Über Narzissmus und Selbstsabotage: Interview mit Dr. Pablo Hagemeyer
Wie narzisstische Muster uns blockieren – und wie wir sie in Selbstwirksamkeit verwandeln können
1. Erkennung von Selbstsabotage
Redaktion: In Ihrem Buch sprechen Sie über das Erkennen von Selbstsabotage-Mechanismen. Können Sie Beispiele für subtile Formen der Selbstsabotage geben, die Menschen oft übersehen, und erläutern, wie man diese erkennen kann?
Dr. Pablo Hagemeyer: Ein häufig übersehener Aspekt von Selbstsabotage liegt in den kleinen, beinahe unscheinbaren Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick wie Alltagsmarotten wirken. Doch genau da verbergen sich oft die stärksten Mechanismen. Wenn wir uns beispielsweise ständig neue To-do-Listen schreiben, jede Aufgabe bis ins kleinste Detail planen und am Ende nie wirklich anfangen, versteckt sich dahinter ein subtiler Aufschiebe-Mechanismus, die Aufschieberitis. Wir tarnen ihn als »perfekte Vorbereitung«, während er in Wahrheit dazu führt, dass wir uns selbst blockieren.
2. Verbindung zwischen Narzissmus und Selbstsabotage
Redaktion: Sie legen dar, dass Narzissmus und Selbstsabotage oft Hand in Hand gehen. Können Sie konkrete Beispiele aus Ihrer Praxis teilen, wo dieser Zusammenhang besonders deutlich wurde, und wie Sie mit solchen Fällen umgegangen sind?
Dr. Pablo Hagemeyer: Das ist für mich das zentrale Thema meines Buches. Ein interessanter Zusammenhang zwischen Selbstsabotage und Narzissmus liegt in der Dynamik von Selbstwert und Selbstschutz. Viele narzisstische Verhaltensweisen – ob grandios oder verletzlich – kreisen um das Aufrechterhalten eines idealisierten Selbstbildes. Sobald Zweifel oder Ängste aufkommen, dass man diesem Anspruch nicht gerecht werden könnte, greifen manche Betroffene unbewusst zu Sabotage-Strategien, um mögliche Misserfolge oder Kränkungen zu vermeiden.
Im grandiosen Narzissmus sieht das oft so aus, dass man nach außen Perfektion demonstriert, im Hintergrund aber Blockaden aufbaut, um ein mögliches Scheitern auf äußere Umstände schieben zu können (»Die anderen haben mich ausgebremst«). So wird das narzisstische Selbstbild bewahrt – doch auf Dauer verhindert man genau die Erfolge, die das Selbstbild eigentlich stärken würden.
Beim verletzlichen Narzissmus dient Selbstsabotage oft als Schutz vor emotionaler Verletzung. Aus Angst vor Kritik oder Ablehnung wird der Handlungsspielraum eingeschränkt durch
- Perfektionismus,
- Ausreden oder
- Vermeidung.
So hat man stets eine Erklärung parat, warum man »noch nicht richtig starten« konnte – und hält zugleich an der narzisstischen Fantasie fest, eigentlich durchaus befähigt zu sein.
In beiden Fällen schützt die Selbstsabotage das fragile Selbstbild. Der Schlüssel zur Auflösung liegt darin, diese Schutzmechanismen zu erkennen und die zugrundeliegenden Ängste zu hinterfragen. Wer diesen Schritt wagt, kann ein authentischeres Selbst entwickeln und die bisher gebundene Energie für echtes Wachstum nutzen.
3. Stärken und Schwächen erkennen
Redaktion: Im Buch betonen Sie die Bedeutung der Selbstbewertung. Wie wirkt sich dieser innere Narzissmus auf unser tägliches Leben und unsere Entscheidungen aus? Können Sie weitere Techniken vorschlagen, wie man seine persönlichen Stärken und Schwächen objektiver beurteilen und diese Erkenntnisse zur persönlichen Entwicklung nutzen kann?
Dr. Pablo Hagemeyer: Wenn wir von »innerem Narzissmus« sprechen, geht es nicht bloß um ein übersteigertes Selbstwertgefühl nach außen, sondern um ein tief verankertes Bedürfnis, ein bestimmtes Selbstbild aufrechtzuerhalten – sei es
- das Bild vom Überflieger, der immer alles perfekt können muss, oder
- das des Unverwundbaren, den nichts aus der Bahn wirft.
