Heute nicht: Es allen recht machen!

In wenigen Tagen werde ich 40 und fand mein Garten sollte auch so aussehen: Souverän. Durchdacht. Organisiert. Oder zumindest das, was ich mir unter einer 40-jährigen Frau so vorstelle. Eine Frau, die Bilanz zieht und ihr Leben großartig findet. Die ihre Kinder im Griff hat genau wie ihre Nägel, ihren Haushalt und ihren Mann. Bin ich alles – nur die Terrassen machen nicht mit. Patina durch Eichen. Der Kärcher musste her. Nach vier Stunden konnte man dann vom Boden essen und ich sah aus wie Schwein. Und fragte mich: Machst Du das jetzt eigentlich für dich oder die anderen?   

 

Es allen recht machen

Eigentlich können wir gar nichts dafür, dass wir es immer allen recht machen wollen: Ist ein uraltes Steinzeitprogramm, das in uns abläuft! Ergo: Mach, was alle machen, und du wirst nicht gefressen. Aus der Reihe tanzen war einfach nicht besonders gesundheitsfördernd. Und da steht man dann und ist immer noch ein Neandertaler im Kopf. Und prüft: Bin ich passend angezogen? War das jetzt höflich genug? War das blöd, dass ich das gesagt habe? Mögen die mich? Meine Freundin Elisa macht sowas alles nicht. Sie ist einfach sie. Sie ruft mich meistens nur an, wenn sie etwas will, zum Beispiel meine Gesellschaft. Wenn sie die nicht will, ruft sie auch nicht an. Da gibt's keine Höflichkeits-musst-dich-ja-mal- melden-SMS. Ich will auch mehr wie Elisa sein. Und damit fange ich heute an: Ich plane einen ganzen Tag, es niemanden Recht zu machen. 

 

Sei du selbst

Außer vielleicht meinen Kindern, aber denen mache ich es nur Recht, damit ich es mir Recht mache, sonst killen die mich. Und davon habe ich ja auch nichts. Aber erstmal brauche ich etwas Hilfestellung. Ich rufe meinen alten kaviarbesessenen Freund Sascha, 49, Promifernsehredakteur, Porschefahrer, Lebemann, an, der es wirklich nie jemanden Recht macht.

Im Gegenteil: Er führt einen sehr dekadenten Lifestyle, hat keinen Tagesablauf, kennt kaum Konventionen, postet auch nachts nach ein paar Gläsern Wein private SMS bei Facebook und führt einen erbitterten Kampf mit seinen Nachbarn, denen er unterstellt nicht nur Lehrer, sondern auch noch Veganer zu sein. Die für ihn verabscheuungswürdigste Kombination zweier Entscheidungen im Leben eines Menschen.

„Wie soll ich dir dabei helfen? Ich kann dir nur einen Rat geben: Zieh es einfach durch, sei du selbst, ohne Rücksicht auf Verluste, sag, was du denkst, sei bequem und verhalte dich, als gäbe es kein Morgen. Als würdest du morgen zu den Sternen entschweben, ma chére. Das ist ab jetzt deine Haltung.“ 

„Okay.“ sage ich und lege gedanklich eine Handkante an die Schläfe. 

 

Mein neues Soziologen-Mantra: Was andere über dich denken, ist ihre Sache.
Anna Funck

„Warte mal. Ich bin gerade an der Tanke kurz vor Hamburg...“ Sascha ist immer an irgendeiner Tankstelle. Meistens auf dem Weg zu irgendwelchen Adeligen, die er interviewen will und meistens irgendwo im Nirgendwo in der Nähe eines Schlosses. Also irgendwo auf dem Land, in der Pampa, wo man die Bürgersteige früher hochklappt. „Würden Sie es jetzt auch mal unterlassen, mir so auf die Pelle zu rücken in ihrer ganzen billigen tiefergelegten GTI-Herrlichkeit? Die Unterschreitung der Individualdistanz macht mich nämlich rasend. Mit genauso wie ohne Corona! Oder was würden Sie sagen, wenn ich bei Ihnen in Rissen Ihrer Frau ungefragt die Zunge in den Hals stecken würde? So in etwa benehmen Sie sich hier gerade. Gehen Sie jetzt bitte in Ihren Tanzbereich. Danke!“ Pause. „Anna, bist Du noch dran?“

 

Ich bin einfach zu nett

Ich bin mehr als zufrieden. Mehr Lehrbuch geht nicht. Wie oft habe ich das schon gedacht, wenn mir jemand vor unserer jetzigen Maskenzeit auf die Pelle gerückt ist, ich aber nie etwas gesagt  habe. Schuld daran sind ganz klar meine Eltern, die einen viel zu netten Menschen aus mir gemacht haben. Ich bin immer höflich, voller Respekt für meine Mitmenschen. Besonders älteren gegenüber. Auch wenn die sich total daneben benehmen. Und ich sage selbst dann noch „Entschuldigung, ich stand auch wirklich blöde im Weg!“ wenn die mich mit dem Gehwagen überrollen oder mich mit dem Krückstock in der Gemüseabteilung für eine Kreuzigung präparieren. Richtig bescheuert. Damit ist ab sofort Schluss. Die souveräne 40 naht schließlich. Ich habe mir meinen Parkplatz oder den Kopf der Kassenschlange genauso verdient wie Oma Kasuppke. Mein neues Soziologen-Mantra: Was andere über dich denken, ist ihre Sache.
 

