Wunderwaffe Apfelessig: Ein Experiment, das süchtig macht

Wie der Apfelessig in mein Leben kam? Eher zufällig und eigentlich fängt das ganze Experiment mit Faulheit an: Ich bin müde von durchwachten Babynächten, an Sport ist nicht zu denken, ich würde vermutlich beim Joggen noch einschlafen. Aber ich will trotzdem wieder fit sein und für mein Buch „Egal, ich ess das jetzt!“ schnell herausfinden, wie ich wieder schön und schlank werde. Möglichst disziplinlos, denn Verbote mag ich nicht. 

„Ich bin es so satt, Julia!“ jammere ich meine Sandkastenfreundin  voll. „Und Sport ist auch keine Lösung. Es muss auch anders gehen.“ Nur wie? Julia schmunzelt. Leider stecke ich in meinem eigenen Hamsterrad: Denn gegen müde plus Winter hilft ja nur jede Menge Süßes, weiß ja jeder. Stellen Sie sich mein ironisches Grinsen vor, während Sie das lesen - danke. 

 

Dann schlieg das Gesetz der Anziehung zu

Und dann gibt mir Julias Mutter Margrit, immer schlank, ein Fan aller Hausmittelchen, dieses Buch aus dem Jahr 1985: „5 * 20  Jahre leben“ von Dr. D. C. Jarvis. Denn wie läuft das, wenn man sich auf eine Sache fokussiert? Genau! Das Gesetz der Anziehung schlägt zu. Und in dem Fall findet der Apfelessig mich - in Form der Vermonter Volksmedizin -„für alle, die bis in hohe Alter jung sein wollen“. Interessant. Und ich stelle fest, dass dieses Getränk angeblich alles kann: Haare! Haut! Stoffwechsel! Alles kein Problem.

Es killt Viren und Bakterien, räumt den Darm auf und macht uns von innen basisch. Und wer basisch ist, ist gesund, knitterfrei und schön. Apfelessig ist also der „Err-Zwo-Deh-Zwo“ unter den Lebensmitteln. Wenn das unsere Promis wüssten, sie würden alle weniger zum Schönheitsdoc rennen. Ist ja auch wesentlich günstiger mit 2,99 Euro pro Flasche als Botox und dann hätten auch nicht alle das gleiche Gesicht. „Und was ist mit dem Zahnschmelz?“ fragt Julia. Gute Frage! Meine Zahnfee sagt: „Kein Problem. Nur nicht pur und literweise auf einmal inhalieren. Und wenn Sie welchen trinken, dann nicht sofort Zähneputzen, lieber eine halbe Stunde warten.“ Okay.  

 

Fatburner Apfelessig?

„Bemerkt eine Frau, dass ihr die Kleider zu eng werden, so trinke sie zu jeder Mahlzeit zwei Teelöffel Obstessig in einem Glas Wasser. Schon nach zwei Monaten wird sie ihre Kleider nicht nur mühelos anziehen können, sondern von der Taillenweite etwa 2,5 cm einnähen können. Nach zwei weiteren  Monaten kann sie die Kleider wieder 2,5 cm enger machen und einen später nochmals. Setzt sie die Obstkur regelmäßig fort, so wird sie nach Ablauf eines Jahres (...) eine merklich kleinere Größe wählen dürfen als zuvor.“ 

Grund: Der Apfelessig „vermag das Fett im Körper zu verbrennen“ „....eine spezielle Diät ist nicht erforderlich.“ Na dann, Dr. Jarvis, denke ich und kaufe Apfelessig, bio und naturtrüb. Zugegeben, der Mann ist umstritten und auch nicht jedem ein Begriff, aber ausprobieren schadet ja nicht. „Und, hast du schon angefangen?“ will Julia wissen. „Ich würde das ja nicht trinken, allein der Geruch...“ „Das ist mir egal. Ich sprühe ihn mir ja nicht als Parfum an“, lache ich. 

 

Ich bin fest entschlossen. Nur sofort muss es ja nicht sein. Und so steht der Apfelessig erstmal wie ein Mahnmal auf meinem Küchentresen und ich schleiche ein bisschen drumherum. Fast denke ich, er sieht mich beleidigt an: „Mensch, warum trinkst du mich jetzt nicht?“ Wie ein Ex-Soap-Sternchen, das nicht mehr über die Roten Teppiche Berlins laufen darf. 