Dieses Bedürfnis kann zu Entscheidungen führen, die nicht der persönlichen Entwicklung dienen, sondern vor allem das Selbstbild schützen. Wir wählen vielleicht einen Job, der uns äußerlich glänzen lässt, innerlich aber nicht erfüllt – nur damit wir sagen können: »Schaut her, ich bin toll!«.
Das Gefährliche dabei ist, dass wir uns mit diesem Selbstschutz-Mechanismus selbst beschneiden. Wir vergeben Chancen, echte Stärken wie Optimismus oder Mitgefühl zu entwickeln oder neue Bereiche zu erkunden, weil wir Angst haben, diese könnten unser gewohntes Bild ins Wanken bringen. Der Spiegel unserer selbst bekommt einen Knacks. Das wirkt für Menschen mit einem übersteigerten Bedürfnis nach Imagepflege sehr bedrohlich.
Machiavellistisch gesehen, könnte man behaupten, dass wir unsere eigenen »Ressourcen« nicht klug einsetzen, weil wir sie in eine trügerische Fassade investieren, anstatt in tatsächliches Wachstum. Dabei wäre es deutlich wirkungsvoller, sich die eigenen Schwächen bewusst zu machen, um eine Strategie zu entwickeln, wie man sie ausgleichen kann. Nicht, um andere zu manipulieren, sondern um sich selbst realistischer und zielgerichteter weiterzuentwickeln.
Die Angst vor persönlicher Kränkung oder vor dem Eindruck von Schwäche lässt uns manchmal Wege wählen, die uns kurzfristig schützen, aber langfristig blockieren. Wer jedoch den Mut hat, diese Schutzmechanismen zu hinterfragen, schafft Raum für echte Veränderung.
Tipps für die objektive Beurteilung:
- Das persönliche Inventar: Führen Sie regelmäßig eine Bestandsaufnahme durch – schriftlich oder per Sprachnotiz. Was haben Sie heute gut gemeistert? Wo gab es Hürden? Halten Sie auch kleine Rückschläge oder peinliche Momente fest. Dadurch bekommen Sie nach und nach einen neutraleren Blick auf Ihre Stärken und Baustellen.
- Reflektiertes Feedback einholen: Ein Abgleich mit der Wahrnehmung anderer hilft, sich selbst klarer zu sehen. Bitten Sie vertraute Menschen um konstruktive Rückmeldungen. Was sind Ihre Stärken? Wo sehen sie Entwicklungspotenzial? Das kann unangenehm sein, doch verhindert, dass wir uns nur in unserer eigenen Glanzwelt bewegen.
- Mut zum Scheitern: Wer sich erlaubt, Fehler einzugestehen und daraus zu lernen, macht das Tor weit auf für echte Weiterentwicklung. Nur wer seine wunden Punkte kennt, kann eine kluge Strategie entwickeln, um sich zu verbessern. Verwechseln Sie das aber nicht mit einem manipulativen Taktieren gegen andere – es geht vielmehr um einen klaren Blick, der Ihnen die Kraft gibt, sich gezielt zu stärken und realistische Ziele zu setzen.
- Stärken strategisch einsetzen: Erkennen Sie, wo Sie wirklich glänzen – und wo Unterstützung sinnvoll ist. So müssen Sie Ihre Energie nicht mehr in den Schutz Ihrer Fassade stecken, sondern können sie nutzen, um sich mutig neuen Herausforderungen zu stellen.
3. Stärken und Schwächen erkennen
Redaktion: Sie sprechen über den inneren Kritiker, den Sie in einem Sommer selbst kennengelernt haben. Wie können Leser:innen lernen, ihren eigenen inneren Kritiker zu erkennen und innere Konflikte aufzulösen?
Dr. Pablo Hagemeyer: Selbstsabotage entsteht oft dadurch, dass innere Saboteure – meist als »innerer Kritiker« bezeichnet – uns an Zweifeln und scheinbaren Grenzen festhalten, obwohl uns ein konstruktiver Modus zu mutigem Handeln befähigen würde. Besonders, wenn sie unseren Selbstwert angreifen. Dass man sich mit diesem inneren Kritiker anfreunden kann, erscheint zunächst abwegig.
