Du kannst die Wellen nicht aufhalten, aber du kannst lernen, zu surfen

Meditation ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Allerdings wird sie immer noch als eine Art Zaubermittel dargestellt. Viele Menschen glauben, dass Meditation eine Methode ist, die es uns ermöglicht, den Druck des Alltags aufzulösen oder die Achterbahn im eigenen Kopf vollends zum Stehen zu bringen. Sie glauben, dass ein achtwöchiger Meditationskurs aus ihnen neue Menschen macht oder sich die Probleme des Lebens mit jedem achtsamen Atemzug ein Stück mehr in Reichtum, Erfolg und Gesundheit wandeln werden. Doch das ist leider nicht der Fall. Meditation bezweckt weder den Ausschluss noch die Abkapselung von der Umwelt. Vielmehr geht es darum, die Dinge klar zu sehen und zielgerichtet die Beziehung zu ihnen zu verändern. 
 

Einen weisen Umgang mit Stress entwickeln

Wir alle sind in irgendeiner Weise gestresst. Das hängt damit zusammen, dass Stress ein Teil des Lebens ist. Ja, er ist ein fester Bestandteil des Menschseins. Allerdings bedeutet dies nicht, dass wir in der Stressfalle bleiben müssen und dort zu Opfern jener Kräfte werden müssen, die in unserem Leben wirken. 

Erwiesenermaßen gibt es keinen äußeren Stress, sondern nur eine stressvolle Reaktion auf äußere Situationen. Das bedeutet also, dass wir lernen können, achtsamer mit dem umzugehen, was uns begegnet. Es unterstützt uns darin, Herausforderungen zu verstehen, einen Sinn in ihnen zu finden, auf kritische Weise Entscheidungen zu treffen und ihre Energien zu nutzen, um Stärke, Weisheit und Mitgefühl zu entwickeln. Es stärkt in uns die Fähigkeit, die Bereitschaft, das, was ist, anzunehmen und damit zu arbeiten. 

 

Herausforderungen kommen und gehen wie Wellen

Um zu verstehen, wie Achtsamkeit und Meditation wirken, können wir uns unseren Geist als die Oberfläche eines Sees oder Meeres vorstellen. Die Wasseroberfläche wird ständig von Wellen bewegt – manchmal von großen, manchmal von kleineren, und manchmal scheint sie beinahe unbewegt. Die Wellen des Wassers werden durch Winde aufgewirbelt, die kommen und gehen und sich hinsichtlich Richtung und Intensität verändern. Genauso verhält es sich auch mit den Belastungen und den Veränderungen unseres Lebens: Sie erzeugen Wellen in unserem Geist. 

Menschen, die Meditation noch nicht verstanden haben, glauben, dass es sich dabei um eine Methode handelt, die es möglich macht, die Wellen für immer und ewig zum Stillstand zu bringen. Sie hoffen, dass die Oberfläche des Geistes dadurch anschließend glatt, friedvoll und ruhig ist. 

Wir können die Wellen eines Gewässers aber nicht beruhigen, indem wir eine Glasplatte auf die Wasseroberfläche legen. Und genauso wenig lassen sich die Wellen des Geistes auf künstliche Weise unterdrücken. Einen solchen Versuch zu unternehmen, ist auch nicht sonderlich klug. Dadurch entstehen nur stärkere Spannungen, und die innere Aufruhr wird verschärft. 


 

Den Geist zur Ruhe bringen

Dies bedeutet aber nicht, dass wir nicht in der Lage wären, einen Zustand der Geistesruhe zu erreichen. Nur ist sie nicht zu erreichen, indem du versuchst, die natürliche Aktivität des Geistes zu unterdrücken. 

Aber wir können erreichen, dass die Turbulenzen weitgehend abklingen, weil ihnen die Antriebskraft entzogen wird. Doch letztlich werden die Winde des Lebens und des Geistes immer blasen. Das tun sie ungefragt – ganz gleich, was du unternehmen magst, um sie zur Ruhe zu bringen. Meditation beinhaltet, dass wir etwas über das Wesen der Wellen lernen sowie über den Umgang damit. 

Was Achtsamkeitspraxis bedeutet, kommt auf humorvolle Weise auf einem Poster zum Ausdruck, das den über siebzigjährigen Yogi Swami Satchidananda zeigt, wie er mit langem weißem Bart und wehenden Gewändern auf den Wellen einer Bucht in Hawaii surft. Auf dem Poster steht der Satz: »Du kannst zwar die Wellen nicht aufhalten, aber du kannst lernen zu surfen.« 

 

Üben, üben, üben!

