatleben belegen.

Wir haben vier Cluster herausgearbeitet, die den aktuellen Stand der Forschung in Summe gut abdecken. Wir haben sie „die vier positiven Effekte von Achtsamkeit und Präsenz“ genannt. Diese „vier Effekte“ – Fokus & Effizienz; Kreativität & Innovationsfähigkeit; Vitalität & Resilienz; Sozialkompetenz & Mitgefühl – können für Führungskräfte von hoher Bedeutung sein. Gleichzeitig wirst du aber auch bemerken, dass sämtliche Bereiche deines Lebens davon profitieren, wenn du präsenter und achtsamer wirst. Den ersten Effekt möchten wir dir hier vorstellen: 
 

Momentan liegt unsere Aufmerksamkeitsspanne bei acht Sekunden.
Esther und Johannes Narbeshuber

Fokus & Effizienz 

Die Digitalisierung hat enorm viele Vorteile mit sich gebracht – aber auch eine klare Kehrseite: Der „Homo digitalis“ hat zunehmend Schwierigkeiten, bei der Sache zu bleiben, und unsere Aufmerksamkeitsspanne sinkt seit Jahren rapide. Momentan liegt sie bei acht Sekunden. Unser Konzentrationsvermögen lässt offensichtlich nach. Dieses Phänomen wird als „Attention Deficit Trait“ (ADT) bezeichnet, ist also so etwas wie eine antrainierte Aufmerksamkeitsstörung. Die Symptome sind zum Beispiel innere Unruhe, leichte Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten beim Prioritäten setzen und beim Organisieren des Alltags.

Permanent lassen uns Handy und Computer durch Töne oder bunte Zeichen wissen, dass Neues, möglicherweise Wichtiges auf uns wartet. Als Resultat davon aktivieren wir den Bildschirm unseres Smartphones im Schnitt 88 Mal pro Tag. 53 Mal davon entsperren wir es, um damit zu interagieren. Dabei nehmen wir in Kauf, dass unsere mentalen Fähigkeiten auf ein Niveau absinken, das dem nach einer schlaflosen Nacht ähnelt. 
 

Mythos Multitasking 

Hast du schon mal versucht, parallel einen Anruf zu tätigen und dabei einen Weg zu finden, zum Beispiel zu einem Supermarkt, den du noch nicht kennst? Das ist fast unmöglich und gibt uns eine Idee, wie wenig multitaskingfähig unser Gehirn ist. Denn sogar die Hirnleistung eines Harvard-Studenten schrumpft auf die eines Grundschulkindes, wenn er versucht, zwei komplexere Dinge gleichzeitig zu managen.

Unser Geist muss die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren, erst wieder trainieren. Ein wunderbares Mittel dazu: Unsere Aufmerksamkeit gezielt ausrichten und bei einem bestimmten „Anker“ (zum Beispiel dem Atem, einem Wort, einer Aufgabe) bleiben. Diese Übung ist sozusagen das Gegenmittel gegen negative Effekte der Digitalisierung. 
 

Unser Geist hat nicht erst seit der Erfindung von Mobiltelefonen die Tendenz, abzuschweifen. Meditierende haben bereits vor Tausenden von Jahren beobachtet, dass unser Bewusstseinsstrom im Alltag eher chaotisch und sprunghaft ist.
Esther und Johannes Narbeshuber

Wandering mind – unhappy mind 

Unser Geist hat nicht erst seit der Erfindung von Mobiltelefonen die Tendenz abzuschweifen. Meditierende haben bereits vor Tausenden von Jahren beobachtet, dass unser Bewusstseinsstrom im Alltag eher chaotisch und sprunghaft ist, und dass wir dazu neigen von einem Inhalt zum nächsten zu wechseln, in die Vergangenheit und in die Zukunft abzuschweifen, uns in Details oder Nebensächlichkeiten zu verlieren oder uns von äußeren Reizen ablenken zu lassen.