In meinem Buch schildere ich dazu eine persönliche Erfahrung – einen persönlichen Plot-Twist, bei dem ich etwas tat, das mir zuvor sinnlos erschien: Golf spielen. Ich entschied mich bewusst für Optimismus, denn Studien zeigen, dass wir Realität nur meistern können, wenn wir uns auch scheinbar irrationalen Ideen mit dem Glauben an ihr Gelingen zuwenden. Wenn das Fremde zudem hilfreich sein kann – warum nicht?
Daher auch mein Motto: Warum nicht das tun, was auch Gutes birgt? Was ist so schlecht daran, sich Gutes zu tun? Als Metapher dient mir dabei das Golfspiel: einen kleinen Ball mit einem langen Schläger über weite Strecken in ein winziges Loch zu befördern. Das ist etwas, das ich früher als abwegig einstufte, nun jedoch als potenzielle Quelle neuer Erfahrungen und Erkenntnisse betrachte. In meiner Urlaubsgeschichte als Ressource, um meine Ehe auf eine weitere Entwicklungsstufe zu bringen und sie damit zu »retten«. In der fiktionalisierten Story um meine Ehe, wohlgemerkt. Ich erlebe dennoch meinen persönlichen Untergang am Abschlag und zugleich die Erkenntnis: Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um das Sowohl-Als-Auch von Scheitern und Gelingen. Hier entsteht, was wir dann Selbstliebe nennen. Wir finden uns in dem, was wir tun, ganz gut, und können uns hierfür mögen lernen. Mit Mitgefühl. Auch wenn es mal schiefgeht.
Wer seine Saboteure bewusst erkennt und ihre innere Stimme hinterfragt, schafft Raum für selbstbestimmtes Handeln. Achtsamkeit ist hier die Methode der Wahl: innere Stimmen urteilsfrei beobachten, statt automatisch zu reagieren.
Langfristig sollten neue Routinen gefestigt werden, damit die alten Muster an Bedeutung verlieren. Dazu gebe ich auch eine Reihe an Tipps, die die Selbstorganisation im Alltag unterstützen:
- Die Eisenhower-Matrix: Sie hilft, Wichtiges von Dringendem zu unterscheiden. Auch wenn viele sie kennen, scheitert ihre Umsetzung oft im Alltag. Dann zählt, dranzubleiben und einfach zu machen. Irgendwann festigt sich die neue Routine, besonders wenn wir die kleinen Fortschritte wertschätzen – sie erhöhen die Motivation.
- Die Ericksonsche Hypnotherapie: Sie bietet einen besonderen Zugang zum inneren Saboteur: Statt ihn nur zu bekämpfen, können wir ihn bewusst »verkleinern« und »umdeuten« – zu einem nützlichen Signalgeber. Auf diese Weise wird aus dem vermeintlichen Blockierer ein innerer Helfer, der uns rechtzeitig auf mögliche Stolpersteine hinweist und zugleich als motivierender Antreiber dient.
5. Narzissmus in zwischenmenschlichen Beziehungen
Redaktion: Welche Rolle spielt der Narzissmus in zwischenmenschlichen Beziehungen, und wie können wir solche Sabotagemuster erkennen und durchbrechen?
Dr. Pablo Hagemeyer: Narzissmus lebt von einer übersteigerten Selbstwahrnehmung, in der das eigene Bild idealisiert und der andere abgewertet wird. Wer so agiert, nimmt dem Gegenüber Raum für echte Resonanz. Es geht dann mehr ums eigene Ego als um wechselseitigen Austausch. So wird eine Beziehung empfindlich gestört. Resonanz bedeutet schließlich, dass sich beide Seiten füreinander öffnen und in ihrer Eigenständigkeit wie auch in ihrer Verbundenheit wahrnehmen. Empathisch ist, wer die Grenzen des anderen erkennt und respektiert.
Typisch für narzisstisch geprägte Sabotagemuster ist eine reduzierte Empathiefähigkeit, sabotiert durch:
- ständige Forderung nach Bestätigung und
- gekränktes Reagieren, sobald diese ausbleibt.
