Wie Tina Turner zum Buddhismus fand

Im Lauf der Zeit hatte ich Songwriter immer wieder sagen hören: »Schreib über etwas, was du kennst.« Diesen Rat befolgte ich, weshalb mein erster Versuch der 1973 verfasste Titel »Nutbush City Limits« war, ein Lied über meinen Heimatort. Vor allem in Europa wurde es zum Hit. Das linderte unsere finanziellen Sorgen, und die Vorstellung, dass ich etwas Kreatives tun konnte, machte mich unheimlich glücklich. Zu Hause litten die Kinder und ich allerdings weiter unter Ikes heftigen Launen und Wutausbrüchen, denen wir uns hilflos ausgeliefert fühlten.

 

Von diesen gewalttätigen Übergriffen...

...war ich oft völlig erschöpft und außer mir. Es fiel mir immer schwerer, das vor den Menschen in meinem Umfeld zu vertuschen, denen meine Probleme keineswegs verborgen blieben. Wenn ich allein mit ihnen war, versuchten sie manchmal, mit mir darüber zu sprechen. »Ich hoffe, du kümmerst dich auch um dich«, sagten sie zum Beispiel zaghaft, aber ich wusste, was damit in Wirklichkeit gemeint war:

Warum machst du dich nicht endlich aus dem Staub, verdammt noch mal?
Tina Turner

Eines Tages jedoch...

... sagte unser Tontechniker unerwartet etwas völlig anderes zu mir: »Tina, du solltest es mal mit Chanten versuchen. Das wird dir helfen, dein Leben zu ändern.«
Ich wusste nicht so genau, was Chanten überhaupt war, bat allerdings auch nicht um eine Erklärung. War das nicht was für Hippies? Bald schon hatte ich den Vorschlag vergessen.

Einige Monate später jedoch kam mein jüngster Sohn Ronnie mit etwas nach Hause, was wie ein Rosenkranz aus lackierten braunen Holzperlen aussah. »Mutter«, sagte er aufgeregt, »das ist eine buddhistische Gebetskette! Wenn du ›Nam-Myoho-Renge-Kyo‹ chantest, kannst du alles bekommen, was du willst.«
Was? Wie sollte ich je »alles bekommen können, was ich wollte« …? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich mit einer solchen Behauptung hätte anfangen sollen. »Es ist wohl etwas Mystisches, aber es scheint zu funktionieren«, versicherte er mir. »Erklären kann ich das auch nicht. Lass uns doch zu dem Chanting-Meeting gehen, das hier in der Gegend stattfinden soll. Da erfahren wir sicher mehr.«

Unter normalen Umständen wäre ich womöglich hingegangen, aber zu diesem Zeitpunkt war ich praktisch Gefangene in meinen eigenen vier Wänden. Ohne Ikes ausdrückliche Zustimmung durfte ich nirgendwohin und Ike erlaubte mir lediglich, zum Einkaufen oder ins Aufnahmestudio zu gehen. Deshalb sagte ich zu Ronnie, er könne die Buddhisten gern zu uns einladen, aber besuchen könne ich sie nicht. Das war meine zweite Berührung mit dem Thema »Chanten«, die jedoch im Sande verlief.

Einige Wochen später brachte Ike eine heiter wirkende Frau mit nach Hause, um sie mir vorzustellen. Er kam ständig mit irgendwelchen Leuten an, die »Tina kennenlernen« sollten. Und wie aus dem Nichts fing auch diese Frau plötzlich an, übers Chanten zu sprechen. Sie war Buddhistin.

Offenbar versuchte das Universum mit aller Macht, mir eine wichtige Botschaft zu senden.
Tina Turner

Intuitiv war ich diesmal bereit, aufmerksamer zuzuhören.

Die Welten in uns

Eigentlich war es ein typischer schöner Tag in Südkalifornien, wie man ihn von Postkarten kennt, mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Für mich jedoch war er nicht ganz so typisch, denn ich hatte immerhin zum dritten Mal in drei Monaten etwas über das Chanten gehört, und das Thema ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Man schrieb das Jahr 1973, und mein vierunddreißigster Geburtstag stand kurz bevor. Ich versuchte mein Bestes, vier willensstarke männliche Teenager aufzuziehen, während ich mit einem ganzen Wust an Problemen kämpfte, beruflich und in meiner Ehe. Wie stark der Stress auch wurde, ich war stets bemüht, den Druck nicht nach außen dringen zu lassen. Und obwohl es eine schlimme, schlimme Zeit war, spürte ich irgendwie einen kleinen Funken Hoffnung.