Bis der Tag kommt, an dem ich zum Elternabend in die Grundschule muss. Während wir auf die Klassenlehrerin warten, erzähle ich allen Müttern von meinem neuen alten Wundermittel  und dem angehenden Experiment. Am nächsten Tag stelle ich fest: Apfelessig in meiner Bio-Abteilung ist ausverkauft. Auf Nachfrage sagt eine Verkäuferin: 
„Ja, das war seltsam, heute war die Nachfrage plötzlich extrem groß.“ „Ach...“
 

Naschen ist erlaubt

Und so öffne ich abends meine Flasche und starte: Ein Glas Wasser, zwei Teelöffel, etwas Zitronensaft, einen Spritzer Honig. Und stelle fest, es schmeckt richtig gut. Wie eine Bio-Limonade. Ähnlich wie normaler Apfelsaft. Ich steigere die Dosis. 
„Und? Quälst dich noch?“ fragt Julia.
„Ja, macht Spaß!“ antworte ich nur und stelle fest, mein Bauch wird tatsächlich immer flacher, der Stoffwechsel schnurrt wie eine gekraulte Katze und ich schlafe essigschwer viel besser, wenn ich denn darf. Außerdem ist es so leicht, das Ganze in meinen Alltag zu integrieren. Es ist wesentlich leichter, als Smoothies zu mixen, Overnightoats über Nacht einzuweichen oder zuckerfreie Pralinen zu kneten. Flasche auf, Flasche zu, fertig. Und das Tollste: Naschen ist ja weiterhin erlaubt.
 

Multitalent: Apfelessig für Haare, Haut, Stoffwechsel

Da der Apfelessig mir sehr gut bekommt, beschließe ich, das Experiment zu beschleunigen. Ab sofort gibt es mehrfach am Tag Apfelessig. Meine neunjährige Tochter ist entsetzt und rollt mit den Augen wie eine Vorstandssekretärin, die den neunten Kaffee kochen muss: „Ist nicht dein Ernst, Mama? Flasche zumachen- stinkt!“ Hält sich die Nase zu und verlässt sofort die Küche. Danach verselbständigt sich das Ganze irgendwie. Ich trinke jetzt morgens nüchtern und abends vor dem Zubettgehen mein Glas. Eines Abends schmiere ich mir Apfelessig ins Gesicht, da mein Mann beruflich in Frankreich ist, perfekt für komische Experimente. Julia ist entsetzt: „Jenz ist nicht da und du schlägst über die Stränge, indem du dir Apfelessig ins Gesicht schmierst? Das ist deine Variante von „Mutti hat sturmfrei“?“ 

Übrigens: Die Haut ist seidenzart danach, der Geruch verfliegt sofort. Ich schmiere mir die neue Wunderwaffe an raue Ellenbogen, unter die Füße und spüle meiner Tochter unter Protest die Haare. Sie muss zugeben: „Okay, so geglänzt haben die echt noch nie.“
Auch mein Mann ist inzwischen infiziert und wir trinken abends gemütlich unseren neuen Schlummertrunk. Bitterschokolade oder unsere heiß geliebten Kichererbsenchips essen wir trotzdem noch- aber der flache Bauch bleibt. 

 

 

 

Wissenschaftlich nachgewiesen? Nö!

Experten sind sich übrigens offiziell nicht einig, was mit dem Apfelessig los ist. Die einen sagen so, die anderen so: Wissenschaftlich nachgewiesen ist nix und die Wirkweise erklären kann sich auch niemand so recht. Fragen Sie mich, ich habe das Internet leergegoogelt und Interviews geführt. Die DGE hat mir zwar die Wirkung nicht bestätigt, sieht aber auch keine Risiken. Die würden zwar eher empfehlen mit dem Essig Gemüse einlegen oder Dressings zubereiten, aber wer ihn trinken möchte in üblichen 2-3 EL-Dosierungen, darf das gerne tun.“ Am Ende rät also keiner ab und keiner zu. Aber wenn es mir gut bekommt- was spricht dagegen? 

Zwei Wochen später treffe ich meine Freundin Annette die ebenfalls seit dem Elternabend Apfelessig trinkt. Sie strahlt, ist fünf Kilo leichter und schwärmt: „Du, ich bin süchtig nach dem Zeug. Ich trinke ihn mindestens drei Mal täglich. Der Bauch ist weg und ich habe einen Mann kennen gelernt. Ich sag´s dir: Apfelessig kann dein Leben verändern! 

PS. Sollte ich noch erwähnen, dass es in der Bioabteilung immer wieder zu Engpässen kommt und selbst Julia jetzt mal probieren will? 

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