Die Kraft des Placebo-Effekt

Was ist der Placebo Effekt?

Dieser Text ist ein Placebo! Garantiert wirkstofffrei, aber er wirkt trotzdem. Sogar ohne, dass du ihn schlucken musst. Wie sehr Worte wirken, hast du selbst bestimmt schon mal gemerkt, als du eine Packungsbeilage eines Medikaments durchgelesen hast. Du wolltest deine Magenschmerzen lindern und bei der Aufzählung der Nebenwirkungen hat sich vor lauter Angst der Magen nur noch mehr zusammengezogen. Vielleicht hat dich die lange Liste der Risiken sogar so sehr in Schrecken versetzt, dass du vollkommen auf die Einnahme verzichtet hast.

 

Nebenwirkungen durch Placebo?

Mit dieser Reaktion bist du nicht allein. In einer Untersuchung fand die AOK heraus, dass 28 Prozent ihrer Versicherten skeptisch sind und bei Bedenken vorsichtshalber ganz auf die Einnahme verzichten. Zahlreiche Studien zeigen: Allein das Wissen darum, welche Nebenwirkungen auftreten könnten, kann diese auch hervorrufen. Im Rahmen von Arzneimittelstudien treten angekündigte Nebenwirkungen erstaunlicherweise auch in der Placebogruppe bei jedem Vierten auf.

Die Nebenwirkungen können sogar so unangenehm werden, dass manche (Placebo-)Patienten aus der Studie aussteigen. Wenn das auch eher die Schattenseiten des Placebo-Effekts zeigt, so hoffen wir, dass dieser Artikel nur positive Auswirkungen auf dich hat. Du wirst sehen: Arzneimittel wirken zuverlässiger und nebenwirkungsärmer, wenn du weißt, was im Körper passiert. 

 

Der Placebo-Effekt ist weitaus mehr als eine Behandlung mit winzigen wirkstofffreien Zuckerpillen.
Christine Gitter

Ist der Placebo-Effekt reine Kopfsache?

Mittels alleiniger Gedankenkraft stärkste Schmerzen lindern? Mit etwas Einbildung das Immunsystem außer Kraft setzen? Kniebeschwerden mit einer Placebo-Operation heilen? Das funktioniert, denn: Der Placebo-Effekt ist weitaus mehr als eine Behandlung mit winzigen wirkstofffreien Zuckerpillen. Professor Manfred Schedlowski, Placebo-Forscher an der Universität Essen, meint gar, dass sogar die Wirkung »richtiger« Medikamente bis zu 70 Prozent auf dem Placebo-Effekt basieren könnte.

Das hat auch schon Hippokrates vermutet. Wenn er austherapierten Patienten kein Heilmittel mehr anbieten konnte, verordnete er Scheinmedikamente. Und die halfen erstaunlich oft. Ganz entscheidend dabei ist die Erwartung des Patienten. 

Die Chancen der Heilung in den Vordergrund zu stellen – und nicht die Risiken, wie Packungsbeilagen das tun –, ist viel wirksamer. Auch der Preis eines Arzneimittels kann dessen Wirkung erheblich unterstützen: Je höher der Preis, umso stärker die erwartete und damit auch eintretende Wirkung. Das Erstaunlichste ist aber, dass Placebos auch wirken können, wenn die Patienten Bescheid wissen, dass sie keine echten Medikamente zu sich nehmen. Das funktioniert aber nur dann, wenn ihnen das Prinzip des Placebo-Effekts vorher erklärt wurde.

 

Placebo Effekt Beispiel: Versteckspiel nicht nötig

Psychologen der Universität Basel testeten das gemeinsam mit Kollegen der Harvard Medical School an 160 Probanden. Diese wurden in drei Gruppen eingeteilt. Alle Teilnehmer sollten während des Experiments den Unterarm auf eine Wärmeplatte legen, deren Temperatur dabei langsam anstieg. Die Teilnehmer konnten den Versuch selbstständig beenden, sobald die Hitze für sie nicht mehr auszuhalten war. Der Schmerz sollte anschließend mit einer speziellen Creme gelindert werden.