- Kontroll- und Distanzverhalten und
- das Verstecken eigener Verletzbarkeit
Wo ein solches Muster dominiert, geht das essenzielle Wechselspiel – die Offenheit für gegenseitige Erfahrung und empathische Reaktion – verloren. Stattdessen entsteht eine einseitige »Bühne« für das übersteigerte Selbst, auf der kein Raum bleibt für die Bedürfnisse und Eigenheiten des anderen. Das ist Gift für eine tiefe Bindung.
Eine lebendige Beziehung lebt davon, dass beide sich in ihren Stärken, Schwächen und ihrer Verwundbarkeit begegnen können. Ich nenne das einen »heiligen Raum«, einen Raum radikaler Ehrlichkeit. In diesen führe ich meine Klient:innen auf tiefenpsychologischen Reisen – und begleite sie gestärkt wieder hinaus. Danach sind sie oft beziehungsfähiger. Manchmal aber nicht mehr mit dem/der bisherigen Partner:in.
Denn häufig erreicht diese Veränderung auch jene, die sich selbst als nicht für narzisstisch halten – und den anderen als »Narzisst« bezeichnen, um sich den Selbstblick zu ersparen. Häufig begegnen wir im anderen unserem eigenen Albtraum: Eigenschaften, die wir in uns nicht aushalten. Wir arbeiten uns dann am Narzissmus des anderen ab, ohne den eigenen Anteil zu hinterfragen. Denn die entscheidende Frage ist: Was macht den anderen so attraktiv? Es sind die eigenen Bedürfnisse. Hier spiegeln sich eigene idealisierte Annahmen über einen selbst, also so einen tollen Partner »verdient« zu haben. Das kann narzisstisch schwer gestört sein, besonders wenn man an einer dysfunktionalen Beziehung festhält und sich in emotionaler Abhängigkeit selbst zerstört.
Aus dieser Täter-Opfer-Dynamik kommt man nur heraus, wenn gegenseitige Verletzungen beendet werden und sich distanziert wird. Danach muss innere Arbeit folgen, um innerlich reifer, stabiler, kontrollierter und wertebasierter zu werden. Um sich auf den anderen einlassen zu können, mit dem Risiko, jederzeit verlassen werden zu können, muss man emotional gefestigt sein. Beziehungen sind ein ständiges Aushandeln mit Multiperspektiven, Kompromissen und Gewährleistung basaler Bedürfnisse nach Sicherheit und Orientierung.
Diese sind häufig durch frühe Beziehungserfahrungen bedroht, die unsere Ängste in heutige Partnerschaften hineintragen. Viele suchen Sicherheit im Materiellen – Geld, Haus, Verpflichtungen. Doch wenn die Angst vor Nähe so gegenwärtig ist, hilft kein Porsche. Nur die Bereitschaft zur inneren Entwicklung ermöglicht es, sich auf das Abenteuer Beziehung wirklich einzulassen.
6. Der Einfluss der Gesellschaft auf narzisstisches Verhalten
Redaktion: Wie beeinflusst die moderne Gesellschaft – insbesondere soziale Medien und die ständige Selbstinszenierung – narzisstische Tendenzen und damit auch unsere Neigung zur Selbstsabotage?
Dr. Pablo Hagemeyer: Soziale Medien sind ein Katalysator für narzisstische Tendenzen: Wir basteln aus unseren Profilen kleine Ego-Galerien, filtern und inszenieren uns. Mache ich ja auch und warum auch nicht? Aber wer hier nicht aufpasst, gleitet schnell ins Egokarussell der Selbstbestätigung: Wir jagen nach Likes, suchen nach Anerkennung und vergessen dabei, was wir wirklich wollen und brauchen.
Fehlt dann die ersehnte Reaktion oder kommt Kritik, fühlt sich das wie ein Hieb in die Magengrube an und stresst uns körperlich. Das kann zu Selbstsabotage führen, durch
- Rückzug und Abwertung der positiven Aspekte sozialer Medien oder
- verbissenen Aktionismus nach mehr Aufmerksamkeit – mehr Filter, mehr Rants, mehr Reels.