Es ist deshalb häufig vom „monkey mind“ die Rede, der wie ein wild gewordener Affe von einem Ort zum anderen springt. Mit bestimmten fokussierenden Achtsamkeitspraktiken, die die Aufmerksamkeit bündeln, können wir unsere Aufmerksamkeit stärken.

Wir können also „die Affen in unserem Kopf“ dressieren. Oder, wenn du Hunde lieber magst als Affen, gefällt dir diese Metapher vielleicht besser: Wir können uns den Geist wie einen jungen Welpen vorstellen, dem wir das Kommando „Platz“ beibringen. Er soll lernen, an einer Stelle sitzen zu bleiben, bis man ihm erlaubt, wieder herumzutollen.

Natürlich wird der Kleine zunächst immer wieder davontapsen. Unsere Aufgabe ist es, ihn sanft, aber beharrlich immer wieder auf seinen Platz zurückzuholen. Natürlich braucht es dafür Geduld: Wenn wir nach wenigen Versuchen aufgeben, dann wird das nichts mit der Hundeerziehung. In diesem Sinne: Auf geht‘s in die erste Übung: Plaaaatz ...! 
 

Übung: Atem-Anker 

Komm in einen aufrechten Sitz deiner Wahl. Wichtig ist, dass du eine Weile mit aufrechter Wirbelsäule und gleichzeitig möglichst entspannt sitzen kannst. Du sollst dich wohlfühlen, aber auch eine gewisse Würde verkörpern. 

Wenn es dir angenehm ist, schließe die Augen. Wenn du dich sehr müde fühlst oder dir das Sitzen mit geschlossenen Augen sehr unangenehm ist, lass die Augen unanstrengend geöffnet, und richte den Blick ca. zwei bis drei Meter vor dir auf den Boden. Lass den Blick dort ruhen, ohne aktiv zu schauen. 

Bring deine Aufmerksamkeit dann zum natürlichen Rhythmus deiner Atmung. Versuch nicht, besonders langsam oder gleichmäßig zu atmen. Lass deine Aufmerksamkeit einfach auf den Wellen der Atmung ruhen, ohne den Atem zu beeinflussen – so, wie sich ein Schiff niederlässt auf den Wogen des Meeres. 

Such einen Bereich deines Körpers, wo du den Atem jetzt gerade gut spüren kannst, zum Beispiel an den Nasenflügeln, wo die Atemluft kühl einströmt und etwas wärmer wieder ausströmt. Oder an der Brust oder der Bauchdecke, die sich mit der Atmung heben und senken. Du musst nicht immer den gleichen Ort wählen. Spür dorthin, wo es dir am leichtesten fällt, die Atmung zu beobachten. Bleib mit deinem Bewusstsein bei diesem Bereich. 

Dein Geist wird ganz unvermeidlich abschweifen. Das ist völlig normal. Kritisiere dich nicht, ärgere dich nicht. Bemerk es einfach, und dann lenk den Fokus freundlich und konsequent zurück zum Ankerpunkt deiner Aufmerksamkeit. 
 

Micro-Practice: Sechs-Sekunden-Pause 

Nimm dir einen bewussten Atemzug und spür, wie du beim Ausatmen entspannter und konzentrierter wirst. Diese Übung eignet sich vor einem Telefonat, Meeting oder Vortrag. 

So wie beim Training eines Muskels braucht es natürlich auch hier eine gewisse Übung und Wiederholung, bis Atemübungen tiefgreifend wirken. Aber mit der Zeit wirst du merken, wie wohltuend es ist, dir immer wieder Zeit dafür zu nehmen.

 

Reflexionsfragen 

Was sind deine Lieblingsverführungen, um dich „defokussieren“ zu lassen? 

Welche Reize lenken dich besonders häufig und stark ab? 

In welchen Situationen wirst du damit konfrontiert? 

Wie gehst du heute damit um? 

Was hilft dir, dich besser zu konzentrieren? 

 

©Andreas Hechenberger

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