Den Gefühlen auf der Spur: Interview mit Lukas Klaschinski

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1. Eine völlig neue Sicht auf das Leben

Redaktion: Nach deinem Kite-Surfing-Unfall in Südafrika bist du nur knapp dem Tod von der Schippe gesprungen. Welche Gedanken sind dir durch den Kopf gegangen? Und wie hat dieses Erlebnis deine Sicht auf das Leben für immer verändert und dich dazu bewogen, dein Buch »Fühl dich ganz« zu schreiben?

Lukas Klaschinski: Jedem Menschen, wenn er aufwächst, wird ja irgendwann bewusst, dass das Leben ein Ende hat. Aber meist verortet man das irgendwann in der fernen Zukunft. Und als ich diesen Unfall hatte, als ich oben am Himmel war und 10 Meter unter mir der Sandboden, in diesem Moment wusste ich, dass ich keine Kontrolle habe, dass ich sterben werde. 

Und als ich dann mit dem Kopf zuerst auf dem Boden aufgeprallt bin und alles dunkel war und irgendwann wieder meine Augen geöffnet habe, da war die Erfahrung so in mir drin, dass ich mich dann gefragt habe: Wenn ich an dem Tag gestorben wäre – was hätte ich wirklich bereut in meinem Leben? 

Und für mich war es, dass ich eigentlich mein ganzes Leben auf einem gewissen emotionalen Abstand verbracht habe, so wie ein Sicherheitsabstand, den man einfach hält, um nicht wirklich verletzt zu werden und seine Verletzlichkeit zu zeigen. Aber was war der Preis dafür? Der Gewinn war in Anführungsstrichen »Sicherheit«. Und der Preis war aber, dass ich nichts so richtig in seiner völligen Lebendigkeit gefühlt habe. Und das war ein bisschen so, als ob da irgendwas immer gefehlt hat. Ich hatte eine leise Ahnung davon, was gefehlt hat: Es waren meine Gefühle, der Kontakt zu all meinen Gefühlen. Und in dem Buch begebe ich mich auf die Reise zu den Gefühlen.

 

2. Warum wir Gefühle unterdrücken

Redaktion: Wieso fällt es uns so schwer, Gefühle ganz bewusst zu fühlen und Emotionen auszuhalten, statt sie zu ignorieren oder zu betäuben? 

Lukas Klaschinski: Unsere Gefühle wurden ja auf unserer evolutionären Reise als Mensch dafür entworfen, könnte man sagen, dass sie uns antreiben. In dem Wort Emotion steckt ja das Wort »motion«, also Bewegung. Und sie sind dafür geschaffen, um uns in Bewegung zu versetzen. Das heißt, sie haben eine ganz, ganz große Wirkung, und unsere unangenehmen Gefühle haben uns meistens vor dem Tod bewahrt. 

Unsere Scham zum Beispiel hat uns davor bewahrt, uns so zu verhalten, dass die Gruppe uns ausschließt. Wenn wir aus der Gruppe ausgeschlossen worden wären, dann hätte das damals den sicheren Tod bedeutet. Wir wären gefressen worden. Wir wären verhungert, verdurstet. Gleiches gilt für unsere Angst. Unsere Angst hat uns immer auf unserem evolutionären Weg gewarnt: »Hey, halt, Stopp! Sei vorsichtig. Pass lieber ein bisschen besser auf.« Und diese Gefühle sind immer noch genau so da. Aber sie warnen uns heute natürlich vor anderen Sachen. 

Wir können tierisch Angst haben, wenn wir eine Präsentation halten – weil es am Ende in uns drin mit dem Tod verknüpft ist, weil es damals den Tod bedeutet hat. Heute natürlich nicht mehr. Und darum fühlen sich Gefühle so essenziell lebensbedrohlich an, obwohl die Konsequenz der Situation das in den meisten Fällen nicht mehr bedeutet.

Zwischen uns und einer Sache, die wir eigentlich machen wollen, steht immer ein Gefühl .
Lukas Klaschinski in »Fühl dich ganz«

3. Gefühlsbereitschaft als Schlüssel

Redaktion: Inwiefern kann eine Gefühlsbereitschaft uns im Alltag viel Leid ersparen und uns schneller zu einem erfüllten Leben führen? 

Lukas Klaschinski: Gefühle haben ja alle immer eine wichtige Botschaft für uns. Und wenn wir sie ignorieren, dann müssen wir immer etwas tun, um sie nicht zu spüren. Und wir können nie etwas tun, das wir eigentlich machen wollen würden. Zwischen uns und den Sachen, die wir machen wollen, aber im Moment noch nicht machen, steht eigentlich ein Gefühl, das wir nicht bereit sind zu fühlen: Wir wechseln nicht den Arbeitgeber, weil wir Angst davor haben, dass es bei dem nächsten Job noch schlechter wird oder dass wir keine neue Arbeit finden. Wir trauen uns nicht, die Person anzusprechen, weil wir Angst davor haben, einen Korb zu kriegen und uns dadurch schlecht fühlen. 

Das heißt, zwischen uns und einer Sache, die wir eigentlich machen wollen, steht immer ein Gefühl. Und wenn wir bereit sind, mit diesem Gefühl zu sein, dann können wir sehr, sehr viel mehr machen und unser Leben sehr viel freier gestalten. Für mich ist Mut nicht, keine Angst zu haben, sondern trotz der Angst etwas tun zu können.