Ein kaum kommuniziertes Tabu ist, wie sehr selbst etablierte Influencer unter dem ständigen Druck zu liefern leiden. Parallel dazu befeuert das Dauer-Vergleichen der Nutzer mit den scheinbar perfekten Erfolgsgeschichten dieser Influencer unseren inneren Kritiker, der sich meldet mit: »Mach’s noch besser, sei noch toller!« Dieser Stress kann höllisch werden und Selbstzweifel anheizen – wird aber oft verdrängt. So führt die scheinbar harmlose Ego-Show auf Instagram & Co. nicht selten zu echten psychischen Leiden auf beiden Seiten des Handys.
Mein Tipp: 15-minütiges tägliches Zeitlimit für die sozialen Medien einrichten.
7. Präventive Maßnahmen gegen Selbstsabotage
Redaktion: Viele Menschen kämpfen mit dem Wunsch nach Perfektion und dem Drang, von anderen gesehen und anerkannt zu werden. Welche Strategien und präventive Maßnahmen empfehlen Sie, um diesen Druck abzubauen und gesunde, realistische Ziele zu setzen?
Dr. Pablo Hagemeyer: Jedes Ideal bleibt ein orientierender Fixstern am Firmament: Es kann uns motivieren und neue Horizonte eröffnen. Doch wer sie zu starr verfolgt, verliert schnell den Bezug zur Realität. Die Realität – mit all ihren Widerständen – ist dann der große Gegenspieler dieser Fantasien. Und das ist auch gut so. Im Sinne des radikalen Konstruktivismus (nach Watzlawick) können wir uns zwar unsere eigene ideale Welt entwerfen, doch auf dem Weg dahin stößt das Konstrukt stets auf Widerstände. Wer dann lernt, sich an einem Ideal zu orientieren, ohne es für ein unumstößliches Muss zu halten, vermindert den Perfektionsdruck und fördert Flexibilität.
Um den Druck zu reduzieren und realistische Ziele zu setzen, helfen folgende Strategien:
- Ziele als Richtungen statt Pflichten begreifen: Wer Spielraum zulässt, bleibt handlungsfähig.
- Fehler als Lernmomente einplanen: Wer mit Rückschlägen rechnet, wird widerstandsfähiger.
- Realistische Erfolge anerkennen: Manchmal ist »gut genug« der eigentliche Fortschritt.
- Sich am Funktionieren orientieren: Was im Alltag funktioniert, darf auch als Erfolg gelten – selbst wenn es nicht der Idealvorstellung entspricht.
8. Strategien zur Überwindung narzisstischer Selbstsabotage
Redaktion: Im Buch geben Sie Tipps, wie man Selbstsabotage entgegentreten kann. Welche ersten Schritte empfehlen Sie Personen, die feststellen, dass narzisstische Züge ihre Fortschritte hindern?
Dr. Pablo Hagemeyer: Wer bemerkt, dass narzisstische Züge die eigenen Fortschritte blockieren, hat den ersten entscheidenden Schritt bereits getan: das Bewusstwerden dieser Muster. Das ist auch die Kernbotschaft meines Buches: Selbstsabotage lässt sich erst auflösen, wenn man sie erkennt.
Statt den Drang zur Selbstinszenierung zu verteufeln, kann man ihn als Signalgeber umdeuten, der warnt, aber nicht lähmt. Kleine Übungen im Alltag helfen:
- Fehler zeigen
- Reziprozität einüben
- Offenheit zulassen
Das nimmt Druck heraus, ständig perfekt und bewundert sein zu müssen. Wer sein Ego durch Sinnhaftigkeit ausrichtet, reagiert gelassener auf Kritik und spart Energie für das Wesentliche. So lassen sich narzisstische Überzeugungen in kreative Antriebskraft verwandeln. Etwa: Die Angst, keinen Bestseller mehr zu schreiben, kann zur Inspiration für den nächsten werden – ohne dabei Beziehung oder Authentizität zu untergraben.
9. Langfristige Veränderung statt Impulsivität
Redaktion: Impulsivität und irrationale Ängste führen oft zu Fehlentscheidungen. Wie können wir in stressigen Momenten diese Impulse besser kontrollieren, um Selbstsabotage zu vermeiden? Wie können Personen, die tiefsitzende narzisstische Tendenzen und Selbstsabotage-Mechanismen in sich tragen, nachhaltige Veränderungen in ihrem Denken und Handeln erzielen?