Jede der drei Gruppen bekam ein Placebo. Bei der ersten Gruppe wurde allerdings geschummelt. Deren Probanden waren der Meinung, dass die Creme tatsächlich einen schmerzstillenden Wirkstoff enthält. Die zweite Gruppe bekam eine Creme, die gut lesbar mit »Placebo« beschriftet war. Die Psychologen klärten diese Teilnehmer allerdings ausführlich über den Placebo-Effekt auf. Die dritte Gruppe bekam die »Placebo-Tube« ohne weitere Hinweise.

Die Teilnehmer der Gruppen eins und zwei hatten nach dem Auftragen der schmerzlindernden Creme tatsächlich deutlich weniger Schmerzen. Also auch diejenigen, die wussten, dass sie lediglich ein Placebo bekommen hatten, aber entsprechend informiert worden waren, berichteten von einer spürbaren Besserung. Gruppe drei hingegen klagte über deutlich stärkere Schmerzen als die anderen beiden.
 

Placebo Wirkung: Weniger Schmerzen durch Erwartung?

Placebos wirken also, wenn man sie lässt. Das Phänomen der Schmerzlinderung durch Placebos heißt Placebo-Analgesie (Analgesie=Schmerzlinderung, Schmerzausschaltung). Placebos können Schmerz um mindestens ein Drittel seines Ausgangswertes reduzieren. Früher nahm man in der Medizin an, dass diese Schmerzlinderung durch einen rein psychologischen Vorgang zustande kommt, sozusagen durch »Einbildung«. Heute können Wissenschaftler beweisen, dass auf der Ebene der Körperchemie sehr viel passiert.

Das hängt damit zusammen, dass Anti-Schmerz-Placebos an denselben Rezeptoren wie Opioide – das sind äußerst starke Schmerzmittel – wirken. Nur, dass diese Opioide im Placebo-Fall nicht von außen als Medikament zugeführt werden, sondern von unserem Körper einfach kurzerhand selbst produziert werden – weil er an die Wirkung glaubt. Deswegen heißen diese Stoffe auch endogene oder körpereigene Opioide.

Aber woher wissen wir, dass es sich hierbei um Opioid-ähnliche Stoffe handelt? Für die Klärung dieses Sachverhalts haben die Forscher eine Methode gefunden: Sie gaben den Probanden den Opioid-Antagonisten Naloxon. Das ist ein Stoff, der die Opioid-Wirkung blockiert, indem er die Opioide von ihren Rezeptoren wegschubst und sich selbst draufsetzt, ohne jedoch eine Wirkung zu verursachen. Die Schmerzen waren so schlimm wie zuvor.

 

Placebo-Effekt-Psychologie: Kann das Nichts wirken?

Ein anderer Weg zur stofflosen Wirkung läuft über Konditionierung. Vielleicht erinnerst du dich an den Pawlow’schen Hund? Professor Schedlowski konnte beweisen, dass das Immunsystem ähnlich konditioniert werden kann. Ratten, die vorher ein Spenderherz erhalten hatten, bekamen von ihm ein Immunsuppressivum (ein Mittel, dass das Immunsystem unterdrückt, damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird), gemischt mit Süßstoff. Nach einiger Zeit bekamen die Ratten nur noch Süßstoff. Trotzdem hat das Immunsystem der Ratten so reagiert, als würde es weiterhin mit dem immunsupprimierenden Wirkstoff behandelt.

 

Placebo bei Tieren

Du siehst, Placebos wirken auch bei Tieren. Lese deinem Hund dieses Kapitel ruhig laut vor. Er muss nicht mal verstehen, um was es geht. Es reicht vollkommen, wenn du es tust. Er wird deine positive Erwartung spüren. Bist du bezüglich deiner Gesundung zuversichtlich gestimmt, wirkt sich dies auch auf deinen Hund aus. Dieses Phänomen nennt man Placebo by Proxy, und wird auch bei Säuglingen und Kleinkindern beobachtet.

Du siehst: wenn du mit einer positiven Erwartung an die Wirkung eines Medikaments gehst, wird sich auch die heilende Wirkung einstellen. So verhält es sich auch mit anderen Dingen im Leben: Je positiver du an etwas heran gehst, desto gelassener wirst du damit umgehen und desto schöner wird dein Leben sich vor dir entfalten. 
 

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