Geist entrümpeln mit Yoga

Eine Aufräumaktion für unseren Geist 

Wenn wir uns bewusst machen, wie viele verschiedene Aktivitäten unseren Geist beeinflussen, kommen wir nicht umhin, uns zu überlegen, ob wir all das, was in Geist aktiv ist, wirklich weiter sich selbst überlassen wollen, damit es weiter – unbemerkt und unkontrolliert – unser Leben bestimmen kann. Und deshalb ist einer der ersten wichtigen Schritte der eigentlichen Yogapraxis eine innere Bestandsaufnahme.

 

Mentales Gerümpel

Wenn wir das »Feld« unseres Geistes – den citta – mit einem großen Schrank vergleichen, dann sind wir eingeladen, zu schauen, was sich seit frühester Kindheit alles in diesem Schrank angesammelt hat. Wir werden in diesem »Schrank« die wundervollsten Fähigkeiten, die brauchbarsten Werkzeuge, viele nützliche Konzepte und vieles anderes finden, was uns jeden Tag hilft, unser Leben zu führen, Probleme zu lösen und Freude und Zufriedenheit zu erfahren.

Gleichzeitig wird uns aber auch bewusst werden, wie viel altes Zeug, wie viel »mentales Gerümpel« wir angesammelt haben, das den Schrank verstopft und keinen Platz lässt, etwas Neues, Sinnvolleres oder Förderlicheres  in uns aufzunehmen. »Mentales Gerümpel« sind zum Beispiel viele der Ansichten, die wir über uns und die Welt hegen, die wir in unserer Kindheit von unseren Eltern übernommen haben und dann nie wieder bewusst angeschaut oder hinterfragt haben.

 

Zeit, um aufzuräumen

Das sollten wir aber tun, denn unsere Eltern hatten ihre Ansichten auf ihren Erfahrungen gegründet und wir haben unsere eigenen Erfahrungen gemacht. Vieles von dem, was wir an uns und anderen für gut – bzw. gelungen – oder schlecht – bzw. nicht so gut gelungen – halten, stammt aus diesem Reservoir und beeinflusst noch nach vielen Jahren die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir uns in ihr erleben und uns zu ihr verhalten. Deshalb rät der Yoga, das, von dem wir erkannt haben, das es uns belastet, behindert und einengt, zu »entsorgen«, um uns in die Lage zu versetzen, neue, »frische« Sichtweisen auszuprobieren und uns selbst und unseren Kontakt zur Welt ganz neu zu gestalten.

Nimm dir Zeit für eine innere Bestandaufnahme. Überlege, was dich behindert und einengt und ob du das loslassen kannst. Stell dir vor, wie es wäre, die Menschen in deiner nächsten Umgebung mit ganz neuen, frischen Augen zu betrachten? Stell auch dich selber vor einen Spiegel und versuche, alles das, was du über dich zu wissen meinst, einmal zu vergessen. Versuche dich so zu sehen, wie du dich noch nie gesehen hast? 

Jeder Schritt und auch jedes Schrittchen wird uns ein wenig weiter an unser Ziel bringen.
Anna Trökes

Das Gewohnheitstier in dir

Wenn wir mit dem mentalen Entrümpeln beginnen, dann sind wir zwar von der Einsicht geleitet, dass es gut wäre, diesen oder jenen Ballast endlich loszuwerden. Aber gleichzeitig weiß etwas in uns, dass dieses Verabschieden Konsequenzen haben wird, vor allem aber in uns Veränderungen hervorrufen wird. Das bedeutet, dass wir uns nicht nur von einem bestimmten inneren Muster trennen, sondern dass das große, dichte und sichere Netz aller unserer Gewohnheiten davon betroffen sein wird.

Diese Instanz in uns, die sicher viel mit uns als biologischen Wesen zu tun hat, ist ein »Gewohnheitstier«: sie hasst Veränderungen. Und da sie schwer und träge in uns ruht, müssen wir ganz achtsam sein, dass ihre bewahrende und behindernde Kraft nicht unsere guten Absichten zunichte macht.

 

Sei beharrlich

Deshalb wussten die Yogameister schon seit je, dass wir vor allem eines brauchen, wenn wir unseren Geist aufräumen wollen: Beharrlichkeit.

»Ein Veränderungsprozess oder die dafür nötige Übungspraxis wird nur dann Erfolge zeigen, wenn wir sie über einen langen Zeitraum ohne Unterbrechungen beibehalten, wenn sie vom Vertrauen in den (gewählten) Weg und von einem (wahren) Interesse, das aus unserem Inneren erwächst, getragen ist«, kommentiert Desikachar das Yoga-Sutra zum Thema Beharrlichkeit (abhyasa) und erinnert uns daran, dass wir so oft voller Enthusiasmus mit etwas beginnen, um es dann schnell wieder aufzugeben, wenn sich die ersten Mühen und Schwierigkeiten zeigen. Denken wir nur an unsere diversen Versuchen abzunehmen, neue Sprachen zu lernen, usw.,usf. ...

Die wahre Kunst besteht nun darin, sich wirklich nur einfach mit einer bestimmten Perspektive bzw. einer bestimmten Absicht auf den Weg zu machen und diesen Weg dann Schritt für Schritt zu gehen. Jeder Schritt und auch jedes Schrittchen wird uns ein wenig weiter an unser Ziel bringen. Manchmal ist es unvermeidlichen, auch einige Schritte zurückzugehen oder stehen zu bleiben, bevor wir weitergehen können.

 

Sei gelassen

Da in jeder Entwicklung Stillstand und auch Rückschritt unvermeidlich sind, brauchen wir zu unserer Beharrlichkeit auch die Gelassenheit (vairagya), um uns mit dem ganz eigenen Tempo arrangieren zu können, dass ein bestimmter Prozess in uns braucht. Wenn wir uns tief greifend ändern wollen, wenn wir uns wirklich nach und nach neu erschaffen wollen, um unser Bewusstsein auszudehnen und unser volles Potential zu leben, dann müssen sich die Beharrlichkeit (abhyasa) und die Gelassenheit (vairagya) die Waage halten. Deshalb hat sie der weise Patañjali gleich in ein Wort zusammengepackt „abhyasavairagya“ und erläutert, dass gerade diese Kombination unserem Geist helfen wird, klar und still (nirodha) zu werden.

Werde dir bewusst, welche Projekte du in letzter Zeit mit Enthusiasmus begonnen hast, um sie bald wieder aufzugeben. Welche Erwartungen hattest du an dich und dieses Projekt? Was hat ihr Scheitern verursacht? Woran bist du gescheitert? Überlege dir, wie du ein solches Projekt mit Beharrlichkeit und Gleichmut Schritt für Schritt verwirklichen könntest. 

 

©Mira Burgund

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