Dr. Pablo Hagemeyer: Ich möchte an dieser Stelle bewusst auf die aktuelle geopolitische Lage eingehen, denn diese macht derzeit vielen Angst. Bösartiger Narzissmus (nach Kernberg: Sadismus, Psychopathie und Narzissmus) äußert sich in extremem Machtstreben, mangelndem moralischem Empfinden und Aggression. Das kann bei Betroffenen, sowie ihrem Umfeld rasch zu impulsiven oder irrationalen Reaktionen führen. Die resultierenden Ängste verleiten leicht zu Fehlentscheidungen, obwohl sie eigentlich wichtige Warnsignale sein könnten.
Ein Beispiel dafür ist die Rede des US-Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz (Februar 2025). Diese war zugleich Angstmacher und narzisstische Kränkung der Europäer. Der »Circle of Influence« ist hier hilfreich: Er hilft zu unterscheiden, wo wir wirklich Einfluss haben – und wo nicht. Gerade in angespannten Situationen schützt uns das vor impulsivem oder selbstsabotierendem Verhalten.
Wer traumatisierende Erfahrungen mit narzisstischen Personen macht, neigt dazu, sich zurückzuziehen und die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken. Das begünstigt wiederum Selbstsabotage. Dabei lassen sich Furcht und Unsicherheit auch als Frühwarnmechanismen begreifen, die als Einladung zur Selbstwahrnehmung dienen. Wichtig ist, die eigene Angst ernst zu nehmen und sie als Hinweis darauf zu verstehen, wo man Grenzen setzen muss. Ein aktiver Umgang mit dem »Alarmgefühl« bedeutet nicht bloß Rückzug oder Panik.
Es geht um das gezielte Einsetzen persönlicher Stärken, um ein stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen – ob als Individuum oder Europa – vor allem, wenn tief sitzende narzisstische Tendenzen auf beiden Seiten vorliegen. Wer sich darin übt, die destruktiven Muster zu durchschauen und sich gegebenenfalls Unterstützung sucht, kann nachhaltige Veränderungen im Denken und Handeln erzielen.
10. Narzissmus positiv nutzen
Redaktion: Können Sie aufzeigen, wie man narzisstische Züge erkennen und in positive Verhaltensweisen ummünzen kann, die sowohl dem Individuum als auch dessen Umfeld dienlich sind?
Dr. Pablo Hagemeyer: Narzisstische Züge gelten oft als problematisch, haben aber durchaus attraktive Seiten: Sie können Selbstvertrauen, Durchsetzungsstärke und eine starke Ausstrahlung erzeugen. Richtig eingesetzt können sie Menschen motivieren und führen – gerade in herausfordernden Situationen. Entscheidend ist, die Grenzen zu erkennen: Sobald die Wertschätzung anderer nur noch als Mittel zum Zweck dient, wird das Umfeld im Grunde instrumentalisiert.
Hier sind einige Impulse, wie das gelingen kann:
- Selbstwahrnehmung schärfen: Fragen Sie sich: Wie reagiere ich auf Lob, Kritik oder mangelnde Aufmerksamkeit? Wer schnell gekränkt ist oder sich übertrieben in Szene setzt, sollte innehalten und den Geltungsdrang prüfen.
- Strahlkraft gezielt einsetzen: Nutzen Sie Ihre Ausstrahlung, um andere zu inspirieren, ein gemeinsames Projekt voranzubringen und einen echten Mehrwert zu kreieren.
- Erfolge teilen: Nutzen Sie Erfolge nicht nur für das eigene Ego, sondern auch im Sinne des Teams, der Organisation oder Gemeinschaft.
- Offenheit und Feedback zulassen: Wer ehrliche Rückmeldungen wertschätzt, verhindert, dass narzisstische Züge in eine destruktive Überheblichkeit abgleiten.
- Professionelle Unterstützung nutzen: Wenn Sie spüren, dass der Drang nach Bewunderung zum Problem wird, lohnt sich Hilfe von außen – egal ob als Partner einer toxischen Beziehung oder als Spitzenpolitiker im Umgang mit Narzissten.
Es ist also durchaus möglich, die positive Energie des Narzissmus beizubehalten, ohne Empathie und gegenseitige Wertschätzung aufzugeben.