Der Rasen darf über sich hinauswachsen

Und es ist mir egal, wie Sie das finden. Ich mach das jetzt- und starte mit dem Garten. Der darf über sich hinauswachsen. Dann geht es weiter im Gesicht. Ich gehe ungeschminkt aus dem Haus. Oh, wie mutig, wird jetzt der ein oder andere denken.  Das klingt nicht gerade weltbewegend. Aber ist es doch: Wenn ich aliceschwarzermäßig aus der Tür gehe, naturbelassen, mit nackter Epidermis, dann ist das schon etwas Besonderes. Make up riecht nämlich verdammt nach „Ich mach es euch recht.“ Auch wenn viele Frauen jetzt aufspringen und rufen werden:“ Ich tu das nur für mich!“ Stimmt so nicht. Wissen wir seit Corona. Oder tuscht Ihr euch die Wimpern auch im einsamen Homeoffice zur Jogginghose und zieht euch die Lippen in sofafarben nach?

In der Behauptung, sich für sich selbst zu schminken steckt viel Unabhängigkeitsideologie. Und wenn man Single ist und auf Beutefang, dann stimmt das auch. Dann ist Make up deine Rüstung auf der Männerjagd. Deine Goodfeel-Strategie. Dein Schutz. Dein Lockmittel. Deine Positionierung. Deine Kommunikationshülle. Aber auch die zielt immer auf das Gegenüber. Also wieder nicht für dich. Sich-schön-machen ist ein Statement. Sich-nicht-schön-machen auch. Also auf in die Kampfzone und Präsentationsfläche Supermarkt. 
 

Bist du krank?

„Anna, du siehst so anders aus? Was hast du gemacht? Warst du beim Friseur?“ Die erste Schul-Mutter hat mich auf dem Parkplatz entdeckt. Gefolgt von Nummer zwei: „Bist du krank, Anna? Du siehst so blass aus. Soll ich dir einen Smoothie holen oder einen Kaffee oder beides?“

„Nein, alles gut. Ich bin nur ungeschminkt.“

„Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Du siehst so leer im Gesicht aus. Aber irgendwie auch gut. Du brauchst das ja eh alles nicht.“

Ich muss grinsen. Da will es mir wohl jemand Recht machen und es schnell gerade biegen. 
 

Auch ein junger Mensch darf mal sagen: So nicht. Heute nicht. Und schon gar nicht mit mir.
Anna Funck

Nicht mit mir! Heute nicht!

Szenenwechsel. Eine halbe Stunde später naht die nächste Chance, mich zu beweisen: Ich blinke vor einem neuen Parkplatz in einem Rondell, bin dann allerdings gezwungen, einmal im Kreis zu fahren und in dem Moment schießt eine der bösen Rentnerinnen mit ihrem Fiat Punto in meine Lücke. Da ist sie: Die personifizierte Gemeinheit mit weißen Löckchen. Aber nicht mit mir. Heute nicht, Ladies. Gleich zwei steigen aus. Böse lächeln die Dritten. Wie Fangzähne. Ich hupe. Mein Fenster fährt runter: „Sie wissen schon, dass das mein Parkplatz war? Auf den ich bestimmt 10 Minuten gewartet habe? Mit meinem Baby im Auto und unter Zeitdruck?“

„Phh. Und?“ Die böse alte Hexe dreht den Schlüssel der Fahrertür um. „Jetzt parke ich hier.“ 

„Wie kann man nur so böse und so respektlos sein?“

„Ich habe auch Zeitdruck, junge Frau. Was fällt Ihnen denn ein? Warten Sie halt auf den nächsten.“ 

„Achja? Wer drückt denn bei Ihnen?  Die geringe Lebenserwartung? Der Sensenmann? Naja, wer sich so mies seine Vorteile erschleicht, der muss wohl aufpassen. So alt und kein Benimm. Traurig. Schönen Tag noch.“
 

Mit stolz geschwellter Brust fahre ich davon. Und warte nochmal zehn erhabene Minuten. Die Löckchenmonster sprinten schon wieder weiter, aber ich sehe es aus den weißen Nasenhaaren qualmen. Ja, es gibt böse Rentner, bestimmt sind sie die Ausnahme, aber Alter schützt vor Anstand nicht. Und da darf ein junger Mensch auch mal sagen: So nicht. Heute nicht. Und schon gar nicht mit mir. Als ich aussteige, nickt mir eine andere Mutter zu: „Das war eine Frechheit. Endlich hat mal jemand was gesagt. Und genauso wie die es verdient haben." Wir zwinkern uns zu.

Innerlich nehme ich mir vor, eine echt coole Omi zu werden, wenn es so weit ist, und nie jungen Frauen mit Nachwuchs den Parkplatz zu stehlen. Auch wenn der Tod noch so greifbar scheint. Lieber sterbe ich aus Fairness an der Parkplatzschranke. Zufrieden schiebe ich den Kinderwagen zum nächsten Termin. Mein neues Ich fühlt sich richtig gut an.  

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