 

Ich hatte mittlerweile genug erlebt, um den Schluss zu ziehen, dass es keine Zufälle im landläufigen Sinne gibt. Ich glaubte schon damals, dass alle Situationen, in die wir geraten – seien sie nun »gut« oder »schlecht« –, immer auf einen bestimmten Grund zurückzuführen sind, selbst wenn sich der uns nicht gleich erschließt. Dennoch fragte ich mich, weshalb ich unter solchen Übergriffen und einer derartigen Negativität zu leiden hatte, obwohl ich wissentlich doch gar nichts getan hatte, um so etwas zu verdienen – jedenfalls nicht in diesem Leben!

Allen Widrigkeiten zum Trotz versuchte ich auch jetzt, »ein guter Mensch« zu sein. Wenn es überhaupt so etwas wie Gerechtigkeit im Universum gäbe, war doch zu hoffen, dass mir nun etwas Positives begegnete, was lange überfällig war. Vielleicht war dies der Hinweis darauf, dass jetzt mein Moment gekommen war: Drei Menschen, die einander nicht kannten und sich hinsichtlich Alter, Geschlecht und Hautfarbe unterschieden, hatten mir unabhängig voneinander denselben Rat gegeben, wie ich mein Leben zum Besseren wenden konnte. Sie hatten mir, auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, gesagt:

Lern die buddhistische Weisheit kennen, und fang an zu chanten.
Tina Turner

Ich spürte, dass diese Botschaft mich aus einem bestimmten Grund erreicht hatte. Alles, was ich wollte, war eine Möglichkeit, mein Leben zu ändern. Selbst die kleinste Verbesserung würde eine Erleichterung sein. Ich sollte das mit dem Chanten mal ausprobieren, sagte ich mir.

Den Anfang...

...machte ich, indem ich einschlägige Bücher von Daisaku Ikeda las, einem wahren Vordenker der buddhistischen Praxis. In der Schule war ich nie besonders gut gewesen, aber ich war neugierig und hatte schon immer Freude am Lernen. Als ich älter wurde, begleiteten mich Bücher als gute Freunde. Sie führten mich an unbekannte Orte und stellten mir neue Ideen vor. Ob ich etwas über Mode, die Geschichte des alten Ägypten, über naturwissenschaftliche Themen oder Politik las, ...

 

Ich freute mich immer über die Gelegenheit, etwas von der großen weiten Welt zu erfahren.
Tina Turner

Ikedas Schriften...

...entführten mich in eine mystische Zeit im alten Indien, in der ich etwas von dem Konzept der Zehn Welten erfuhr.

Dieses ebenso vielschichtige wie praktische Prinzip buddhistischer Weisheit reicht in seinen Ursprüngen beinah dreitausend Jahre zurück. Es beschreibt zehn Kategorien von Lebenszuständen. Gemeint sind damit unsere sich ständig verändernden Stimmungen, Gedanken und allgemeinen Seinszustände, die einen starken Einfluss auf unsere Emotionen, unser Handeln und unseren Blick auf uns selbst und andere ausüben.

 

Die zehn »Welten«...

... sind also eigentlich Zustände, die wir alle innerlich erleben; sie reichen vom schlimmsten bis zum besten menschlichen Verhalten. Die ungünstigeren unter diesen inneren Zuständen können, wenn sie unerforscht oder unkontrolliert bleiben, zu Gewohnheiten führen, durch die wir uns in ungesunden Mustern verfangen. Mir war genau das widerfahren.

Als ich mir dieser zehn Zustände bewusst wurde, konnte ich die Neigungen erkennen, die mich zurückhielten und zu Boden zogen, darunter schwache Selbstachtung und CoAbhängigkeit. Außerdem leugnete ich meinen eigenen Wert und überließ es anderen, Entscheidungen über mein Leben zu treffen. Sobald ich diese Aspekte von mir klarer sah, konnte ich damit anfangen, sie zu verändern. Dadurch wurde allmählich der Weg dafür frei, bleibenden Erfolg und dauerhaftes Glück aufzubauen.

Spiritualität ist unser persönliches Erwachen und unsere Beziehung zu Mutter Erde und zum Universum, durch die wir offener und positiver werden.
Tina Turner

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