Aber auch Swami Satchidananda hat eine Weile gebraucht, um auf atemberaubend hohen Wellen zu surfen. Er hat einfach kontinuierlich geübt. Und er hat auch nicht aufgegeben, wenn ihn eine Welle ins Wasser geworfen hat. Er ist einfach dran geblieben. So solltest auch du die Meditation sehen: Bleib einfach dran. Auch dann, wenn du keine Lust hast. Auch dann, wenn deine Gedanken Achterbahn mit dir fahren. Übe einfach immer weiter. Das ist das Geheimnis. Und irgendwann stehst du dann plötzlich gerade auf dem Brett und gleitest elegant durch die Wellen.

Der Atem ist sozusagen dein Surfbrett. Wenn du anfängst, dich mit deinem Atem anzufreunden, wirst du sofort merken, dass die Unaufmerksamkeit überall lauert. Dein Atem lehrt dich, dass Unaufmerksamkeit nicht nur eine Begleiterscheinung geistiger Aktivität ist, sondern dass diese mit Unaufmerksamkeit geradezu identisch ist. 

Der Atem macht dir bewusst, dass es gar nicht so leicht ist, mit deiner Aufmerksamkeit bei ihm zu bleiben. Viele Dinge stürmen auf uns ein, tragen uns davon, hindern uns daran, uns zu konzentrieren. Wir sehen plötzlich, dass der Geist im Laufe der Jahre mit allen möglichen Dingen vollgestopft worden ist, ähnlich einem Dachboden, auf dem sich alte Koffer und allerlei Trödel angesammelt haben. Dies zu erkennen ist schon ein großer und wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Der Atem hilft dir dabei, Ordnung zu schaffen und aufzuräumen.

 

Je häufiger du übst und je achtsamer du wirst, desto eleganter wirst du auf den Wellen des Lebens surfen.
Redaktion

Formelle und informelle Achtsamkeitspraxis

In der Achtsamkeitspraxis unterscheidet man zwischen der formellen und der informellen Praxis. Die formelle Praxis ist die regelmäßige Meditation auf dem Kissen. Hier auf unserer Website findest du zahlreiche Meditationsanleitungen und Hinweise auf Bücher, in denen du Anleitungen findest. 

In der informellen Praxis verpflichten wir uns in jedem Augenblick vollständig dem Gegenwärtig sein. Wir versuchen nicht, irgendetwas zu verbessern oder irgendwohin zu gelangen. Wir streben nicht einmal nach besonderen Einsichten oder Visionen. Wir zwingen uns auch nicht, nicht-urteilend, ruhig oder entspannt zu sein. Und ganz sicher geht es uns nicht darum, unser Selbstbewusstsein zu stärken oder uns in intensiver Beschäftigung mit uns selbst zu ergehen. Vielmehr laden wir uns selbst dazu ein, uns in völligem Gewahrsein mit diesem Augenblick zu verbinden in der Absicht, so gut wir können, hier und jetzt Ruhe, Achtsamkeit und Gleichmut zu verkörpern. 

 

Absichtslos achtsam sein

Natürlich werden sich bei ausdauernder Übung und der rechten Art von stetiger und sanfter Bemühung Ruhe, Achtsamkeit und Gleichmut von selbst entwickeln, aus unserem Streben heraus, in Stille zu verweilen und zu beobachten, ohne zu reagieren und ohne zu urteilen. Erkenntnisse und Einsichten, tiefe Erlebnisse der Stille und Freude werden sich ebenfalls einstellen. Doch wäre es unzutreffend, zu sagen, dass wir üben, um diese Erfahrungen herbeizuführen. Wir praktizieren die Achtsamkeit um ihrer selbst willen.

Der Geist der Achtsamkeit beinhaltet, um des Übens willen zu üben und jeden Moment so anzunehmen, wie er ist – angenehm oder unangenehm, gut, schlecht oder hässlich –, und dann damit zu arbeiten, weil er eben das ist, was jetzt gegenwärtig ist. Wenn du dir diese Haltung zu eigen machst, so wird das Leben selbst zur Übung. Und wenn das eintritt, sind es eigentlich nicht mehr wir, die üben, sondern die Übung entfaltet sich in unserem Leben, und das Leben selbst wird im Sinnbild der Welle zu unserem Meditationslehrer und Führer. Und je häufiger du übst und je achtsamer du wirst, desto eleganter wirst du auf den Wellen des Lebens surfen.


 

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