4. Die ACT–Methode: Werkzeuge des Lebens

Redaktion: Du bist besonders überzeugt von der ACT-Methode. Wie funktioniert diese und welche Werkzeuge des Lebens würdest du jedem Menschen empfehlen, der gefühlsbereiter werden möchte?

Lukas Klaschinski: Die ACT, und das ist das Faszinierende daran, vereint das Beste aus Jahrtausende alter fernöstlicher Achtsamkeitstradition mit modernen Therapie-Tools. Die ACT wurden in über 3.000 Studien schon als wirksam erfasst. ACT steht für Akzeptanz- und Commitment-Therapie.

Die Methode gehört zur dritten Strömung der Verhaltenstherapie und wird in Angsttherapien in der Behandlung von Menschen mit Depression eingesetzt, genauso wie bei der Feuerwehr und von Spitzensportlern – eben weil sie so effektiv ist.

Man kann sich das so vorstellen, als ob man für Situationen, denen wir alle im Leben begegnen, Werkzeuge an die Hand bekommt, um dort viel, viel wirksamer und viel hilfreicher damit umgehen zu können. Und wir alle in unserem Leben – egal ob wir berühmt und reich sind oder arm – begegnen ganz, ganz herausfordernden Situationen. Mit diesen Situationen können wir dann besser umgehen und vor allem unser Leben so gestalten, dass es erfüllter wird. 

Eine Grundvoraussetzung innerhalb der ACT ist unsere Gefühlsbereitschaft. Das heißt: die Achtsamkeit für den Moment zu haben, dass wir unsere Gefühle überhaupt bemerken, und dann die Akzeptanz für das, was da in uns vorgeht. Mit dieser einfachen Formel und der Anwendung dieser verändert sich alles. Und wie genau das funktioniert, beschreibe ich in meinem Buch.

Deshalb ist es so: Wenn wir näher an unsere Gefühle kommen, verstehen wir uns besser und verstehen uns auch mit anderen besser.
Lukas Klaschinski in »Fühl dich ganz«

5. Lukas' persönliche Glücksformel

Redaktion: In deinem Buch widmest du dich im letzten Kapitel dem Thema Glück und wie man dazu kommt. Würdest du deine persönliche Glücksformel in ein paar wenigen Sätzen/Schritten oder in Form einer Checkliste mit uns teilen?

Lukas Klaschinski: Unsere heutige Gesellschaft ist extrem auf das Glück ausgerichtet. Eigentlich geht es ganz, ganz häufig ums Glück. Und natürlich, das ist in jedem von uns veranlagt. Das hat Klaus Grawe, der berühmte Therapie-Forscher, schon gesagt: Menschen streben den ganzen lieben langen Tag nach angenehmen Gefühlen und wollen unangenehme Gefühle vermeiden. 

Ich würde gern an dieser Stelle eine Lanze für unangenehme Gefühle brechen. Denn wenn wir gucken: Was hat uns eigentlich geformt in unserem Leben? Was hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind? Dann waren es auch oft Zeiten, in denen wir sehr viel unangenehme Gefühle erlebt haben. Das heißt, diese haben uns letzten Endes auch positiv weiterentwickeln lassen. Das ist die eine Sache. Das heißt, ich stelle mal in Raum, dass es im Leben vielleicht gar nicht immer nur um Glück geht. 

Ich glaube, es geht um die ganzheitliche Erfahrung von Gefühlen und den Umgang damit. Und das sorgt letzten Endes dafür, dass wir uns zufriedener und erfüllter fühlen. Und das zeigen auch Studien. Meine persönliche Glücksformel und das ist nicht nur meine, sondern die wurde auch wissenschaftlich erforscht in der Harvard Grant Study – das ist die größte Langzeitstudie der Welt –, die hat gefragt: Was macht uns am Ende glücklich und zufrieden? Und was sorgt für physische und psychische Gesundheit?

Und das ist nicht das große Auto, das wir fahren, die neue Eigentumswohnung oder dass wir endlich mit dem Studium abgeschlossen haben. Es sind die Beziehungen, die wir in unserem Leben führen. Es sind die kleinen zwischenmenschlichen Interaktionen, die wir jeden Tag haben. Aber es sind vor allem die langen, tiefen Beziehungen zu den Menschen, die uns wichtig sind. Und ich glaube, wenn man das im Fokus hat und wenn man sich das bewusst macht, dann richtet man sein Leben anders aus. 
 

Gefühlsbereitschaft ist eigentlich für mich das Wichtigste, um genau das zu leben. Denn wenn wir mal schauen, worum es am Ende eigentlich immer geht, ist es das Gefühl. Und alles in uns wird in Gefühle übersetzt. Das ist unsere innere Sprache. 

Das heißt, wenn wir schmecken, sehen, hören und Gedanken haben, wird das immer in Gefühle übersetzt. Deshalb ist es so: Wenn wir näher an unsere Gefühle kommen, verstehen wir uns besser und verstehen uns auch mit anderen besser. Denn es ist auch die Sprache, mit der wir mit anderen kommunizieren. 

Und so führt Gefühlsbereitschaft zu einer besseren Beziehung zu mir selbst und zu anderen. Und wie das funktioniert und wie man somit zu einem tieferen und erfüllten Leben kommt, das zeige ich und mache ich erfahrbar. Vor allem in dem Buch »Fühl dich ganz«. Und ich freue mich, wenn die Leserinnen und Leser sich mit mir auf diese Reise begeben. 

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